Kleinanlegerstrategie vor der Weichenstellung
Die Diskussion um die europäische Kleinanlegerstrategie (Retail Investment Strategy, RIS) hat mit zwei neuen sogenannten „Non-Paper“ an Fahrt aufgenommen. Neben der Europäischen Kommission, die erste Vereinfachungsvorschläge präsentierte, haben nun auch Frankreich und Tschechien ein eigenes „Non-Paper“ vorgelegt.
„Non-Paper“ sind in der EU-Gesetzgebung keine offiziellen Rechtsakte, sondern dienen als informelle Diskussionsgrundlage. Sie sind rechtlich unverbindlich, zeigen jedoch auf, welche Lösungswege innerhalb der Verhandlungen erwogen werden.
Die Europäische Kommission war nach dem Start der Trilogverhandlungen beauftragt worden, den RIS-Entwurf im Sinne der Praktikabilität zu überarbeiten. Ihr Non-Paper schlägt vor, vorvertragliche Informationen zu vereinfachen, ESG-Angaben im PRIIPs-KID zu streichen sowie Eignungs- und Best-Interest-Tests zusammenzuführen. Zudem sollen Peer-Gruppen-Vergleiche und Benchmark-Modelle für verschiedene Produktgruppen eingeführt werden. Auch eine Überarbeitung des umstrittenen Inducement-Tests wurde angeregt.
Kurz darauf folgte das Non-Paper von Frankreich und Tschechien. Es fordert eine tiefere Deregulierung. Unter anderem sollen die Best-Interest-Prüfung und der Inducement-Test entfallen oder stark eingeschränkt werden. Auch die Anforderungen an die Portfoliodiversifizierung und sogenannte Level-2-Regelungen – präzisierende Ausführungsvorschriften, die maßgeblichen Einfluss auf den Beratungsalltag haben – sollen reduziert werden.
„Die Vorlage dieser beiden Non-Paper zeigt, wie offen die weitere Ausgestaltung der RIS derzeit ist“, erklärt Norman Wirth, Vorstand des Bundesverband Finanzdienstleistung AfW. „Gerade für unabhängige Vermittlerinnen und Vermittler ist es entscheidend, dass am Ende keine Regelungen stehen, die Beratung unnötig erschweren oder verteuern. Überregulierung gefährdet am Ende die Vielfalt und den Zugang zu guter Beratung.“
Während die ursprünglichen Pläne für ein Provisionsverbot halbwegs vom Tisch sind, sieht der AfW weiterhin besonders kritisch die Pläne zur indirekten Preisregulierung über europaweite Benchmarks. „Staatliche Preisvorgaben passen nicht zu funktionierenden Märkten. Sie können zu einer Einschränkung der Beratungsvielfalt führen und gerade Kleinanleger von der unabhängigen Beratung ausschließen“, so Wirth weiter.
Norman Wirth fasst zusammen: „Der aktuelle Verlauf der RIS-Debatte wirft ernste Fragen auf. Statt zu einer besseren Kapitalmarktteilnahme beizutragen, drohen sich die Verhandlungen in technischen Detailregelungen und Bürokratie zu verlieren. Die Interessen der Kleinanlegerinnen und -anleger und ihrer qualifizierten, unabhängigen Beratung geraten dabei zunehmend aus dem Blick. Es ist jetzt an der Kommission, Verantwortung zu übernehmen und den Kurs grundlegend, bis hin zu Rücknahme des kompletten Vorschlages zu hinterfragen – bevor ein Regelwerk entsteht, das in der Praxis mehr schadet als nützt.“ (DFPA/ljh)
Der Bundesverband Finanzdienstleistung AfW mehr als 2.100 Mitglieder und Mitgliedsunternehmen und damit rund 40.000 Versicherungs-, Investment- und Immobiliardarlehensvermittler.