Unvernunft in Terra Incognita

Julien Zornig
Julien Zornig

Gastbeitrag von Julien Zornig, Partner bei Astorius Capital. Er kommentiert aktuelle Entwicklungen an den Kapitalmärkten und das Verhalten der Anleger:

Weltweit navigieren sich Investoren weiterhin durch eine „Terra Incognita“, in der historisch ungekannt niedrige Zinsen bereits einige Jahre anhalten und auch keine Trendwende in Sicht ist. Während der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) zuletzt eine weitere Senkung des Leitzinses angedeutet hat, haben die USA jüngst ihren Leitzins bereits um 0,25 Prozentpunkte gesenkt. Normalverzinste Altbestände an Anleihen sind ausgelaufen, Immobilienpreise und Aktienkurse in völlig unbekannte Dimensionen vorgestoßen. In Ermangelung von Best-Practice-Ratschlägen, wie man sich durch diese ungewohnten Zeiten hindurch verhalten soll, wird hierzulande oft der Vergleich mit Japan herangezogen, wo die Zinsen bereits seit 30 Jahren auf niedrigem Niveau verharren. Bei diesem Vergleich muss man aber auch auf den großen Unterschied hinweisen, dass der Nikkei seinen bis heute nicht wieder erreichten Rekordstand zu Beginn der Niedrigzinsphase 1989 hatte. Im Gegensatz dazu eilen Aktien in den USA und Europa auch zehn Jahre nach Beginn der Niedrigzinsphase von einem Rekord zum nächsten. Daher liefert der Vergleich mit Japan keine wirklich hilfreiche Orientierung.

An dieser Stelle kann wieder das Bonmot bemüht werden, dass es vor 2008 noch einen risikofreien Zins gab, heute nur noch zinsfreies Risiko. Unter Renditedruck sucht sich Kapital höheres Risiko, wenn es darf. Eine der gegenwärtig größten Verzerrungen des Kapitalmarkts ist die gesetzliche Verpflichtung für institutionelle Investoren, zinsfreie Anleihen staatlicher Emittenten zu kaufen und zu halten. Investoren, die frei von derartigen regulatorischen Vorgaben Anlageentscheidungen treffen können, präferieren unternehmerische Risiken zu erhöhen. Diese Neigung ist grundsätzlich zu begrüßen und bietet langfristigen Investoren durchaus attraktive Anlagemöglichkeiten. Das gegenwärtig unvernünftige Bewertungsumfeld legt allerding in den meisten Anlageklassen mittlerweile irrationale Stilblüten der Kapitalanlage frei. Im Markt für Mittelstandsanleihen wurde rückblickend an vielen Stellen offenbar nicht mehr risikoadäquat bezahlt. In der Börsenzeitung vom 27. Juli 2019 wurde sogar von High Yield Bonds berichtet, die negative Renditen aufwiesen – das sollte schon begrifflich ausgeschlossen sein!

Es wird an Unternehmen immer weniger der Anspruch gestellt, Schulden über ihre Profitabilität zurückzahlen zu können. Das Motto „Hauptsache hoher Coupon“ als Imperativ einer Investition ist nicht ratsam und hat sich trotz guten Marktumfelds zuletzt gerächt. Vielen Unternehmen wird aber weiterhin Geld zur Verfügung gestellt, obwohl diese aktuell nicht in der Lage wären, diese Schulden wieder zu begleichen. Man bezeichnet diese Entwicklung mit „Zombification“ der Unternehmenswelt. Die Bezeichnung Zombie verdient sich ein Unternehmen dadurch, faktisch insolvent zu sein, aber künstlich durch Neuverschuldung zu den ungewöhnlich niedrigen Zinsen am Leben gehalten zu werden. Im Russell 2000, einem wichtigen amerikanischen Aktienindex für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), verlief die Entwicklung von operativen Unternehmensgewinnen zum Verschuldungsgrad bis 2012 weitgehend parallel. In den letzten Jahren war jedoch eine deutliche Abkopplung dieser beiden Größen bis hin zu einer Verdreifachung der Schulden im Verhältnis zu den operativen Unternehmensgewinnen zu beobachten (siehe Grafik). In dieser Phase stieg der Anteil der Zombieunternehmen im Russell 2000 auf einen Rekordstand von zuletzt 37 Prozent. In dieser Situation wären Zinserhöhungen oder andere Marktverwerfungen fatal.

U.S. small cap debt
Quelle: MATASII, 8. April 2019 (www.matasii.com)

Auch bei Börsengängen ist diese Unvernunft – wieder – zu beobachten. Eine zentrale Lehre aus dem Platzen der Dotcom Blase, dass Unternehmen sich vor allem durch Profitabilität für einen Börsengang qualifizieren sollten, ist offenbar vergessen. So plant beispielsweise WeWork einen mit großem medialem Interesse verfolgten IPO, verzeichnet aber seit Gründung durchgängig hohe Verluste. Im ersten Quartal 2019 wurde sogar stolz verkündet, die Verluste im Vergleich zum Vorjahr auf „nur“ 264 Millionen US-Dollar reduziert zu haben. Auch Uber und Lyft gingen als Verlustunternehmen an die Börse. Heute sehen sich beide in einem steigenden Maße der Realität ausgesetzt, dass man nach der Gewinnung eines Kunden zu einem negativen Deckungsbeitrag anschließend nicht folgenlos seine Preise hochsetzen kann, um so sein Businessmodell nachhaltig profitabel aufzustellen. Seit ihrem Börsengang sind die Aktienpreise um 17 Prozent (Lyft) und acht Prozent (Uber) gefallen.

Es ist unklar, ob und wann eine Rückkehr zur Vernunft zu erwarten ist und welche weiteren Stilblüten das Niedrigzinsumfeld noch hervorbringen wird. Vergleichbare historische Entwicklungen und daraus ableitbare Erkenntnisse, die uns durch das Unbekannte lotsen könnten, existieren nicht. Die Rückkehr zu adäquaten Rendite-Risiko-Anlagen, zur Abwicklung von überschuldeten Zombieunternehmen sowie zu Börsengängen von langfristig profitablen Unternehmen ist aber in jedem Fall wünschenswert. In der Zwischenzeit sollte sich ein rationaler Anleger auch und vor allem in diesem häufig unvernünftigen Umfeld vor einer Investitionsentscheidung fragen, ob ein Unternehmen auch bei steigenden Zinsen noch überlebensfähig und in der Lage ist, nachhaltig profitabel zu wirtschaften.

Unser Autor Julien Zornig ist Partner bei Astorius Capital, einer Private-Equity-Fondsgesellschaft mit Sitz in Hamburg. Das 2012 gegründete Unternehmen bietet Privatanlegern, Family Offices und institutionellen Investoren Dachfonds an, die sich ihrerseits an Private-Equity-Fonds mit Fokus auf mittelständische Unternehmen beteiligen.

www.astoriuscapital.com

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