Was Neo-Banken besser machen, als Online-Banken der 90er Jahre

Viele Neobanken und Broker wachsen rasant, während die erste Generation der Online-Banken oft mit stagnierenden Kundenzahlen kämpft. Dabei sind sich beide Geschäftsmodelle auf dem ersten Blick sehr ähnlich und verfolgen das Ziel, Vermögensverwaltung für breite Massen zugänglich zu machen. Doch Neobanken haben aus denselben Zutaten ein neues Rezept kreiert: Sie schaffen Vertrauen durch kompromisslose Transparenz, statt durch Marmorhallen, machen aus Compliance einen Wettbewerbsvorteil und testen neue Konzepte direkt an ihren Zielgruppen. Traditionelle Institute können von diesem Paradigmenwechsel lernen.
Die heutigen Neobanken und Neobroker haben in nur wenigen Jahren erreicht, woran viele Online-Banken der 90er Jahre scheiterten. Sie wachsen schneller, sprechen weltweit Anleger an und gewinnen das Vertrauen neuer Zielgruppen, die sich zuvor kaum mit Finanzthemen beschäftigt hatten. Die Grundidee beider Generationen von Finanzdienstleistern ist dabei durchaus vergleichbar. Sowohl die Digitalbank-Pioniere der 90er als auch die heutigen Disruptoren wollten Finanzdienstleistungen zugänglicher, günstiger und bequemer machen. Die Ausgangslage der ersten Online-Banken war vielversprechend. Sie verfügten über das Vertrauen großer Kundengruppen, über etablierte Marken und oft über beeindruckende Standorte. Dennoch gelang es nur wenigen, diese Vorteile in nachhaltiges Wachstum umzuwandeln. Im Gegensatz dazu bauen Neobanken heute in Rekordzeit Netzwerke mit Millionen von Kunden auf. Diese Entwicklung lässt sich auf vier zentrale Faktoren zurückführen. Erstens machen moderne Anbieter Technologie nicht nur massentauglich, sondern auch individuell nutzbar – und das weit über eine einfache App hinaus. Zweitens betrachten sie Compliance nicht als Hindernis, sondern als strategischen Vorteil. Drittens sind ihre Strukturen von Anfang an auf Skalierbarkeit ausgelegt, vom Onboarding bis zur Betrugserkennung. Und viertens gelingt es ihnen, Vertrauen aufzubauen, ohne auf prunkvolle Filialen oder große Markennamen angewiesen zu sein. Stattdessen setzen sie auf transparente, verständliche Produkte und Dienstleistungen, die sie Schritt für Schritt weiterentwickeln.
Breite Kundenbasis – wenn der vermeintliche Vorteil zur Wachstumsbremse wird
Viele Banken, die in den 1990er Jahren den Schritt in die digitale Welt wagten, verfügten über einen breiten Kundenstamm. Zunächst galt das als strategischer Vorteil, doch in der Praxis erwies es sich für viele als Hemmschuh für Innovationen. Der Grund? Etablierte Institute mussten jede Veränderung sorgfältig abwägen. Würde sie das bestehende Geschäftsmodell gefährden? Wie würden langjährige Kunden reagieren? Passt das überhaupt zum Markenbild? Diese Zurückhaltung führte oft dazu, dass mutige und zukunftsweisende Ideen verzögert oder ganz verworfen wurden. Neobanken hingegen begannen bei null. Im Fokus standen nicht einzelne Produkte, sondern das Erfüllen konkreter Bedürfnisse, etwa beim Vermögensaufbau, dem Immobilienkauf oder der Ruhestandsplanung. Die ersten tausend Nutzer eines Neobrokers bedeuteten für sie keinen Risikofaktor, sondern eine Chance. Sie konnten testen, Fehler machen und daraus lernen – ohne ihr Image bei einer etablierten Klientel aufs Spiel zu setzen. Viele Entscheidungen, die dabei getroffen wurden, führten nicht nur zu besseren Produkten, sondern auch zu niedrigeren Kosten und einer höheren Zugänglichkeit. So wurden beispielsweise Filialnetze aufgegeben, Prozesse automatisiert und Freemium-Modelle mit optionalen Premium-Diensten eingeführt – etwa für ETF-Anlagen oder Kryptowährungen.
Von Grund auf neu denken statt nur verbessern – Wachstum beginnt im Kopf
Der Unterschied zwischen traditionellen Online-Banken und den heutigen Disruptoren liegt vor allem in der Denkweise. Viele etablierte Anbieter handeln nach dem Prinzip des Bewahrens und Erweiterns. Sie konzentrieren sich darauf, bestehende Geschäftsmodelle, Margen und Marktanteile abzusichern. Innovation bedeutet für sie oft, Bestehendes schrittweise zu optimieren. Neobanken und Neobroker ticken anders. Ihr Ansatz ist von Veränderung und Weiterentwicklung geprägt. Sie hinterfragen grundlegende Annahmen. Muss es wirklich menschliche Berater für die Vermögensverteilung geben? Warum sind Mindestbeträge für Investitionen so hoch? Früher war ein persönlicher, maßgeschneiderter Service Teil des Leistungsversprechens. Heute besteht die Herausforderung darin, dieses Maß an Individualisierung auch im großen Stil zugänglich zu machen. Die Plattformen, die hier vorne liegen, sind nicht nur mobil nutzbar, sondern arbeiten datenbasiert, nutzen APIs und sind in das umfassendere Finanz-Ökosystem eingebettet.
Compliance als Wachstumsmotor statt Nein-Abteilung
Viele neue Banken nutzen diese Challenger-Mentalität, um die regulatorischen Anforderungen strategisch zu ihren Gunsten zu nutzen. Während traditionelle Institute die Einhaltung von Vorschriften oft mit Vorsicht oder sogar Zurückhaltung behandeln, sehen Fintechs darin eine Chance. Dabei ist wichtig zu betonen, dass die Behutsamkeit der etablierten Player nicht von Missachtung herrührt, im Gegenteil: Traditionelle Banken nehmen Compliance sehr ernst und sind oft führend bei der Einhaltung strenger Vorschriften. Aber ihr Ansatz ist eher defensiv und von Risikoaversion geprägt. Neobanken und Neobroker gehen über die bloße Einhaltung der Vorschriften hinaus – sie betten sie in ihr Wertversprechen ein. Für sie ist Compliance oft eine Frage des Designs: Wie können wir die regulatorischen Anforderungen erfüllen und gleichzeitig ein reibungsloses Kundenerlebnis bieten? Diese Unternehmen integrieren Prozesse wie Know-Your-Customer in moderne Benutzeroberflächen und nutzen Tools wie Echtzeitwarnungen, um das Vertrauensverhältnis aktiv zu stärken. Die neue Generation von Finanzdienstleistern hat also verstanden, dass Vertrauen nicht einzig und allein durch Tradition geschaffen werden kann, sondern durch transparente, verständliche Schutzmaßnahmen entsteht.
Der Vertrauensfaktor – Wie Neobroker einen Nachteil zum eigenen Vorteil nutzen
Vertrauen ist die wichtigste Währung im Bankgeschäft – vor allem, wenn es um Milliarden von Kundengeldern und sensible Personendaten geht. Auf dem Papier waren die Banken der 90er dafür gut aufgestellt: mit Tradition, einen respektablen Ruf und breiten Filialnetzen. Doch gerade diese Stärken wurden in der Umstellung auf mobile Banking-Modelle zur Herausforderung. Der Übergang von Marmorhallen zu Apps war schwierig – viele Kunden waren skeptisch und stark an die analoge Welt gebunden. Neobanken hingegen haben gelernt, Vertrauen digital aufzubauen – von der Verwendung einfacher Sprache bis hin zur vollständigen Transparenz darüber, wie sie Geld verdienen. Sie setzen auf intuitive, lehrreiche Nutzererfahrungen und ersetzen damit die alte Abhängigkeit von Papierkram und Prestige. Die heutigen Neo-Akteure beginnen mit risikoarmen, leicht verständlichen Produkten und bauen Glaubwürdigkeit schrittweise auf. Bildung spielt dabei ebenfalls eine zentrale Rolle: Ihre Plattformen führen nicht nur aus – sie erklären und leiten an, was das Verständnis und die Loyalität der Anleger vertieft. Das bedeutet nicht, dass die frühen Online-Banken dem Untergang geweiht sind oder ganz verschwinden werden. Aber sie haben bereits seit einiger Zeit zu kämpfen, und sie beginnen, den Mehrwert eines mutigeren Digitalisierungsansatzes zu erkennen – etwas, das ihre Wettbewerber bereits umsetzen. Tatsächlich arbeiten heute viele traditionelle Banken aktiv mit Fintechs zusammen, um moderne Finanzlösungen zu entwickeln, die sich in ihr bestehendes Angebot integrieren lassen. Es ist eine Win-Win-Win-Situation – nicht nur für beide Arten von Finanzdienstleistern, sondern auch für ihre Kunden.
Karl im Brahm ist CEO für die DACH-Region von Objectway, einem Anbieter von Vermögens-, Bank- und Asset-Management-Lösungen. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Mailand, Italien, verwaltet eine Billion Euro an Vermögenswerten.
Der Beitrag ist zuerst in EXXECNEWS Ausgabe 13-2025 erschienen.

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