EuGH bremst den BGH aus – Verbraucherrechte werden entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BGH gestärkt
Gastbeitrag von Rechtsanwalt Oliver Renner zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 26. März 2020 zum Widerruf eines Immobilienkredits. Er sieht die Verbraucherrechte entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gestärkt:
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 26. März 2020 (Aktenzeichen C-66/19) den Bundesgerichtshof ausgebremst. Ein Verbraucherkreditvertrag muss den Darlehensnehmer in klarer, prägnanter Form über die Widerrufsfrist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts informieren, hat der EuGH entschieden.
Hintergrund
Das Landgericht Saarbrücken hat mit Beschluss vom 17. Januar 2019 (Aktenzeichen 1 O 164/18) dem Europäischen Gerichtshof im Zusammenhang mit dem Widerruf eines Immobilienkredits Fragen zur Auslegung der Europäischen Richtlinie vorgelegt. Es geht hierbei unter anderem um die Frage, ob die Wendung in der Widerrufsinformation, die Widerrufsfrist beginne „nach Abschluss des Vertrages, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB … erhalten hat“ klar und verständlich ist.
Der Bundesgerichtshof hatte hierzu am 22. November 2016 (Aktenzeichen XI ZR 434/15) bereits entschieden, dass eine solche Widerrufsinformation ausreichend sei. Dem folgte auch – soweit ersichtlich – die Rechtsprechung bundesweit (vergleiche hierzu unter anderem: OLG Stuttgart, Beschluss vom 4. Februar 2019, Aktenzeichen 6 U 88/18; OLG Brandenburg, Urteil vom 29. Mai 2019, Aktenzeichen 4 U 97/18).
Vorlage an den EuGH
Anders sah dies die 1. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken. Nach Auffassung des Landgerichts Saarbrücken sei es zweifelhaft, ob die Angaben in der Widerrufsinformation „in klarer, prägnanter Information“ erfolgen, wie es die Richtlinie 2008/48/EG vom 23.04.2008 in Art. 10 Abs. 2 lit. p) vorsieht. Daher hatte das Landgericht Saarbrücken diese Frage dem Europäischen Gerichtshof im Wege einer sogenannten fakultativen Vorabentscheidung vor.
Dieser Weg war dem Landgericht Saarbrücken entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs daher möglich, da der Europäische Gerichtshof das Auslegungsmonopol über die Richtlinie hat. Nur so kann auch eine einheitliche Rechtsprechung europaweit erfolgen.
Das Landgericht Saarbrücken versuchte mit seinem Beschluss den Bundesgerichtshof auszubremsen. Der Bundesgerichtshof war – auch unter Berücksichtigung des Beschlusses Landgerichts Saarbrücken – der Auffassung, dass eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht zu erfolgen habe (BGH, Beschluss vom 12. November 2019, Aktenzeichen XI ZR 74/19).
Entscheidung des EuGH
Anders sieht dies nun der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 26. März 2020 (Aktenzeichen C-66/19). Der EuGH stellt zunächst klar, dass die Richtlinie dahin auszulegen ist, dass Verbraucherkreditverträge in klarer und prägnanter Form die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist angeben müssen. Andernfalls würde die Wirksamkeit des Widerrufsrechts ernsthaft geschwächt. Dass ein Kreditvertrag hinsichtlich der Pflichtangaben, deren Erteilung an den Verbraucher für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich ist, auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats verweist, laufe der Richtlinie zuwider. Im Fall einer solchen Kaskadenverweisung könne der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrags nämlich weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen noch überprüfen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle erforderlichen Angaben enthält.
Fazit
Zahlreiche Immobiliendarlehensverträge könnten nunmehr auf Grundlage der Entscheidung des Europäischen Gerichtshof nach Widerruf wieder zur Disposition stehen. Die nicht verbraucherfreundliche Auslegung des BGH wird vom EuGH nicht geteilt.
Unser Autor Oliver Renner ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht bei der Kanzlei Wüterich Breucker Rechtsanwälte, Stuttgart. Der Beitrag ist zuerst erschienen auf der Kanzlei-Homepage.