"Höchste Zeit für eine Kontrolle des Finanzvertriebs, online und offline"
Das Hamburger Institut für Finanzdienstleistungen (iff) hat eine Stellungnahme seines Direktors Dr. Dirk Ulbricht zur öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zum Thema „Lehren aus der Finanzkrise“ am 10.12.2018 veröffentlicht. Trotz der Regulierungsbemühungen erhalten viele Verbraucher fehlerhafte, interessengeleitete Beratung bei Anlage- und Kreditentscheidungen, fasst Ulbricht zusammen. Das schwäche die notwendige private Vorsorge und erhöhe das Überschuldungsrisiko, immer mehr Menschen werden abgehängt. Notwendig sei eine Marktaufsicht des Finanzvertriebs, online und offline. Um wirklich relevante Themen anzugehen, müsse sich diese Aufsicht auf noch zu erstellende Datenerhebungen über die Struktur und Entwicklung des Verbraucherfinanzsektors stützen.
„Es wird nicht ausreichend kontrolliert, wie den Verbrauchern Finanzprodukte verkauft werden“, so Ulbricht . „Das betrifft sowohl den Offline- als auch den Online-Vertrieb. In beiden Fällen weiß der Kunde aufgrund der Komplexität von Finanzprodukten häufig nicht, was eine gute Beratung überhaupt ausmacht und auf was er achten muss. Das schafft ein erhebliches Informationsungleichgewicht zu Lasten des Verbrauchers. Er ist auf die Unabhängigkeit und Objektivität des Beraters beziehungsweise Online-Portals angewiesen. Die Firmen, die Finanzprodukte vertreiben, haben aber eine Gewinnerzielungsabsicht, die im offensichtlichen Widerspruch zur notwendigen Neutralität bei der Beratung steht.“
Verkauf sei nicht bloße Informationsaufnahme und -weitergabe. Im persönlichen Gespräch solle es idealerweise vor allem darum gehen, das passende Produkt für den Kunden zu finden. Am Anfang einer solchen Beratung sollte daher die gründliche Erfassung der für diesen Zweck notwendigen Informationen stehen. Auf der anderen Seite sollte der Kunde die wesentlichen Informationen erhalten und erläutert sowie die Alternativen erklärt bekommen, um eine informierte Entscheidung treffen zu können.
„Was ist aber, wenn der Berater wichtige Informationen weglässt und anderen, werblichen Informationen ein größeres Gewicht im Gespräch einräumt“, fragt Ulbricht. „Was, wenn der Abschluss eines Produkts mit Druck oder Zwang daran geknüpft wird, ein anderes, nicht gewünschtes Produkt zusätzlich abzuschließen? Dabei gehen Berater teilweise auch darüber hinweg, dass der Kunde bereits ein Produkt abgeschlossen hat, das dem selben Zweck dient. Was, wenn die Risikoanalyse kleingehalten wird, weil im Zweifel nur der Kunde die Folgen davon zu tragen hat? Regulierung ist nur so gut, wie ihre Ansprache im Verkaufsgespräch. Ein Berater kann, wenn er möchte, wichtige Informationspflichten als überflüssige ‚EU-Banane# abtun, der man eben pflichtschuldig Genüge leisten müsse. Die Verträge und schriftlichen Dokumentationen geben nicht notwendigerweise wieder, wie sie zu Stande gekommen sind.
Beim Onlinevertrieb nimmt die Einflussnahme andere Formen an, vom Ergebnis her ist sie aber im Wesentlichen gleich. Hier spielt die Art der Darstellung eine wesentliche Rolle. So kann schon der einfache Umstand, dass das Auge aufgrund des Leseflusses oben links im Bildschirm angeordnete Informationen zuerst wahrnimmt, bereits die Aufmerksamkeit auf oder von einer bestimmten Information weglenken. Auch sind Informationen, die erst über mehrere Schritte zugänglich sind, für viele Kunden effektiv nicht vorhanden. Selbst die „Honorarberater“ des Internets, die Vergleichsportale, haben sich hinsichtlich der Transparenz und Objektivität als Wolf im Schafspelz erwiesen.
Wer aber schützt die Verbraucher, die in der Regel nicht erkennen, wenn sie schlecht beraten oder gar betrogen werden? Zudem sind verwundbare Verbraucher oft froh, überhaupt einen Kredit zu erhalten und befinden sich in einer Position der Schwäche. Sie sind es, die häufig das nehmen müssen, was sie angeboten bekommen. Die Produkte selbst zu testen, greift zu kurz. Entscheidend ist, ob das Produkt zum Kunden passt. Abwarten, bis Missstände häufig genug bei Verbraucherschützern, Ombudsleuten oder letzten Endes bei Schuldenberatungen auftauchen, lässt viele Verbraucher unnötig Opfer schlechter Beratung werden. Um sie vor vermeidbaren finanziellen Notlagen zu schützen, bedarf es einer Offensichtlichkeit, die es in anderen Bereichen des Verbraucherschutzes, wie dem Lebensmittelbereich, längst gibt: Regelmäßige Kontrollen.
Aufsichtsbehörden dürfen sich nicht damit zufriedengeben, dass die Verbraucher Fehlentwicklungen an sie herantragen. Es müssen Strukturen geschaffen werden, die den Vertrieb, online wie offline, regelmäßig untersuchen. Dabei sollten die Behörden sich vor allem auf die Produkte konzentrieren, die häufig vertrieben werden und auch das Aufkommen neuer Produkte frühzeitig begleiten. Das setzt voraus, dass die statistischen Daten über Finanzprodukte, die an Verbraucher vertrieben werden, vollständiger erhoben, transparenter aufbereitet und auch der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Häufig genug ist unklar, wie genau sich die Vertriebszahlen offensichtlich millionenfach vertriebener Finanzdienstleistungsprodukte, wie beispielsweise die der Restschuldversicherungen, entwickeln geschweige denn wie die Marktstruktur ist oder was konkret vertrieben wird. Ohne Daten aber, ist eine sinnvolle Vertriebskontrolle nicht möglich. Eine sinnvolle Aufsicht muss sich auf die relevanten Produkte konzentrieren.“
Quelle: Stellungnahme Institut für Finanzdienstleistungen
Das Hamburger Institut für Finanzdienstleistungen e. V. (iff) ist ein gemeinnütziges Forschungsinstitut, dass seit über 30 Jahren im Auftrag verschiedener öffentlicher Auftraggeber auf nationaler und internationaler Ebene, Verbraucherverbände und auch von privatwirtschaftlichen Unternehmen forscht. (AZ)