Landgericht Berlin urteilt zum mündigen Anleger

Gastbeitrag von Oliver Renner, Rechtsanwälte Wüterich Breucker

Oliver Renner
Oliver Renner

Klagen von Anlegern enthalten oftmals die gleichen Behauptungen: Der Anleger wollte eine Kapitalanlage, bei der die Investition sicher ist, keinerlei Verlustrisiko besteht, die Renditen garantiert seien und zudem sich die Anlage zur Altersvorsorge eigne und erhebliche Steuervorteile mit sich bringt. Den Prospekt, in dem Risikohinweise enthalten sind, habe man nicht oder jedenfalls verspätet erhalten. Daher wolle man vom Berater, der die Anlage als sicher beschrieben habe, Schadensersatz.

Für den Berater besteht in solchen Haftungsprozessen zum einen die Schwierigkeit, dass bei Aufklärungen über sogenannte negative Tatsachen die sekundäre Darlegungslast gilt. Das heißt, dass der Berater substantiiert darlegen muss, wann, wo und wie die gebotene Aufklärung erfolgte. Die Hürden der Darlegungslast des Anlegers liegen hingehen niedriger. Zudem hat der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden, dass der Berater ungefragt auch über beispielsweise nur theoretische Risiken aufklären muss.

Die Grenze, wann hierbei die Aufklärungspflicht endet und die Eigenverantwortung des Anlegers beginnt, ist nicht eindeutig zu ziehen.

Das Landgericht Berlin hat in einer in dieser Klarheit bislang noch nicht veröffentlichten Entscheidung die Stellung des Anlegers auch als mündiger Bürger betont. Aus den Entscheidungsgründen nachfolgend: „Die Klägerin ist ein erwachsener und mündiger Bürger. Sie kann nicht beanspruchen, von der Viertbeklagten wie ein Kleinkind beaufsichtigt, behütet, überwacht und darauf kontrolliert zu werden, ob sie die Prospekte vor der Zeichnung, deren Zeitpunkt sie eigenverantwortlich bestimmt und festgelegt hat, tatsächlich gelesen und verstanden hat. Die Viertbeklagte war nicht verpflichtet, sich zu vergewissern, dass die Klägerin die Prospekte tatsächlich gelesen und verstanden hat. Eine solche Pflicht eines Beraters besteht in keiner Weise. Im Gegenteil: Zum einen war es die ureigene Pflicht der Klägerin, den Prospekt bereits im eigenen Interesse sorgfältig und gründlich zu lesen, und sie kann ein Unterlassen der Erfüllung dieser ihrer eigenen Pflicht nicht der Beklagten zum Vorwurf machen (BGH, Urteil vom 26. Februar 2013, Aktenzeichen XI ZR 345/10, Rdnr. 33, zitiert nach juris). Zum anderen herrscht in Deutschland immer noch Vertrags- und Entscheidungsautonomie. Ein Berater hat es insbesondere sogar zu beachten, wenn ein zu Beratender nicht beraten werden will. Der Berater ist ausschließlich verpflichtet, seine Beratung anzubieten. Wenn der zu Beratende dieses Angebot ablehnt, hat der Berater seine Beratungspflichten bereits vollständig und erschöpfend erfüllt. Alles andere wäre ausschließlich falsch verstandener Verbraucherschutz und letztendlich nur noch Verbraucherentmündigung. Die Kammer verkennt dabei keineswegs, dass es durchaus Verbraucher gibt, die vor sich selbst geschützt werden sollten, und es insoweit sogar gesetzliche Regelungen wie zum Beispiel § 17 BeurkG oder § 312g BGB gibt. Allenfalls dann, wenn der Berater den zu Beratenden veranlasst, auf eine Beratung zu verzichten, oder zumindest den zu Beratenden in eine Situation bringt, in der dieser situationsbedingt sich zu nicht hinreichend überlegten Entscheidungen veranlasst sehen könnte, besteht Veranlassung, zu prüfen, ob dem Berater das Ausbleiben eines hinreichenden Beratungserfolges zum Vorwurf zu machen ist.

Dafür bestehen vorliegend letztendlich keinerlei Anhaltspunkte. Im Gegenteil: Die Klägerin hatte sowohl vor der Zeichnung der Beteiligung an der Erstbeklagten als auch der zweiten Zeichnung ihrer Beteiligung an der Zweitbeklagten alle Zeit dieser Welt, sich in Ruhe und mit gebotener Sorgfalt und Gründlichkeit mit den Emissionsprospekten vertraut zu machen und zu prüfen, ob sie diese Anlage als für sich geeignet erachtet. Dass sie dies - unverständlicherweise! - anscheinend vollständig unterlassen hat, kann sie nicht der Viertbeklagten zum Vorwurf machen. Dies gilt umso mehr, da völlig außer Frage steht, dass die Klägerin bereits nur bei flüchtigem oberflächlichen Durchblättern der Prospekte bereits innerhalb weniger als einer Minute erkennen würde, dass die streitbefangenen Anlagen für die von ihr jetzt behaupteten Anlagezwecke völlig ungeeignet sind. Ebenso hat sich das Gericht davon zu überzeugen vermocht, dass die Klägerin uneingeschränkt in der Lage ist, sich die wesentlichen Inhalte der Prospekte zu erschließen und deren Inhalte zu erarbeiten. Dies ist für die Klägerin als erfahrener Geschäftsfrau bei konzentrierter Vorgehensweise sogar in weniger als einer Stunde zu schaffen; auch für einen durchschnittlich gebildeten Bürger sollte dies in maximal zwei bis drei Stunden zu erledigen sein. Wer dies anders sehen sollte, muss sich vorwerfen lassen, den Durchschnittsbürger für dumm zu halten, beziehungsweise sich bei seiner diesbezüglichen Würdigung nicht wirklich am Durchschnitt aller Bürger sondern eher dem Durchschnitt des unteren Drittels zu orientieren.“ (Landgericht Berlin, Urteil vom 14. Juni 2016, Aktenzeichen 2 O 218/15).

Es gibt mithin nicht generell den dummen Anleger und den allwissenden – sogar gegebenenfalls mit prophetischen Fähigkeiten ausgestatteten – Berater. Die Wahrheit liegt in der Mitte und es kommt immer auf den jeweiligen Einzelfall an, der anhand des individuellen Sachverhalts akribisch ermittelt werden muss. Pauschalierungen dienen nicht dem Anlegerschutz, sondern konterkarieren denselben.

EXXECNEWS-Autor Oliver Renner ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht bei Rechtsanwälte Wüterich Breucker, Stuttgart. Der Beitrag erscheint demnächst in EXXECNEWSLEGAL Beilage 01/2017.

www.wueterich-breucker.de

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