Bedrohen Robo-Advisor das Geschäft der Vermögensverwalter?
Gastbeitrag von Ton Kentgens, Ortec Finance
Die Finanzindustrie befindet sich im Umbruch. Neben anhaltenden Niedrigzinsen auf die Erträge, müssen sich die etablierten Banken nun der Konkurrenz durch Fintechs erwehren: Die Newcomer blasen zum Angriff auf die Vermögensverwaltung, die etablierte Finanzhäuser stets als ihre Königsdiziplin angesehen haben.
Die Start-Ups schicken sogenannte Robo-Advisor ins Rennen. Sie sollen den Anlageberatern aus Fleisch und Blut das Geschäft streitig machen. In den USA verwalten diese automatisierten, digitalen Programme zur Finanzanlage bereits mehr als 70 Milliarden US-Dollar. Fachleute erwarten ein starkes Wachstum, auch in Deutschland. Hierzulande rangiert der Marktanteil der automatisch gesteuerten Wertpapierdepots zwar noch unter ferner liefen. Andererseits bemühen sich bereits mehr als ein Dutzend Anbieter um neue Kunden – mit wachsendem Erfolg.
Eingängiges Konzept
Die Mehrzahl der Robo-Advisor lassen Interessenten einen Fragebogen beantworten. Anschließend unterbreitet die Software Vorschläge für die Zusammensetzung eines Portfolios, das die individuelle Risikoneigung und Anlageziele berücksichtigt. Umgesetzt wird die Strategie in der Regel auf der Basis von ETF. Anschließend kümmern sich die Programme um notwendige Umschichtungen und reagieren zeitnah auf Marktveränderungen.
Das Konzept klingt vielversprechend. Zu den Stärken der elektronischen Asset-Manager zählt, enorme Datenmengen zu sammeln, auszuwerten und in kürzester Zeit in eine Anlagestrategie zu überführen. Gleichzeitig werben die neuen Anbieter mit niedrigen Kosten, transparenten Strukturen und komfortabler Bedienung. Das zieht vor allem jüngere Menschen an, die mit Onlinemedien aufgewachsen sind.
Persönliche Beratung unverzichtbar
Auf die reine Depotbetreuung beschränkte Fintechs dürften es langfristig dennoch schwer haben. Erfahrungsgemäß benötigt auch die Generation Smartphone eines Tages persönlichen Rat. Steht beispielsweise eine Baufinanzierung an, ist die Kompetenz eines Ansprechpartners vor Ort unverzichtbar. Finanzhäuser mit einem breiten Dienstleistungsspektrum spielen dann ihre Vorzüge aus.
Selbst wenn es ausschließlich um die Depotverwaltung geht, bietet der Kontakt zwischen Anleger und Berater großen Mehrwert. Steht dem Kunden ein versierter Berater zur Seite, kann eine wirklich individuelle und tragfähige Strategie erarbeitet werden. Ein durchschnittlicher Robo-Advisor dagegen greift auf stereotypische Lösungen und Produkte zurück, da er noch nicht zwischen unterschiedlichen Risikoneigungen und Zielen verschiedener Kunden unterscheiden kann. Auch wenn einige Robo-Advisor durch die Qualität ihres Rechenkerns aus der Masse hervorstechen und auf Beraterseite nicht alles Gold ist was glänzt: Externer Rat macht eine individuelle Vermögensbildung vielfach erst möglich.
Hybride Modelle – Robos nutzen auch der Bank
Die Vermögensmanager der Banken sollten daher die Zeichen der Zeit erkennen und leistungsstarke Anlagesoftware stärker in ihre Geschäftsprozesse einbinden. Kunden und Finanzinstitute profitieren hiervon gleichermaßen. Anleger könnten auf Depots bauen, deren Chance-Risiko-Profil anhand systematischer Kriterien individuell optimiert und permanent überwacht wird. Berater wiederum schütteln so viele lästige Routineaufgaben ab. Die ab 2018 zwingend vorgeschriebene MiFID-II-Umsetzung dürfte den Verwaltungsaufwand nochmals steigern. Erledigt das eine Software mit, können sich die Bankberater auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren: umfassende Kundenbetreuung.
Ein hybrides Modell aus webbasierten Diensten und persönlicher Betreuung stellt angesichts wachsender Konkurrenz einen klaren Wettbewerbsvorteil dar. Die große Mehrheit der Deutschen ist offen für neue Finanz-Tools. Zugleich würden 81 Prozent diese Dienstleistungen jedoch lieber von der eigenen Bank als von einem Finanz-Startup beziehen. Das zeigt eine aktuelle repräsentative Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PWC.
Vertrauen und Funktionalität vereinen
Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine Studie der Unternehmensberatung Capgemini: Mehr als 90 Prozent der befragten Westeuropäer waren mit den Leistungen ihrer Hausbank zufrieden und schworen ihrem Institut die Treue. Den größten Vorteil von Fintechs sahen die Befragten in der Funktionalität (90 Prozent). Zwei Drittel der Menschen, die bereits einmal ein Fintech ausprobiert hatten, bezeichneten sich jedoch weiter als wechselwillig. Aufgrund dieser mangelnden Loyalität dürften sich die meisten reinen Robo-Advisor wohl nicht durchsetzen. Das macht Kooperationen mit etablierten Finanzhäusern sinnvoll. Laut der Capgemini-Studie haben das bereits viele Banken erkannt: 65 Prozent sehen Fintechs als Partner, 27 Prozent als Konkurrenten. Banken verfügen über einen starken Markennamen, belastbare Kundenbeziehungen und kompetente Berater, die die technologisch anspruchsvollen Software-Lösungen der Robo-Advisor verantwortungsvoll einzusetzen wissen – eine Win-win-Situation.
EXXECNEWS-Autor Ton Kentgens ist verantwortlich für Global Business Development bei Ortec Finance, Rotterdam. Der Gastbeitrag ist zuerst erschienen in EXXECNEWS Ausgabe 20/2017.