Chinas Tech-Riesen im Visier der Regulierungsbehörden

Marktkommentar von Hagen Ernst, stellvertretender Leiter des Bereichs Research & Portfoliomanagement bei DJE Kapital, zur strengeren Regulierung chinesischer Technologiekonzerne. Er hält die Ziele, die die Staatsführung erreichen will, für durchaus plausibel:

Hagen Ernst
Hagen Ernst

Eine Dekade lang herrschte in China ungebremstes Wachstum, und für die Regierung stand die Bekämpfung von Armut ganz oben auf der Agenda. Jetzt will sich China verstärkt auf nachhaltiges Wachstum und soziale Gerechtigkeit konzentrieren. Dafür setzt die Staatsführung auf eine immer strengere Regulierung von Unternehmen, was derzeit vor allem die mittlerweile sehr dominant gewordenen Technologiekonzerne zu spüren bekommen.

Bereits im November letzten Jahres hatte die Regulierung im chinesischen Fintech-Segment für Aufsehen gesorgt, als eine neue staatliche Maßnahme zur Wahrung der Finanzstabilität in Kraft getreten ist. Diese Vorschrift verlangt höhere Einlagen bei Kreditvergaben – mindestens 30 Prozent Eigenkaptal – auch bei Kleinstkrediten, was generell das Wachstum im Kreditgeschäft bremst. Ant Financial, der Finanzarm des E-Commerce-Riesen Alibaba, hatte bis dato großzügig Kredite vergeben. Deren Risiken trugen jedoch die Partnerbanken. Mit der Regulierung musste der bereits angekündigte Börsengang von Ant kurzfristig abgesagt werden. Daraufhin geriet auch der Mutterkonzern unter Druck und konnte sich seitdem nicht wieder richtig erholen. Das war der Anfang einer mittlerweile breiten Korrektur der zuvor hoch im Kurs stehenden chinesischen Internetwerte.

Alibaba und Tencent: gemeinsame Ökosysteme?

Übermächtig gewordene IT-Konzerne wie Tencent und Alibaba sollen durch Regulierung geschwächt und der Wettbewerb gefördert werden. Dabei scheut die chinesische Regierung auch nicht vor drastischen Maßnahmen zurück. Tencent hält mit seiner Kommunikationsplattform WeChat das Monopol in diesem Segment, und die größte heimische IT-Firmengruppe Alibaba verfügt über einen Marktanteil von über 50 Prozent im Onlinehandel. Im Zuge der Interventionen wurden Alibaba exklusive Partnerschaften mit Einzelhändlern untersagt, und dem Musik-Streaming-Anbieter Tencent Music (60 Prozent Marktanteil) exklusive Musikrechte ohne Kompensation entzogen. Auch die Fusion der Tencent-Beteiligungen Douyu und Huya, die zusammen den Markt für Spiele-Streamingdienste mit einem Marktanteil von 70 Prozent dominiert hätten, wurde untersagt. Die Konzerne Tencent und Alibaba haben jüngst reagiert, indem sie ihre „geschlossenen Ökosysteme“ nun gegenseitig öffnen wollen. So könnte WeChat Pay auf Alibabas E-Commerce-Marktplätzen Taobao und Tmall eingeführt – und im Gegenzug Alibaba-E-Commerce-Listings auf der WeChat-App gezeigt werden.

Mehr Datenschutz und -hoheit

Wie in den USA und Europa soll auch in China der Datenschutz zukünftig wichtiger, das Sammeln und Auswerten von Daten dagegen restriktiver werden. Zudem will Chinas Führung die volle Kontrolle über alle Daten, die in den Unternehmen gesammelt werden. Daher sieht die chinesische Regierung vor allem Börsengänge chinesischer Firmen im Ausland – besonders in den USA – sehr kritisch. Man hat Angst, dass chinesische Daten abgegriffen werden könnten, und will daher die Datenspeicherung im Ausland erschweren beziehungsweise verhindern.

Jüngstes Beispiel hierzu ist der Fahrdienstleister Didi, auf den 80 Prozent Marktanteil in China entfallen: Kurz nach dessen Börsengang in den USA sperrte man die Didi-App für Neukunden, angeblich aus Sicherheitsgründen. Um ein Exempel zu statuieren, kündigten die chinesischen Regulierungsbehörden dem Unternehmen zudem harte Strafen an. Die Geldstrafe könnte noch höher ausfallen als die jüngst wegen Wettbewerbsverstößen gegen Alibaba verhängte Rekordsumme von rund 2,4 Milliarden US-Dollar. Damit wäre ein Großteil der Einnahmen aus dem Börsengang verloren. Auch WeChat war zuletzt aus Datenschutzgründen eine Zeit lang für Neukunden gesperrt – ist aber inzwischen wieder geöffnet.

Faire Löhne für Essenslieferanten

Soziale Gerechtigkeit und Gemeinwohl: Diesen übergeordneten Zielen will die chinesische Regierung wieder mehr Geltung verschaffen. Die Regulierungen zielen daher darauf ab, die enormen Profite einzelner Konzerne einzudämmen und wenn möglich zu resozialisieren, so dass auch die breite Gesellschaft daran teilhat. So wurde Meituan, der Platzhirsch unter den Online-Essenslieferdiensten in China, dazu aufgefordert, seine Fahrer besser zu vergüten. Meituan muss ab sofort sicherstellen, dass die Fahrer wenigstens den Mindestlohn erhalten. Die Meituan-Aktie gab daraufhin stark nach – im Grunde übertrieben, denn als Marktführer dürfte Meituan die gestiegenen Auslieferungskosten relativ einfach an die Kunden weitergeben können. Aber nicht nur in China wird dieses Segment zunehmend reguliert: Erst Anfang August befand das oberste Gericht des US-Bundesstaates Kalifornien, dass die Fahrdienstleister Uber und Lyft ihren Fahrern künftig Mindestlohn bezahlen und sie anstellen müssten, statt sie als unabhängige Subunternehmer für sich arbeiten zu lassen.

Nachhilfe – nur noch gemeinnützig

Eine neue Dimension an Regulierungsschärfe erreichte die chinesische Regierung mit ihrer jüngsten Ankündigung zum sogenannten „Edu“-Markt: Nachhilfe- und Fortbildungen für Kinder zwischen Kindergarten und 9. Schulklasse dürfen nur noch gemeinnützig und nicht mehr profitorientiert angeboten werden. Damit lösten sich die bis dato erfolgreichen Geschäftsmodelle der chinesischen Bildungsanbieter, darunter die TAL Education Group, Gaotu Techedu oder New Oriental Education, quasi in Rauch auf. Diese Ankündigung veranlasste ausländische Investoren, chinesische Technologiewerte abzustoßen: Mehr als 16 Milliarden US-Dollar an Marktkapitalisierung wurden allein bei Education-Aktien ausradiert. Wahrscheinlich hatte niemand derartige Eingriffe auf der Agenda, die zur Verstaatlichung einer ganzen Industrie führen.

Spieleindustrie: Bannmeilen für „geistiges Opium“

Auch die Spieleindustrie, von der chinesischen Regierung ohnehin nur widerwillig toleriert, ist erneut in den Fokus der Regulierung geraten. Die Unternehmen dieses Segments erlebten bereits 2018, dass die Behörden monatelang keine neuen Spiele mehr genehmigten. Nun übte die Staatsführung wieder harsche Kritik an Computerspielen, diese seien „geistiges Opium“ und hätten negative Folgen für Verhalten und Bildung von Kindern. Künftig soll vor allem der Zugang von Minderjährigen stärker reguliert werden.

Führende Spieleanbieter, wie Tencent oder NetEase, haben darum bereits seit geraumer Zeit diverse Funktionalitäten wie Gesichtserkennung, Spielerregistrierung sowie zeitliche Spieldauerbegrenzungen für Minderjährige eingeführt, diese nach der jüngsten staatlichen Kritik nochmals verschärft. Die beiden Unternehmen erwirtschaften einen Großteil ihres Gewinns im Spielesegment. Entsprechend sensibel reagieren diese Werte auf eine derartige Kritik. Aber eine schärfere Regulierung muss nicht zwangsläufig zu Umsatzrückgängen führen. Maßnahmen zum besseren Schutz Minderjähriger könnte die Branche verkraften. Tencent etwa erzielt nur ein bis zwei Prozent seines Umsatzes (die Dunkelziffer ist sicherlich höher) bei dieser Altersgruppe. Sollte es aber zu einer breit angelegten Intervention wie generellen Spieleverboten oder starken Spielzeitbegrenzungen kommen, würden Umsatz und Gewinn von Tencent und NetEase einbrechen.

Plausible Ziele müssen nicht abschrecken

Die weitere Entwicklung chinesischer Technologiewerte ist schwer einzuschätzen. Zum einen, weil die chinesischen Regulierungsbehörden so hart vorgehen – zum anderen, weil es nicht klar ist, ob und welche Maßnahmen noch folgen. Daher ist es auf den ersten Blick nachvollziehbar, dass sich einige ausländische Investoren von diesen Titeln verabschiedet haben. Die jüngsten Schritte gegenüber Anbietern von Online-Bildungsangeboten haben verdeutlicht, wie hoch das Risiko ist. Im schlimmsten Fall sind Geschäftsmodelle von heute auf morgen nicht mehr existent. Vor allem die Spieleindustrie könnte es mit neueren, noch härteren Regulierungsmaßnahmen treffen.

Allerdings sind die Ziele, die Chinas Machthaber mit ihren Interventionen erreichen wollen, durchaus plausibel: Nachhaltigkeit, mehr Datenschutz, mehr Wettbewerb beziehungsweise Machtbegrenzung einzelner Konzerne, gerechtere Löhne, Jugendschutz oder gleiche Bildungschancen für alle. Die bislang verhängten Regulierungsmaßnahmen dürften das Gros der chinesischen Technologiekonzerne nur am Rande betreffen. Das zukünftige Wachstum wird aber nachhaltiger werden müssen: Internetriesen wie Tencent oder Alibaba werden langfristig vermutlich etwas langsamer als der Markt wachsen, damit andere Anbieter Marktanteile gewinnen können. Eine Kurskorrektur von über 40 Prozent rechtfertigt das nicht. Pessimisten argumentieren, dass die Regulierung zu mächtig gewordener Internetkonzerne erst begonnen habe. Optimisten wiederum betrachten den harten Eingriff im Bildungssektor als Einzelfall und setzen darauf, dass es im Interesse Chinas ist, gute und leistungsfähige Technologiekonzerne im Land zu haben. Zudem sind Onlinedienste wie WeChat und Onlinehandel mittlerweile feste Bestandteile in Gesellschaft und Wirtschaft.

Nischen prüfen: Chancen für kleinere Tech-Unternehmen

Eine mögliche Strategie wäre, in Unternehmen zu investieren, die von den Regulierungsmaßnahmen nicht so stark betroffen sind. Die in unserem Alltag nicht mehr wegzudenkende E-Commerce-Sparte ist weniger sensibel als die Computerspielebranche. Mehr Wettbewerb ist für Alibaba als dominierenden E-Commerce-Anbieter zwar von Nachteil, könnte sich aber für die kleineren Mitbewerber, wie JD.com, Pinduoduo oder Vipshop, in Form von Marktanteilsgewinnen positiv auszahlen. Aufgrund ihrer geringen Liquidität sind diese Titel zum Teil sogar stärker gefallen als Alibaba. JD.com und Vipshop treten zudem primär selbst als Verkäufer statt als Market Place für Dritte auf und sind daher von einer möglicherweise strikteren Handhabung von Daten nicht so stark betroffen.

Hagen Ernst ist stellvertretender Leiter des Bereichs Research & Portfoliomanagement bei der DJE Kapital AG, einer unabhängigen Vermögensverwaltung mit Sitz in München. Das Unternehmen ist seit 45 Jahren am Kapitalmarkt aktiv und verwaltet mit über 160 Mitarbeitern aktuell über 16,3 Milliarden Euro (Stand: 30. Juni 2021) in den Bereichen individuelle Vermögensverwaltung, institutionelles Asset Management und Publikumsfonds.

www.dje.de

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