"Die Bedeutung qualifizierter unabhängiger Berater ist größer denn je"

Noch nie zuvor war der Veränderungsdruck von so vielen Seiten gleichzeitig so hoch: regulatorische Eingriffe aus Brüssel, disruptive Technologien wie Künstliche Intelligenz, ein dramatischer Fachkräftemangel und ein zunehmend schwieriger werdender Zugang zu Verbrauchern.
Gleichzeitig ist die Bedeutung qualifizierter, unabhängiger Beratung größer denn je – insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit. Gern nehme ich hier für den AfW Bundesverband Finanzdienstleistung diese Entwicklungen zum Anlass, um auf zentrale Herausforderungen hinzuweisen und notwendige politische Weichenstellungen zu benennen.
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Regulatorische Belastung: Bürokratie als Bremsklotz für den Verbraucherschutz
Die zunehmende Regulierungsdichte im Bereich der Finanzberatung stellt Vermittler vor enorme Herausforderungen. Mit der Kleinanlegerstrategie (Retail Investment Strategy) und Vorstößen in Richtung Provisionsverbot oder Provisionsdeckel – also staatlichen Eingriffen in den Markt und bewährte Vergütungsstrukturen - drohen immer wieder bewährte Beratungsmodelle in Frage gestellt zu werden. Dies auch zum Nachteil der Verbraucher. Denn Studien zeigen: Wird die Beratung nicht über Provisionen vergütet, fällt sie für breite Bevölkerungsschichten schlichtweg weg.
Der AfW fordert daher von der Politik ein klares Bekenntnis zum dualen Vergütungssystem. Es muss weiterhin möglich sein, zwischen Honorar- und provisionsbasierter Beratung zu wählen. Die politische Diskussion in Brüssel darf nicht über die Köpfe der praktizierenden Vermittler hinweg geführt werden. Bürokratieabbau muss zur Priorität der jeweils gestarteten Legislaturperiode werden – auf europäischer wie auf nationaler Ebene.
In diesem Zusammenhang begrüßt der AfW ausdrücklich, dass im aktuellen Entwurf des Koalitionsvertrages zwischen CDU/CSU und SPD ein klares Bekenntnis zum Nebeneinander von Provisions- und Honorarberatung enthalten ist. Dieses Signal stärkt die Planungssicherheit für Vermittler und unterstreicht die Bedeutung einer vielfältigen, verbraucherorientierten Beratungslandschaft.
Ein weiteres zentrales Thema ist der Vorschlag der EU-Kommission für eine neue Verordnung zur „Financial Data Access“ (FIDA). Diese soll es erlauben, dass Drittanbieter Zugang zu Finanzdaten von Verbrauchern erhalten, sofern diese zustimmen. Der AfW erkennt in der Idee eines standardisierten Datenzugangs durchaus Potenzial für Innovation und Wettbewerb. Gleichzeitig fordert der Verband jedoch klare datenschutzrechtliche Leitplanken, Transparenzpflichten für datenverarbeitende Stellen und eine freiwillige Teilnahme für Vermittler. Der Zugang zu Daten darf kein Einfallstor für die Verdrängung unabhängiger Beratung werden, sondern muss dem Kundennutzen dienen. Wir engagieren uns in der Brancheninitiative FRIDA e.V. (https://freeinsurancedata.de) für eine diesbezügliche Regulierung mit Augenmaß.
- Nachwuchs- und Generationenwechsel: Wer folgt den Babyboomern?
Mehr als ein Drittel der in Deutschland tätigen Versicherungsmakler ist älter als 55 Jahre. Viele dieser erfahrenen Unternehmer stehen in den kommenden Jahren vor der Frage: Wer übernimmt meine Kunden, mein Lebenswerk?
Der Nachwuchsmangel im Finanzvertrieb ist real und gefährdet die flächendeckende Beratungsinfrastruktur – insbesondere im ländlichen Raum. Der AfW engagiert sich deshalb gezielt für junge Vermittler – unter anderem mit der Initiative #DIE34ER (https://die34er.de), die Austausch, Sichtbarkeit und Vernetzung fördert. Darüber hinaus braucht es jedoch bessere Rahmenbedingungen für Unternehmensnachfolge, etwa steuerliche Erleichterungen, weniger bürokratische Hürden bei Bestandsübertragungen und mehr Unterstützung bei der Gründung von Vermittlungsunternehmen.
- Künstliche Intelligenz: Assistenz, nicht Ersatz
Künstliche Intelligenz hält mit rasanter Geschwindigkeit Einzug in die Finanzdienstleistung. Ob bei der Risikoanalyse, der Kundenkommunikation oder im Backoffice – viele Aufgaben lassen sich durch KI effizienter gestalten. Der AfW begrüßt diese Entwicklung, warnt jedoch vor überzogenen Erwartungen: KI kann unterstützen, aber keine persönliche Beratung ersetzen.
Verbraucher benötigen gerade in komplexen Lebenssituationen persönliche Ansprechpartner. Der Mensch bleibt auch im digitalen Zeitalter der entscheidende Faktor für Vertrauen. Die Rolle der Vermittler wird sich wandeln – hin zu Coaches, die Technik nutzen, ohne dabei die Nähe zu ihren Kunden zu verlieren. Die Politik ist gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Innovation ermöglichen, aber nicht überregulieren. Ob der AI-Act dafür schon die Lösung ist, wird sich, insbesondere auch mit Blick auf den globalen Wettbewerb bei Thema KI noch erweisen müssen. Mindestens ist es eine bedeutende regulatorische Herausforderung mit den ganzen Pflichten in Bezug auf Schulung, Datenschutz, Dokumentation, Daten-Governance, Risikomanagement etc.
- Digitalisierung und Online-Vertrieb: Ergänzung statt Verdrängung
Der Online-Vertrieb hat sich in vielen Bereichen etabliert, insbesondere bei standardisierten Produkten. Dennoch zeigt sich: Je komplexer das Finanzprodukt, desto höher ist das Bedürfnis nach individueller Beratung. Persönlicher Kontakt, Erreichbarkeit und kontinuierliche Betreuung bleiben zentrale Erfolgsfaktoren.
Digitale Tools können den Beratungsprozess sinnvoll ergänzen, zum Beispiel durch hybride Modelle. Der AfW fordert daher technologieoffene Regulierung, die Innovation fördert, aber zugleich Qualitätsstandards sichert. Digitale Vergleichsportale oder Robo-Advisor dürfen nicht zu digitalen Einbahnstraßen werden – sondern müssen transparent und fair sein.
Fazit
Der Finanzdienstleistungsvertrieb steht vor einem fundamentalen Umbruch. Umso wichtiger ist es, dass die Rahmenbedingungen nicht nur theoretisch gedacht, sondern praxisnah gestaltet werden. Der AfW setzt sich mit guten Partnern in Deutschland und Europa mit Nachdruck dafür ein, dass die Perspektive der unabhängigen Vermittler Gehör findet – damit qualitativ hochwertige, unabhängige Finanzberatung auch in Zukunft für alle Menschen in Deutschland zugänglich bleibt.
Der Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht Norman Wirth ist geschäftsführender Vorstand des Bundesverband Finanzdienstleistung AfW, der berufsständischen Interessenvertretung unabhängiger Finanzberater. AfW vertritt mehr als 2.100 Mitglieder und Mitgliedsunternehmen und damit rund 40.000 Versicherungs-, Investment- und Immobiliardarlehensvermittler.
https://www.bundesverband-finanzdienstleistung.de
Der Beitrag ist zuerst im EXXECNEWS Schwerpunkt zu EXXECNEWS Ausgabe 09 erschienen.
