Mehr als ein Algorithmus: Warum ethische Kompetenz im KI-gestützten Asset Management unerlässlich ist

Künstliche Intelligenz verändert das Asset Management. Sie analysiert scheinbar objektiv schneller, erkennt Muster und liefert Handlungsempfehlungen. Doch wer entscheidet über die Entscheidung? Es geht um eine neue ethische Kompetenz im Umgang mit KI-gestützten Ergebnissen: Asset Manager brauchen nicht nur technisches Know-how, sondern auch Urteilsvermögen, das sich an Werten orientiert.
Die zunehmende Integration Künstlicher Intelligenz in die Vermögensverwaltung verspricht Effizienzgewinne, analytische Tiefenschärfe und datenbasierte Vorhersagen, wie sie vor wenigen Jahren kaum denkbar waren. Ob bei der Risikobewertung, der Portfoliooptimierung oder der makroökonomischen Szenarienanalyse – Algorithmen und Machine-Learning-Systeme liefern heute Ergebnisse, die traditionelle Methoden nicht nur ergänzen, sondern in ihrer Geschwindigkeit und Komplexität überholen.
Doch dieser technologische Fortschritt ist nicht neutral. Er bringt nicht nur bessere Ergebnisse, sondern auch neue Verantwortlichkeiten mit sich. Denn KI produziert keine „Wahrheiten“, sondern auf Basis von Trainingsdaten und mathematischen Modellen erzeugte Wahrscheinlichkeiten. Diese Ergebnisse besitzen keine ontologische Geltung, sondern sind Konstruktionen – formal valide, aber kontingent und kontextabhängig. Wahrheit in einem ethischen oder erkenntnistheoretischen Sinne ist mehr als ein Korrelationsmuster: Sie verlangt nach Transparenz der Voraussetzungen, nach Reflexion der Zielperspektiven und nach der Bereitschaft, auch das Nicht-Messbare in den Blick zu nehmen. Welcher Zeithorizont optimiert wird, welches Risikomaß zugrunde liegt und welche Annahmen über Marktverhalten dominieren – all das sind normativ aufgeladene Entscheidungen, die nicht dem Algorithmus, sondern seinen menschlichen Entwicklern und Anwendern zuzurechnen sind.
Die Illusion der Objektivität – und die Rolle des Menschen
Die Versuchung, KI-gestützte Analysen als objektive Empfehlungen zu behandeln, ist groß. Zahlen, Korrelationen und Heatmaps wirken neutral, doch die Geschichte algorithmischer Entscheidungen zeigt, dass keine Datenbasis ohne blinde Flecken ist und keine Rechenvorschrift frei von Werturteilen. Selbst wenn ein Modell ausschließlich vergangenheitsbasierte Renditedaten nutzt, ist implizit eine normative Präferenz für bestimmte Märkte, Zeiträume und Bewertungen enthalten. Wer Empfehlungen aus Black-Box-Modellen übernimmt, delegiert Entscheidungsverantwortung an ein System, das sich selbst nicht zur Rechenschaft ziehen kann. Hier liegt die ethische Sollbruchstelle: Nicht die KI entscheidet über Kauf oder Verkauf, über Risikoakzeptanz oder Umschichtung – sondern der Mensch, der sie einsetzt. Dieser Mensch – in der Regel der Vermögensverwalter beziehungsweise Asset Manager – trägt die Verantwortung dafür, ob die KI in den Dienst der Kundenziele und -werte gestellt wird oder diese im Streben nach vermeintlicher Objektivität übergeht.
Ethische Kompetenz als Teil professioneller Beratung
Vor diesem Hintergrund wird eine neue Dimension professioneller Beratung sichtbar. Sie besteht nicht allein in der Kenntnis technischer Modelle, ihrer Vor- und Nachteile, sondern in der Fähigkeit zur ethischen Einordnung der maschinell generierten Resultate. Was bedeutet es für die Anlageentscheidung, wenn ein Modell systematisch ESG-Risiken ignoriert? Wie ist ein optimiertes Portfolio zu bewerten, das zwar im Modell stabil erscheint, aber hohe Klumpenrisiken in politisch sensiblen Regionen birgt? Und wie geht man mit KI-generierten Trends um, die kurzfristige Gewinne suggerieren, aber langfristige Risiken ausblenden? Hier zeigt sich: Der ethisch reflektierte Asset Manager ist kein reiner Techniker, sondern ein Interpret. Er oder sie erkennt die normativen Implikationen der technischen Analyse, bringt sie in Dialog mit den Zielen, Werten und Interessen der Kundschaft und trifft auf dieser Basis eine Entscheidung. Dies erfordert mehr als Compliance-Schulungen – es braucht ethische Urteilskraft, Sensibilität für Ambivalenzen und die Bereitschaft, Verantwortung nicht an die Maschine zu delegieren.
Diese ethische Urteilskompetenz umfasst auch das Bewusstsein für Zielkonflikte und Dilemmata, die durch KI-gestützte Prozesse verstärkt sichtbar werden. So kann ein algorithmisch berechnetes Portfolio aus Sicht der Volatilitätsminimierung optimal erscheinen – gleichzeitig jedoch Branchen, Regionen oder Geschäftsmodelle begünstigen, die mit den Werthaltungen eines institutionellen oder privaten Anlegers in Konflikt stehen. Genau hier zeigt sich die Relevanz eines ethischen Filters, der die Entscheidung nicht technisch, sondern im Lichte individueller, sozialer und ökologischer Verantwortung interpretiert. Der Asset Manager wird zum Mittler zwischen Maschine und Mensch, zwischen Prognose und Prinzip. Nicht jede rechnerisch sinnvolle Empfehlung ist auch ethisch tragfähig. Gerade in Zeiten wachsender Unsicherheit und beschleunigter Datenflüsse ist es diese Fähigkeit zur wertebasierten Relativierung von Maschinenoutput, die Vertrauen schafft – und die langfristig zur Differenzierung im Wettbewerb beitragen kann.
Vom Maschinenpartner zur Wertepartnerschaft
Die Zukunft des Asset Managements und der individuellen Vermögensverwaltung liegt nicht in der vollständigen Automatisierung, sondern in der klugen Koordination von technischer und ethischer Intelligenz. KI kann, richtig eingesetzt, ein wertvoller Partner sein – zur Erweiterung menschlicher Urteilskraft, nicht zu deren Ersatz. Voraussetzung dafür ist eine bewusste Werteorientierung in der Gestaltung, Auswahl und Interpretation von Algorithmen. Das erfordert ein neues Rollenverständnis bei Vermögensverwaltern: Sie sollten sich nicht nur Zahlenleser verstehen, sondern als Sinngeber, nicht nur als Datenanalysten, sondern als ethische Lotsen. Denn am Ende zählen nicht nur die Ergebnisse, sondern auch der Weg, auf dem sie zustande kommen – und die Verantwortung, die dabei übernommen wird.
Dr. Patrick Peters, MBA ist Professor für Kommunikation, PR und digitale Medien an der Allensbach Hochschule (Konstanz) und befasst sich intensiv mit wirtschaftsethischen Fragestellungen, vor allem auch im Kontext von Künstlicher Intelligenz. Er berät und trainiert Unternehmen individuell in diesen Themengebieten.
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Der Beitrag ist zuerst in EXXECNEWS Ausgabe 10-2025 erschienen.
