Anleiherenditen: Einen wichtigen Marktindikator richtig lesen

Kristina Hooper
Kristina Hooper

Marktkommentar von Kristina Hooper, Chief Global Market Strategist bei Invesco

Die wichtigste Nachricht der vergangenen Woche war kein Tweet, sondern eine Marktnachricht: die Rendite der zehnjährigen US-amerikanischen Staatsanleihe war im Wochenverlauf deutlich auf 2,95 Prozent gestiegen. Am Montag, als ich diesen Kommentar schrieb, rentierte die zehnjährige Treasury mit 2,98 Prozent und damit sehr nah an der wichtigen Drei-Prozent-Schwelle, von der sie mehr als vier Jahre lang weit entfernt war. Aber was sagt uns dieser Marktindikator? Und warum ist das wichtig?

Beginnen wir mit der zweiten Frage. Wichtig ist das aus mehreren Gründen.

  • Erstens gilt die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe als ein im Vergleich zum Aktienmarkt verlässlicherer Stimmungsindikator – als gutes „Angstmaß“. Das liegt daran, dass US-amerikanische Staatsanleihen als eine der sichersten „Sichere Hafen“-Anlagen betrachtet werden.
  • Wichtig ist auch, dass die Zehn-Jahres-Rendite als Indikator der Wachstums- und Inflationserwartungen gilt.
  • Darüber hinaus ist das Zehn-Jahres-Segment ein wichtiges Segment der Zinsstrukturkurve. Wenn die Zinskurve nicht mehr normal verläuft, sondern sich umkehrt, weil die Zinsen am langen Ende niedriger sind als am kurzen Ende, wird das als Hinweis auf eine möglicherweise bevorstehende Rezession verstanden.
  • Die Rendite der zehnjährigen Treasury ist auch aus praktischen Gründen wichtig, da sie eng mit US-amerikanischen Hypothekenzinsen korreliert ist.

Was sagt uns die zehnjährige Treasury-Rendite ganz aktuell?

Um nun auch die erste Frage zu beantworten, glaube ich, dass sich aus der Zehn-Jahres-Rendite Verschiedenes ablesen lässt.

Wachstum. Zunächst einmal deutet sie auf ein robustes Wachstumsumfeld hin. Das ist plausibel. In seinem neuesten, gerade veröffentlichten World Economic Outlook hat der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Wachstumsprognose für die Industrieländer im Jahr 2018 angehoben (die Voraussage für 2019 ist unverändert). Die IWF-Wachstumsprognose für die Schwellenländer ist für 2018 unverändert und wurde für 2019 leicht angehoben. Damit stellt sich natürlich folgende Frage: Warum hat China in der vergangenen Woche eine Senkung der Mindestreservesätze der meisten chinesischen Banken um 100 Basispunkte angekündigt, wenn der IWF davon ausgeht, dass sich der positive Wachstumstrend in den Schwellenländern – vor allem China – 2018 weiter fortsetzen wird? Ich halte diesen drastischen Schritt, durch den die Finanzierungskosten der Banken gesenkt werden, nicht für beunruhigend, da er lediglich einen Kurswechsel in der Makropolitik der chinesischen Zentralbank signalisiert und nicht als Ausdruck ernsthafter Sorgen über die Verfassung der chinesischen Wirtschaft zu verstehen ist.

Inflation. Meiner Ansicht nach sagt der jüngste Anstieg der Zehn-Jahres-Rendite mehr über die Inflation als über das Wachstum aus. Konkret deutet er darauf hin, dass die Inflation anzieht – eine Annahme, die vom Präsidenten der Federal Reserve Bank of San Francisco, John Williams, untermauert wurde. In der vergangenen Woche äußerte dieser die Erwartung, dass die Inflation in den USA in diesem Jahr den Fed-Zielwert von zwei Prozent erreichen und „weitere zwei Jahre“ auf oder über diesem Niveau liegen wird. Viele Strategen führen den Anstieg der Zehn-Jahres-Rendite auf den jüngsten Anstieg des Ölpreises zurück. Zu einer nachhaltigen Beschleunigung der Inflation wird es meiner Ansicht nach aber erst durch eine Kombination mehrerer Faktoren kommen. Dazu gehören sicherlich potenzielle Importzölle und ein engerer Arbeitsmarkt, der das Lohnwachstum anheizen könnte.

Marktängste. Damit deutet die Rendite der zehnjährigen US-amerikanischen Staatsanleihe auf ein anhaltend solides Wachstum in diesem Jahr hin sowie auf eine möglicherweise höhere, aber vermutlich nicht unkontrolliert steigende Inflation. Außerdem signalisiert sie, dass die Angst am Markt bislang begrenzt ist, da Investoren keine vermeintlich sicheren US Treasuries aufkaufen, wodurch die Renditen sinken würden. Ein Grund dafür könnte auch die Deeskalation in den Beziehungen zwischen den USA und Nordkorea sein.

Allerdings haben wir schon in der Vergangenheit erhebliche und abrupte Schwankungen der Zehn-Jahres-Rendite beobachtet und müssen daher nach möglicherweise aufziehenden dunklen Wolken Ausschau halten — zumal der IWF in seinem vor kurzem veröffentlichten Global Financial Stability Report darauf hinweist, dass sich die Risiken für die globale Finanzstabilität seit seinem Bericht vom Oktober 2017 „etwas“ erhöht haben. Zu den größten zählt der IWF „Schwachstellen im Finanzsystem“, die auf eine mehrjährige Phase extrem niedriger Zinsen zurückzuführen sind, sowie überreizte Bewertungen von Risikoanlagen, wodurch es zu einer abrupten Korrektur kommen könnte. Wir sehen darüber hinaus noch weitere Risiken wie den Protektionismus oder einen chaotischeren Brexit-Prozess. In der vergangenen Woche hat das britische Oberhaus den umstrittenen Brexit-Plan von Premierministerin Theresa May abgelehnt. Sollte der Vorschlag, der einen Austritt Großbritanniens aus der Zollunion vorsieht, im Unterhaus ebenfalls scheitern, könnte Mays Stuhl wackeln. Weniger als zwölf Monate vor dem terminierten Austrittsdatum könnte das den Brexit-Prozess noch komplizierter machen.

Angebot und Nachfrage am Staatsanleihenmarkt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Rendite der zehnjährigen Treasury auch Hinweise auf die Erwartungen der Marktteilnehmer an die Entwicklung von Angebot und Nachfrage am US-amerikanischen Staatsanleihenmarkt gibt. In seiner neuesten Prognose geht das US Congressional Budget Office von höheren Haushaltsdefiziten aus. Das würde vermutlich bedeuten, dass die US-amerikanische Regierung mehr Staatsanleihen emittiert. Zudem setzt die US-amerikanische Notenbank (Fed) im Rahmen ihrer Bilanznormalisierung auf eine schrittweise Ausweitung des Abverkaufs der US-Staatsanleihen, die sie in ihren Büchern hält. Damit erscheint ein deutlich höheres Angebot auch bei einer stabilen Nachfrage durchaus denkbar, wodurch die Treasury-Kurse sinken und die Renditen steigen würden.

Zinsstrukturkurve. Wichtig ist die Zehn-Jahres-Rendite schließlich auch aufgrund ihrer Rolle am langen Ende der Zinsstrukturkurve. In den letzten Monaten hat die Abflachung der Zinskurve – und damit das größere Risiko einer inversen Zinskurve – an den Märkten für Nervosität gesorgt. Eine umgekehrte Zinsstrukturkurve war in der Vergangenheit ein Indikator für eine bevorstehende Rezession. Insbesondere der Renditeabstand zwischen zwei- und zehnjährigen US-Staatsanleihen ist sehr eng, obwohl er durch den Anstieg der Zehn-Jahres-Rendite in den letzten Tagen wieder etwas weiter geworden ist. Manche Marktteilnehmer erinnern sich vielleicht noch daran, dass es 2006 zu einer inversen Zinsstrukturkurve kam, auf die kurz darauf eine globale Rezession folgte. Ironischerweise hatte der damalige Fed-Vorsitzende Ben Bernanke in einer Rede zum Thema „Reflections on the Yield Curve and Monetary Policy“ kurz zuvor versucht, dieses Phänomen herunterzuspielen.

In der vergangenen Woche zeigte sich John Williams, der in Kürze den Vorsitz der New York Fed übernehmen wird, besorgter über die von der Zinsstrukturkurve ausgehenden Signale und gab zu, dass eine inverse Zinskurve ein „starkes Signal für eine Rezession“ sei, da sie darauf hindeute, dass die Märkte das Vertrauen in den Wirtschaftsausblick verloren haben. Er glaubt allerdings nicht, dass ein solcher Fall in absehbarer Zeit eintreten wird, und hält die zuletzt beobachtete Abflachung der Zinsstrukturkurve für eine normale Entwicklung im Prozess der Zinsstraffung.

Ganz egal, wie robust das Wirtschaftswachstum ist – eine gewisse Fragilität zeichnet Volkswirtschaften immer aus. Daher werden wir aufmerksam nach Hinweisen Ausschau halten, die darauf hindeuten, dass der aktuelle Konjunkturzyklus seinen Höhepunkt erreicht haben könnte. In diesem Zusammenhang beobachte ich zum Beispiel die deutsche Wirtschaft sehr genau. Wie das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung vor kurzem erklärt hat, signalisiert sein ZEW-Konjunkturindex, dass das Rezessionsrisiko in Deutschland nennenswert zugenommen hat. Ein so deutlicher Anstieg in nur einem Monat sollte genauer untersucht werden, auch wenn das tatsächliche Risiko einer Rezession in Deutschland noch relativ gering ist. Umso wichtiger ist dies, da die ZEW-Umfrage für April gezeigt hat, dass die Konjunkturerwartungen in Deutschland auf den tiefsten Stand seit mehr als fünf Jahren gesunken sind.

Risikoanlagen. Schließlich signalisiert ein derart deutlicher Anstieg der zehnjährigen US-Treasury-Rendite innerhalb weniger Wochen, dass es zu der Neubewertung von Risikolagen kommen könnte, vor der der IWF gewarnt hat. Wir haben dieses Phänomen in den letzten Monaten bereits beobachten können — zum Beispiel beim Einbruch der Aktienmärkte Anfang Februar, als die Zehn-Jahres-Rendite deutlich stieg. Daher werden wir alle relevanten Entwicklungen in diesem Zusammenhang weiter genau beobachten.

Kristina Hooper ist Chief Global Market Strategist bei Invesco, einer auf den Bermudas registrierten unabhängigen Investmentgesellschaft mit Verwaltungssitz in Atlanta (USA).

www.de.invesco.com

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