Märkte mit Mumm: Experten befürchten globalen Abschwung: Handelt es sich um eine Delle oder die Trendwende nach unten?

Carsten Mumm
Carsten Mumm

Marktkommentar von Carsten Mumm, Donner & Reuschel

Bisher handelt es sich lediglich um eine Wachstumsdelle. Man darf nicht vergessen, dass wir von einem extrem hohen Niveau der weltwirtschaftlichen Aktivität kommen und das globale Wachstum nach wie vor außergewöhnlich hoch ist. Der Internationale Währungsfond (IWF) erwartet für dieses und das kommende Jahr noch immer ein Weltwirtschaftswachstum von jeweils 3,9 Prozent. Dabei ist das Wachstum sehr homogen verteilt. Es gibt derzeit kaum Regionen auf der Welt, die von einer Rezession betroffen sind. Deutschland und der Euroraum werden in 2018 mit circa zwei Prozent deutlich über ihrem langfristigen Potenzial (in Deutschland circa 1,5 Prozent) wachsen. Die USA hatten im zweiten Quartal 2018 sogar 4,2 Prozent BIP-Wachstum im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen. Das chinesische BIP dürfte in 2018 um 6,5 Prozent zulegen – alles sehr dynamisch.

Die sich derzeit etwas eintrübenden Frühindikatoren resultieren vor allem aus den schon heute merkbaren Bremsspuren im Zuge des eskalierenden Handelskriegs. Klar ist: je länger dieser anhält und je mehr Handelsrestriktionen erhoben werden, umso heftiger ist die Bremswirkung für die globale Konjunktur. Schon heute werden vereinzelte Investitionen aufgrund unsicherer Absatzmöglichkeiten geschoben. Das kann auch bis zu einem heftigen Abschwung oder sogar Rezessionen in einzelnen Staaten führen.

Aber auch andere Aspekte bremsen derzeit die wirtschaftliche Aktivität, beispielsweise in Deutschland die ausgelasteten Kapazitäten und der Fachkräftemangel, in den USA die Leitzinsanhebungen oder in einzelnen Schwellenländern spezifische regionale Problemfelder (zum Beispiel Türkei, Argentinien, Venezuela, Iran). Eine gewisse Abkühlung ist derzeit jedoch auch nötig, um Überhitzungen (zum Beispiel eine überschießende Inflation in den USA) zu vermeiden – nur zu kühl sollte es nicht werden.

Droht eine Verschärfung des Handelskriegs?

US-Präsident Trump wandelt mit seiner derzeitigen Handelspolitik auf einem schmalen Grat, denn die ersten negativen Folgen sind auch in den USA bereits spürbar. Stahl- und Aluminiumpreise ziehen an, wodurch die Kosten für stahlverarbeitende Industrien, beispielsweise. die Autobauer, steigen und deren Gewinne belasten. Auf Waschmaschinen aus Asien wurden schon Ende 2017 bis zu 50 Prozent Zölle erhoben. Aufgrund des mangelnden Wettbewerbs sind auch hier die Preise in den USA deutlich angestiegen. Ein anderes Beispiel: Harley-Davidson kündigte an, zukünftig verstärkt außerhalb der USA zu produzieren, um die Zölle zu umgehen. Bis die Produktion im Ausland aufgebaut ist, nimmt das Unternehmen die Zölle auf die eigene Kappe, senkt also die Preise für die Motorräder zulasten des eigenen Gewinns. US-Farmer fürchten um ihre Absatzmärkte für Soja in China, Whiskey-Destillerien müssen Absatzeinbußen im Export hinnehmen und so weiter.

Trumps Wähler bekommen somit als Unternehmer, Konsument oder Aktienanleger die direkten Konsequenzen zu spüren. Diese treffen viel mehr Menschen, als es Arbeitern beispielsweise in der Stahlindustrie hilft. Allerdings sitzen Letztere im für Trump wichtigen Rust-Belt. Von dort braucht er Stimmen, um die Midterm Elections zu gewinnen. Noch sind die Zustimmungswerte für den US-Präsidenten vor allem unter republikanischen Wählern sehr hoch. Allerdings könnte die Stimmung auch schnell kippen, wenn negative Rückwirkungen Überhand nehmen. Sicherer wäre für Trump, vor den Wahlen noch einige „Deals“ zu machen, also Konfliktherde durch Verhandlungen zu lösen. Dann könnte er handfeste Erfolge vorweisen, wie jüngst im Fall Mexikos. Vor diesem Hintergrund könnte es im Herbst vielleicht eher überraschende Vereinbarungen geben, die einige Handelskonflikt-Baustellen schließen würden.

Emerging Markets Krise und Stabilität der Eurozone

Schwellenländer leiden schon heute unter dem Abzug von dringend benötigtem Investitionskapital, das teilweise sicher auch in die USA ging und dort verzinslich angelegt wurde. Natürlich sind besonders die exportorientierten Staaten unter ihnen auch von dem Handelskrieg betroffen. Dabei gilt gleiches wie bei den Industriestaaten: je länger die Auseinandersetzungen andauern und je schärfer die Sanktionen werden, umso stärker wird das Wachstum gebremst. Eine breit angelegte Schwellenländerkrise kann man daraus aber bisher nicht ableiten, dafür sind viele Staaten heute stabiler, als noch vor einigen Jahren. Die Staatsverschuldungen und Haushaltsdefizite liegen zumeist weit unter denen der Industriestaaten. Einzelne Problembereiche unter Schwellenländern sind überwiegend hausgemacht. Vor allem eine hohe Auslandsverschuldung in Fremdwährung, ein hohes Leistungsbilanzdefizit, Zweifel an der Unabhängigkeit der Notenbank und eine investitionsfeindliche Politik sind Risikofaktoren, die in der Türkei oder auch in Argentinien zu Krisen geführt haben. Nicht auszuschließen sind nach wie vor anlegerpsychologisch bedingte Ansteckungseffekte. Wenn aus bisher stabilen Staaten wegen einer allgemeinen Schwellenländer-Panik ebenfalls massiv Kapital abgezogen werden sollte, könnten auch diese Probleme aufgrund fehlenden Investitionskapitals und stark abwertender Währungen bekommen.

Die bisherigen Vorschläge der neuen italienischen Regierung sind wenig ermutigend, aber auch kaum realistisch. Die Unterstützung der chronisch schwach wachsenden Volkswirtschaft durch schuldenfinanzierte fiskalische Maßnahmen ist grundsätzlich sinnvoll – sofern sie Investitionen in die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit betreffen (also in Bildung, Digitalisierung, Infrastruktur und so weiter). Konsumtive Ausgaben wie ein Grundeinkommen, ein früherer Renteneintritt oder allgemeine Steuererleichterungen sind derzeit weniger hilfreich. Es ist allerdings nicht damit zu rechnen, dass der Haushaltsentwurf an die gemäß Maastricht-Kriterien vorgesehene Grenze von einem Haushaltsdefizit in Höhe von drei Prozent heranreicht. Sogar der italienische Finanzminister Tria möchte das Defizit bei 1,5 Prozent beschränken, um kein weiteres Vertrauen an den Finanzmärkten zu verlieren. Basisszenario ist daher, dass die italienische Regierung keinen kompletten Konfrontationskurs gegen die EU durchhält. Auch sie braucht schnell vorzeigbare Erfolge. Die Zustimmung Italiens zum EU-Haushaltsentwurf etwa könnte durch eine Entlastung des Landes bei der Aufnahme von Flüchtlingen erreicht werden. Sollte es doch zu kritischen Turbulenzen und der Gefahr der Destabilisierung weiterer Eurostaaten kommen, ist davon auszugehen, dass die EZB zumindest verbal und im Notfall auch mit Wertpapierkäufen erneut stabilisierend eingreifen würde.

Brexit steht vor der Tür

Unter den gegebenen Voraussetzungen deutet vieles auf ein ungeordnetes Ausscheiden Großbritanniens aus der Eurozone („No-Deal-Szenario“) hin. Die jüngsten Vorschläge der britischen Premierministerin May sind vonseiten der EU kaum akzeptabel, da diese auf den weitgehenden Erhalt der Handelsfreiheit bei gleichzeitiger Beschränkung beispielsweise des freien Personenverkehrs hinausliefen („Rosinenpicken“). Das Kernproblem ist derzeit aber die verrinnende Zeit. So müssen wesentliche Vereinbarungen schon im Herbst dieses Jahres stehen, um noch vom britischen Parlament sowie allen anderen Eurostaaten ratifiziert zu werden. In Anbetracht des bisher wenig erfolgreichen Verhandlungsverlaufes ist eine so schnelle Einigung kaum realistisch. In 40 Jahren entstandene rechtliche und ökonomische Verflechtungen können kaum innerhalb von Wochen sinnvoll anders geregelt werden. Wünschenswert wäre ein ungeordnetes Ausscheiden indes für keinen Beteiligten. Zu groß sind die Gefahren für die wirtschaftliche Dynamik – vor allem in Großbritannien selbst.

Für ein neues Referendum mit einem gegebenenfalls anderen Ausgang („No-Brexit-Szenario“) fehlt ebenfalls die Zeit. Zudem kann man Unternehmen, die bereits ihre Konsequenzen aus dem anstehenden Brexit gezogen, zum Beispiel Unternehmensteile in andere europäische Staaten verlegt, haben, kaum erklären, dass man kurzerhand eine Kehrtwende gemacht hat. Politische Stabilität sähe anders aus. Somit wäre der sinnvollste Weg eine Verlängerung der Verhandlungsfrist, wenn nötig auch um einige Jahre. Nur so wäre es möglich, eine EU-Regelung nach der anderen zu verhandeln und für Großbritannien neu zu regeln ohne ein zwischenzeitliches Chaos zu provozieren.

Folgt der konjunkturelle Abschwung?

In Europa hat die anhaltende Niedrigzinsphase mit Sicherheit dazu geführt, dass es im Markt einige „Zombie“-Unternehmen gibt. Diese können sich nur noch deshalb halten, weil sie sich zu extrem günstigen Konditionen refinanzieren können. Der natürliche Ausleseprozess der Marktwirtschaft ist an dieser Stelle sozusagen teilweise ausgesetzt. Sobald die Zinsen steigen, wird von diesen eines nach dem anderem aus dem Markt ausscheiden. Je länger die Phase niedriger Zinsen jedoch andauert, desto mehr Zombie-Unternehmen gibt es. Entscheidend für die Auswirkungen des Zinsanstiegs ist die Schnelligkeit der Bewegung. Solange die Zinsen langsam ansteigen, dürfte es nicht zu einem plötzlichen Abstürzen ganzer Marktsegmente kommen (zum Beispiel hoch verzinsliche Unternehmensanleihen). Nicht mehr rentable Unternehmen würden sukzessive insolvent werden, die Ausfallraten stiegen langsam an und Anleger könnten einzelne Ausfälle kompensieren. Letztlich wäre dies sogar ein wünschenswerter Effekt, um die notwendige Bereinigung anzustoßen. Ein schneller und deutlicher Zinsanstieg könnte hingegen eine Panikreaktion hervorrufen und für Turbulenzen sorgen. Die EZB dürfte daher alles tun, um einen schnellen Zinsanstieg zu vermeiden. In den USA hat dieser Prozess seit den ersten Leitzinsanhebungen Ende 2015 bereits stattgefunden, bisher ohne größere negative Auswirkungen. Mit dem konjunkturellen Abschwung ist es ähnlich: auf die Geschwindigkeit kommt es an. Zumindest in Europa waren die Banken in den letzten Jahren nicht an spekulativen Kreditvergaben in größerem Ausmaß beteiligt. Dafür sind die regulatorischen Auflagen zu hoch, die Ertragslage seit Jahren zu schwach und Risiken werden nur noch vergleichsweise restriktiv eingegangen.

Die Löhne steigen sowohl dies- als auch jenseits des Atlantiks weiterhin nur moderat – vor allem gemessen an den sich nahe an der Vollbeschäftigung befindlichen Arbeitsmärkten in Deutschland und den USA. Moderate Reallohnsteigerungen sind sogar wünschenswert, weil sie den privaten Konsum als Stütze der konjunkturellen Entwicklung anstoßen.

Die chinesische Volkswirtschaft wird traditionell sehr stark von der Zentralregierung beeinflusst. Diese hat sich die steigende Verschuldung bereits seit circa zwei Jahren auf die Agenda genommen und einige Maßnahmen zu deren Begrenzung implementiert (zum Beispiel steigende regulatorische Anforderungen und höhere Eigenkapitalanforderungen für Banken, bessere Überwachung der Schattenbanken). Aufgrund der geringen Verschuldung des Zentralstaates von weniger als 50 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes (BIP) besteht zudem die Möglichkeit bei Bedarf durch fiskalische Impulse zu stützen. Die Grundannahme ist daher, dass es zu keinen erheblichen Verwerfungen aufgrund der chinesischen Verschuldung kommt.

Die globalen Aktienmärkte befinden sich definitiv auf erhöhten Niveaus. US-Aktien sind mittlerweile sogar relativ teuer, was zumindest bei anhaltend niedrigen Zinsen in Europa auf die hiesigen Aktienmärkte nicht zutrifft – genauso wie auf die Börsen der Schwellenländer allgemein nicht. Spekulationsblasen vergleichbar mit der Situation Ende der 1990er-Jahre sind an den Aktienbörsen allerdings derzeit nirgendwo erkennbar. Zudem stirbt ein Aufschwung nicht aufgrund seines Alters. Es kommt auf die fundamentalen Rahmendaten an. In Europa sind mit Blick auf die kommenden zwei bis drei Jahre keine nennenswerten Zinssteigerungen absehbar – ein wichtiger Faktor für die Stabilität der Aktienmärkte. Außerdem läuft die Konjunktur noch sehr robust. In diesem Umfeld kann die Aktienhausse noch einige Monate oder sogar wenige Jahre tragen. Wer jetzt aussteigt, läuft Gefahr, sein Kapital sehr lange unverzinslich parken zu müssen. Wer noch keine oder zu wenig Aktien im Depot hat, kann daher trotzdem heute investieren. Dabei macht es Sinn, US-Aktien geringer zu gewichten. Auf jedem Fall braucht man derzeit mehr denn je ein vorab klar definiertes und konsequent umzusetzendes Risikomanagement, um die Gefahr übermäßiger Verluste zu reduzieren, wenn es doch einmal wieder deutlicher abwärtsgeht.

Den Handelskrieg sehen wir als größtes Risiko für die Entwicklung an den Aktienmärkten. Sollte dieser tatsächlich im bisherigen Tempo weiter eskalieren, trüben sich über negative konjunkturelle Effekte auch die Aussichten für die globalen Aktienmärkte erheblich ein. Auf der anderen Seite steckt hier auch die größte Chance. Vor allem viele stark vom Export abhängige europäische und Schwellenländeraktien haben in diesem Jahr aufgrund der zunehmenden Handelsrestriktionen bereits deutlich korrigiert. Sobald es Anzeichen für eine Deeskalation gibt, dürften diese schnell einen großen Teil der zuletzt negativen Wertentwicklung aufholen. Da vorerst weiterhin kaum berechenbare politische Einflussfaktoren die entscheidenden Impulse für die Börsen geben werden, kann schnelle Handlungsfähigkeit und ein professionelles Management des Portfolios ein entscheidender Vorteil sein.

Carsten Mumm ist Leiter Kapitalmarktanalyse und Chefvolkswirt des Bankhauses Donner & Reuschel, Hamburg und München. Er ist verantwortlich für die Erstellung der Konjunktur- und Kapitalmarktprognosen sowie der kapitalmarktrelevanten Publikationen. In der Reihe „Märkte mit Mumm“ fasst er regelmäßig die Markt- und Meinungslage zusammen.

www.donner-reuschel.de

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