Industrie, Innovation und Infrastruktur – SDG 9 zwischen Konsum und Investition, zwischen Krise und Struktur, zwischen kurzfristigem Defizit und langfristigem Vermögen. Wer etwa eine Schule saniert oder ein Wasser- stoffnetz aufbaut, schafft Werte, die über Jahr- zehnte wirken. In der Unternehmenswelt nennt man das Kapitalbindung. In der Politik nennt man es: Verfassungsbruch, wenn es über 0,35 Pro- zent Neuverschuldung hinausgeht. Drei Wege aus der Sackgasse Die Autoren entwickeln nun aber keinen radika- len Gegenentwurf, sondern einen pragmatischen Reformmix: 1. Kurzfristig: Methodische Verbesserungen bei der Konjunkturberechnung, um Investitionen nicht künstlich zu deckeln. 2. Mittelfristig: Sondervermögen für Infrastruk- tur und Transformation – analog zum Bundes- wehrfonds, aber mit Investitionsbindung und poli- tischer Kontrolle. 3. Langfristig: Eine neue „Goldene Regel“, die Kreditaufnahme für echte Nettoinvestitionen er- laubt – kombiniert mit einem Investitionsbeirat, der Missbrauch verhindert. Dullien: „Die im März erfolgte Anpassung der Schuldenbremse war eine „Notoperation“. Mit dem Sondervermögen von 500 Milliarden Euro wurde ein erster Schritt gemacht. Jetzt muss nachgelegt werden – mit Weitblick und Verläss- lichkeit. Denn aktuell birgt die Regelung die Ge- fahr, dass man zu viel Schulden machen kann. Hier erwarten wir eine Nachbesserung durch die Kommission.“ Etwa durch eine „Goldene Regel“, nach der staatliche Nettoinvestitionen kreditfi- nanziert werden dürfen. Auch EU-Regeln sind für die Autoren kein Show- stopper. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt erlaube Spielräume – sie müssten nur genutzt werden. Wo das nicht ausreiche, müsse der Pakt erneut reformiert werden, so Dullien, so, wie man ihn schon 2024 reformiert habe. Warum das auch die Privatwirtschaft angeht Für viele Unternehmerinnen und Unternehmer ist das Thema Staatshaushalt ein rotes Tuch. Büro- kratisch, langsam, ideologisch aufgeladen. Doch das könnte sich bald ändern. Denn ohne staat- lichen Investitionsimpuls bleibt auch der private Sektor stecken. Ladeinfrastruktur, digitalisierte Schulen, günstiger grüner Strom – all das braucht der Markt, um überhaupt investieren zu können. Zugleich gilt: Ein investitionsfähiger Staat ist plan- bar. Wer heute ein Wasserstoffkraftwerk oder eine Recyclinganlage finanzieren will, braucht einen Zeithorizont jenseits der Legislaturperio- de. Und stabile Rahmenbedingungen. Der Staat kann genau das bieten – wenn er es sich erlaubt. k c o t s r e t t u h s : o t o F Die neue Schuldenkultur Die Schuldenbremse, wie sie heute im Grundgesetz steht, war ein Produkt ihrer Zeit: der Schuldenkri- se, der schwarzen Null, der Angst vor Griechen- land. Heute aber ist das Problem nicht zu viel Ver- schuldung – sondern zu wenig Vermögensbildung. Die Kapitalmärkte wissen das längst: Deutschland zahlt Negativzinsen, hat aber marode Schulen, langsames Netz und steigende Standortkosten. Die Autoren sprechen deshalb von einer neuen Schuldenkultur, die nicht auf ideologische Maximal- positionen zielt, sondern auf wirtschaftliche Wir- kung. Und auf einen Staat, der Zukunft nicht ver- waltet, sondern gestaltet. „Ich wünsche mir Mut zur Realität“, so Dullien, „die Zeit der Illusion, man könne Transformation aus dem laufenden Haushalt stem- men, ist vorbei. Wir brauchen fiskalische Regeln, die Zukunftsinvestitionen ermöglichen, ohne die Schul- dentragfähigkeit aus dem Blick zu verlieren“. Keine Revolution, aber ein Richtungswechsel Was Dullien und Hüther vorlegen, ist kein Plädoyer für Schulden um jeden Preis. Es ist eine Einladung zu mehr ökonomischem Realismus. In ihren Wor- ten: „Wohlstandssteigernde Fiskalregeln“. Trotz ihrer ideologischen Differenzen kommen Ihre bei- den Institute in der Studie zu dem Schluss, dass Reformen der Schuldenregeln unumgänglich sind, Investitionen in Transformation, Klimaschutz und Resilienz kein Luxus, sondern eine ökonomische Notwendigkeit sind und neue Finanzierungswege bedarfsgerecht und fiskalisch verantwortungsvoll ausgestaltet werden können. ◆ Die diesem Text zu Grunde liegende Studie finden Sie hier. Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor am Insti- tut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) berät die deut- sche Bundesregierung in Fragen der Nachhaltigkeit und soll mit Beiträgen und Projekten die deutsche Nachhaltigkeits- strategie fortentwickeln und umsetzen helfen. Rat für Nachhaltige Entwicklung Impact Investing Jahrbuch 2025 41