Aktien sind derzeit nicht teuer

Till Christian Budelmann
Till Christian Budelmann

Marktkommentar von Till Christian Budelmann von Bergos Berenberg. Er meint: Globale Aktien sind im Vergleich zu dem historischen Schnitt aktuell moderat bewertet, gegenüber Renten erscheinen sie sogar als regelrecht günstig:

Sind Aktien global über- oder unterbewertet? Wie sieht es in diesem Zusammenhang in den Regionen der Welt aus? Und welches Bild ergibt sich bei den einzelnen Sektoren? Seit 2004 gehen wir bei der Betrachtung der Bewertungen der Märkte einheitlich vor und kommen aktuell zu dem Schluss: Trotz der bisherigen Aufwärtsbewegung in 2019 sind Aktien global gesehen weiterhin eher günstig bewertet.

Unsere Analysen zur Marktbewertung stützen sich auf einen Forward-P/E (Price/Earnings)-Ansatz. Das P/E-Verhältnis (auf Deutsch „KGV“ abgekürzt) ist das Ergebnis einer einfachen Rechnung: Der aktuelle Aktienkurs wird durch den letzten Jahresgewinn pro Aktie geteilt, den das Unternehmen erzielt hat. Daraus lässt sich ersehen, wie oft man den aktuellen Gewinn pro Jahr bezahlt, wenn man eine Aktie ins Portfolio nimmt. Das Forward-P/E ist eine Erweiterung dieses Ansatzes: Für die Berechnung des P/E-Verhältnisses werden nicht die zuletzt erwirtschafteten Unternehmensgewinne berücksichtigt, sondern die Gewinne, die für die Zukunft prognostiziert werden.

Für unsere Analysen ziehen wir den aktuell aus 2.852 Titeln bestehenden MSCI All Country World Index (MSCI ACWI) heran. Aus der Rückschau auf die Spanne der vergangenen 20 Jahre ergibt sich folgende Bewertung: Als günstig erachten wir ein Forward-P/E über zwölf Monate mit dem Wert 11, als teuer mit dem Wert 25. Extremwerte – wie einerseits kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase oder andererseits auf dem Höhepunkt der Finanzkrise – wurden dabei bewusst ausgeklammert. Aktuell haben wir einen Wert von 15 ermittelt, der zu Anfang des Jahres zunächst sogar noch bei 13 lag. Anfang 2018 war der Markt etwas höher bewertet, hier konnten wir einen Wert von knapp 17 ablesen. Globale Aktien warten im historischen Durchschnitt derzeit demnach mit moderaten Bewertungen auf.

Des Weiteren sollten die veränderten Gewichtungen innerhalb des MSCI ACWI bei der Analyse berücksichtigt werden: Sieht man sich die vor allem über das letzte Jahrzehnt veränderte Struktur des hoch gewichteten US-Anteils an, sind die massiven Verschiebungen in der Index-Zusammenstellung auffällig. Heute handelt es sich bei den fünf größten Unternehmen durchgehend um hochmargige Titel, namentlich Alphabet, Amazon, Apple, Facebook und Microsoft. Aufgrund des langjährigen und weiterhin prognostizierten Wachstums wird diesen Unternehmen als Gruppe auch ein höheres P/E beigemessen. Amazon zum Beispiel liegt aktuell bei einem Forward P/E-Wert von 50. Dadurch kommt es zu einer strukturellen Verzerrung der Bewertung von US-Aktien insgesamt. Das Interessante dabei: Weil diese fünf Unternehmen inzwischen ein wichtiger Baustein im gesamten Index sind, liegt eine Verzerrung in Richtung hoher P/E-Werte auf der Hand. Und trotzdem bewegen sich die Bewertungen insgesamt unter dem historischen Schnitt – das ist bemerkenswert.

Bewertungen dürften tendenziell eher steigen

Wir gehen davon aus, dass sich die Bewertungen über die kommenden Quartale eher ausweiten. Je unattraktiver beispielsweise Anleihen sind, desto eher sollten Aktien im Kurs steigen. Die Bond-Yields notieren derzeit deutlich unter ihrem historischen Schnitt. Das würde eigentlich implizieren, dass Aktien-P/Es über ihrem historischen Schnitt notieren müssten – das tun sie aber nicht. Besonders relevant erscheint die Niedrigzinspolitik der Notenbanken, deren Zinsen, von der US-Notenbank (Fed) einmal abgesehen, um null tendieren. Doch auch mit Blick auf die Fed ist inzwischen mit Zinssenkungen über die nächsten zwölf Monate zu rechnen. Es besteht also nicht die Aussicht, dass Bonds perspektivisch lukrativer werden – was Aktien auf der anderen Seite grundsätzlich stützen sollte. Die relative Bewertung von Aktien gegen Bonds, bezogen auf die USA, näherte sich zuletzt dem Hochpunkt vom 24. Dezember 2018 als die Märkte ihren letzten Tiefpunkt erlebten. Das bedeutet: Trotz der positiven Entwicklung im laufenden Kalenderjahr sind US-Aktien derzeit im Vergleich zu Renten noch immer günstig bewertet. Und US-Aktien machen wiederum 55 Prozent des MSCI ACWI aus.

Es gilt jedoch: Die P/E-Analyse basiert auf aktuellen Kursen und (zuletzt bereits abgesenkten) Analystenschätzungen. Inwieweit der schwelende Handelskonflikt die Gewinnaussichten weiter drücken und damit einen Einfluss auf die globalen Aktienbewertungen haben wird, ist bislang noch nicht vollumfänglich abzusehen.

Der Hintergrund der moderaten Bewertungen ist nicht zuletzt auch im Stress zu sehen, dem die Marktteilnehmer sich durch den Handelskonflikt ausgesetzt sehen. So schockten Anfang Mai Tweets von US-Präsident Trump, dass kurzfristig nun doch drastischere Zollerhöhungen gegenüber China ins Haus stehen. Der Markt erlebte einen exogenen Schock, die Marktteilnehmer waren vorher fest davon ausgegangen, dass es bald zu einer Beilegung des Konflikts kommt.

Wenig Bedeutung messen wir hingegen dem Shiller-P/E zu, auch CAPE (Cyclically adjusted Price Earnings-Ratio) genannt. Der Charme des Shiller-P/E besteht darin, dass die Bewertungsanalyse bereinigt um zyklische Einflussfaktoren erfolgt. Doch es gibt einen Nachteil gegenüber dem von Bergos Berenberg angewendeten Forward-P/E-Ansatz: Herangezogen werden nur die Gewinne der vergangenen zehn Jahre. Am Maßstab des Shiller-P/E gemessen, scheint der Aktienmarkt massiv überteuert – und das schon seit langem, nämlich über die gesamten vergangenen zehn Jahre hinweg. Wir werden bald jedoch in eine Phase kommen, in der das Shiller-P/E womöglich ganz anders aussehen wird, weil das Finanzkrisenjahr 2009 aus der Wertung fällt. Wenn demnächst die Jahre 2019 und 2020 in die Analyse miteinbezogen werden, sollte das Shiller-P/E fallen – mit dem Ergebnis, dass diejenigen, die sich nach dem Shiller-P/E gerichtet und damit den gesamten Aufwärtsmarkt verpasst haben, laut Shiller dann aber vielleicht plötzlich vor einem vermeintlichen Kaufsignal stehen.

USA und Eurozone sektorneutral ähnlich bewertet

In den USA haben sich die Unternehmensgewinne in den vergangenen zehn Jahren gut entwickelt, insbesondere im Vergleich zur Eurozone. Zwischen den beiden Währungsräumen gibt es eben starke sektorale Unterschiede. Die High-Growth-, High-Margin-Unternehmen der USA sind aufgrund ihrer Gewinndynamik und ihrer hohen Innovationskraft High-P/E-Unternehmen mit Storys, die es im Euroraum so gar nicht gibt. Deshalb erscheint das KGV in der Eurozone nur optisch deutlich niedriger als in den USA.

Die sektorale Zusammensetzung von USA und Eurozone ist jedoch vollkommen unterschiedlich, deshalb sollte die Bewertung von Euro-Aktien gegenüber US-Titeln stets sektorneutral erfolgen. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass beide Märkte gegeneinander derzeit ungefähr fair bewertet sind.

Wie geht es nun weiter? Entwickeln sich die US-Gewinne auch zukünftig besser als die Eurozonen-Gewinne? Wir denken ja. Erstens erwarten wir weiterhin höhere Umsätze in den USA. Zweitens sollten die Gewinnmargen in den USA auf einem höheren Niveau bleiben, auch wenn sich hier zuletzt ein leichter Aufholprozess in der Eurozone anzudeuten scheint. Drittens gibt es in den USA weiterhin eine ausgeprägtere Neigung der Unternehmen zu Aktienrückkäufen. Diese starken Buybacks unterstützen die Earnings per Share (EPS) – Gewinne pro Aktie und mindern so das P/E.

Wichtig ist in Bezug auf die Unternehmensgewinne auch das Währungsthema. Angesichts des starken US-Dollar genießen die Exporteure der Eurozone seit längerem Vorteile. Die US-Pendants hingegen haben permanenten Gegenwind wegen des starken US-Dollars – und machen dennoch seit Jahren gute Gewinne. Sollte dieser Trend des starken US-Dollars drehen, bekommen die USA nach Jahren des Gegenwinds vielleicht auch einmal ein bisschen Rückenwind von der Währungsseite.

Wie die globale Sektorbewertung derzeit ausfällt

Im Hinblick auf die globale Sektorbewertung sind derzeit vier Sektoren besonders auffällig. Die am stärksten unterbewerteten sind dabei die zyklischen Energie- und Finanztitel. Die Unternehmen haben ihre Gewinne ordentlich gesteigert, das ist vom Markt aber bisher nicht belohnt worden. Die hoch gewichteten Finanztitel haben derzeit ein globales P/E von gut 10, Energie liegt bei gut 12 – jeweils deutlich unter den historischen Vergleichswerten.

Ein Segment erscheint weiterhin als überbewertet: Der IT-Sektor. Die Kurse sind hier zuletzt schneller gelaufen als die Gewinne. Insgesamt liegt daher das globale P/E des IT-Sektors spürbar über den langfristigen Durchschnittswerten. Ebenfalls über dem historischen Schnitt bewegt sich der Sektor Kommunikation, nicht zuletzt aber deshalb, weil bestimmte (ehemalige) IT-Unternehmen seit kurzem diesem Sektor zugeordnet werden.

Positiver Ausblick für US-Aktien

Für die Zukunft erwarten wir bei Bergos Berenberg ein weiterhin stabiles US-Wachstum und sehen keine Rezession im laufenden oder kommenden Kalenderjahr. Die Zinssenkungen („Insurance Cuts“) der US-Notenbank sollten die konjunkturelle Entwicklung in den USA stützen.

Natürlich kann man nie ausschließen, dass US-Aktien zwar günstig erscheinen, die Lage aber tatsächlich viel negativer ist, als es die aktuellen Fundamentaldaten suggerieren. Wir bleiben aber weiterhin positiv für US-Aktien, der politische Lärm sollte ab einem bestimmten Punkt wieder abklingen. Am Ende sollte zumindest eine vorübergehende Lösung im komplizierten Handelskonflikt USA-China stehen. Der US-Markt hält sich auch deshalb so gut, weil die Bewertungen günstig und die Marktteilnehmer in Aktien nicht überpositioniert sind – anders als zu Beginn des Jahres 2018. Die Anleger sind nicht euphorisch, ganz im Gegenteil.

Wir sind den gesamten US-Bullenmarkt hindurch bullish eingestellt geblieben. Nicht, weil wir stets alles mit optimistischem Blick sehen, sondern weil wir auf der Grundlage eindeutiger Indikatoren daran geglaubt haben und dies nach wie vor tun. Die Kunst wird es sein, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, um dezidiert skeptisch zu werden. Jetzt ist dieser Moment aber noch nicht gekommen, obwohl wir bei Bergos Berenberg den Handelskonflikt weiterhin ernst nehmen.

Till Christian Budelmann ist Kapitalmarktstratege der Schweizer Privatbank Bergos Berenberg, die sich jüngst von der Berenberg-Gruppe gelöst hat. Das Unternehmen ist auf Vermögensverwaltung und Vermögensbetreuung in allen liquiden Assetklassen sowie in alternativen Investments wie Real Estate, Private Equity oder Kunst spezialisiert.

www.bergos-berenberg.ch

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