Retrozessionen: Schweizer Bundesgerichtsurteile stärken den Anlegerschutz
Seit geraumer Zeit steht Dank mehrerer letztinstanzlicher Urteile fest, dass Retrozessionen – Vertriebs- und Bestandspflegeprovisionen, die Schweizer Banken und Vermögensverwalter jahrelang kassierten – grundsätzlich den Anlegern zustehen und dass die Schweizer Banken und Vermögensverwalter die geschuldeten Kickbacks gemäß Artikel 400 Absatz 1 Obligationenrecht (OR) an den Auftraggeber herauszugeben haben. Mit Urteil vom 13. Mai 2020 (Aktenzeichen 4A 355/2019) konkretisierte das Schweizer Bundesgericht seine Rechtsprechung zum sogenannten „Retro-Leiturteil Nr. 2“ aus dem Jahr 2011 (Aktenzeichen 4A 266/2010) hinsichtlich der Anforderungen an einen rechtsgültigen Vorausverzicht auf Retrozessionen und stärkte damit erneut die Position der betroffenen Anleger.
Im Jahr 2006 wurde Dank eines Bundesgerichtsurteils publik, dass die Weltmarktführer im internationalen Vermögensverwaltungsgeschäft zusätzlich zu den ohnehin stolzen Gebühren auch noch Provisionen (Retrozessionen) für die Vermittlung von Fonds, strukturierten Produkten, Obligationen, etc. in der Höhe von 0,5 bis 2,0 Prozent per annum von Produktanbietern kassierten. Dieses lukrative Geschäftsmodell verhalf laut einer Studie von Finalix den Schweizer Geldhäusern alleine im Jahr 2012 zu 4,2 Milliarden Schweizer Franken an Bestands- und Pflegeprovisionen. Trotz der zahlreichen Gerichtsurteile zur Retrozessionsthematik haben die eidgenössischen Banken zum größten Teil keineswegs auf die lukrativen Provisionen verzichtet und diese etwa abgelehnt oder an die Kunden weitergereicht. Vielmehr haben die Geldhäuser ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und Vertragsunterlagen aktualisiert und Verzichte eingebaut. Das Ziel war klar, dass Kunden aufgrund dieser Verzichte in der Zukunft keinen Anspruch mehr auf Retrozessionszahlungen hätten, das Einkommen aus den Vertriebscourtagen aber weiterhin bestehen bleibt.
Mit dem aktuellen Urteil sind die Chancen für eine erfolgreiche Rückforderung erneut gestiegen, denn das Schweizer Bundesgericht konkretisierte seine Rechtsprechung zum sogenannten „Retro-Leiturteil Nr. 2“ hinsichtlich der Anforderungen an einen rechtsgültigen Vorausverzicht auf Retrozessionen. Nach Ansicht des Bundesgerichts ist ein entsprechender Vorausverzicht nur dann wirksam, wenn der Kunde den voraussichtlichen Umfang der Retrozessionen einschätzen kann. Für diese Einschätzung müssen unter anderem Eckwerte und Bandbreiten der zu erwartenden Rückvergütungen angegeben werden und der Verzichtswille des Auftraggebers erkennbar sein. In der Praxis zeigt sich, dass selten alle Bedingungen für einen rechtsgültigen Verzicht kumulativ erfüllt sind, weshalb Rückforderungsdienstleister wie die Liti-Link AG eine sehr hohe Durchsetzungsquote erzielen können.
Zusätzlich hat das Bundesgericht im aktuellen Urteil erstmalig differenziert, dass die Prozentbandbreiten auf das verwaltete Vermögen und nicht auf das investierte Vermögen anzugeben sind, um die Retrozessionen zu Beginn der Vertragsbeziehung, also zu einem Zeitpunkt, zu dem der konkrete Investitionsentscheid noch nicht bekannt ist, einschätzen zu können. Auch dieser Punkt dürfte zur Nichtigkeit von zahlreichen Vorausverzichten führen.
Kunden stehen gestützt auf die erwähnten und weitere Urteilen rechtlich auf der richtigen Seite und sollten dementsprechend das Geld zurückfordern, das ihnen zusteht. Eine bestehende Geschäfts- oder Vertragsbeziehung ist hierfür nicht erforderlich, aber auch nicht hinderlich. Ebenso ist keine Dokumentation (Verträge, Auszüge, etc.) für den Rückforderungsprozess nötig. Leider zeigt die Erfahrung, dass Banken sich bei der Rückforderung quer stellen und eine Durchsetzung der Forderung ohne Hilfe von Spezialisten unmöglich ist. Aufgrund einer zehnjährigen Verjährungsfrist schrumpfen die Ansprüche der Anleger täglich und verjähren zu Gunsten der Schweizer Banken und Vermögensverwalter, weshalb die über 135.000 betroffenen deutschen Anleger die nötigen Schritte sobald als möglich einleiten sollten.
EXXECNEWS-Autor Klaus Rotter ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und Partner der Kanzlei Rotter Rechtsanwälte Partnerschaft mbB in München. Rotter Rechtsanwälte sind Spezialisten für Fälle des Bank- und Kapitalanlagerechts und des kapitalmarktnahen Gesellschaftsrechts. Bei der Rückforderung von Retrozessionen wurden zahlreiche Mandanten begleitet und Prozesse erfolgreich mit Liti-Link durchgeführt.
Dieser Gastbeitrag ist zuerst erschienen in EXXECNEWS Ausgabe 19/2020.