UNIDO – Die UN auf der Suche nach neuen Industriegebieten

Die Vision der United Nations Industrial Development Organization UNIDO ist eine Welt ohne Armut und Hunger, in der die Industrie eine emissionsarme Wirtschaft antreibt, den Lebensstandard verbessert und die lebenswerte Umwelt für heutige und künftige Generationen bewahrt und niemanden zurücklässt. In diesem Interview beschreibt Gunther Beger, Managing Director des Direktorats für SDG Innovation und ökonomische Transformation bei UNIDO den Einsatz der UN in Schwellenländern zur Entwicklung einer Industrie für grünen Wasserstoff.
ENI: Können Sie unseren Lesern kurz beschreiben, worin das Aufgabenfeld der UNIDO und dort im Besonderen in Ihrer Tätigkeit liegt?
Gunther Beger: Die UNIDO ist die Organisation der Vereinten Nationen mit dem einzigartigen Mandat zur Förderung und Beschleunigung der nachhaltigen industriellen Entwicklung.
Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ist der übergreifende globale Rahmen für unsere Arbeit. Unser Mandat spiegelt sich im Ziel für nachhaltige Entwicklung (SDG) 9 wider: „Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, eine integrative und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen vorantreiben“, aber die Aktivitäten der UNIDO tragen zu allen SDGs bei.
Die Vision der UNIDO ist eine Welt ohne Armut und Hunger, in der die Industrie eine emissionsarme Wirtschaft antreibt, den Lebensstandard verbessert und die lebenswerte Umwelt für heutige und künftige Generationen bewahrt und niemanden zurücklässt.
Die UNIDO unterstützt ihre 172 Mitgliedstaaten durch vier Aufgabenbereiche: technische Zusammenarbeit, handlungsorientierte Forschung und Politikberatung, normative Aktivitäten und die Förderung von Partnerschaften für den Wissens- und Technologietransfer.
Unsere Arbeit konzentriert sich auf drei Schwerpunktbereiche: 1. Beendigung des Hungers durch Unterstützung der Unternehmen vom Erzeuger bis zum Verbraucher; 2. Eindämmung des Klimawandels durch Nutzung innovativer Technologien wie grünem Wasserstoff, Erneuerbarer Energien und Energieeffizienz zur Verringerung der industriellen Treibhausgasemissionen; sowie 3. Die Unterstützung nachhaltiger Lieferketten, damit die Erzeuger in den Entwicklungsländern faire Bedingungen vorfinden und knappe Ressourcen geschont werden.
Als Managing Director leite ich das Direktorat für SDG Innovation und ökonomische Transformation. Dort arbeiten wir an der Entwicklung innovativer Programme in den Bereichen Agrarindustrie, nachhaltige Lieferketten, faire Produktion, Klimatechnologien und -Partnerschaften, Entwicklung innovativer Konzepte der technischen Zusammenarbeit, sowie die Erschließung neuer Finanzierungsquellen.
ENI: Wie lautet das Mission Statement?
Beger: Das Motto der UNIDO lautet seit dem Amtsantritt des Generaldirektors Müller im letzten Jahr „Progress by Innovation“, also Fortschritt durch Innovation. Unsere Mission besteht darin, Entwicklungs- und Schwellenländer bei der kohlenstoffarmen industriellen und wirtschaftlichen Entwicklung zu unterstützen.
Die UNIDO treibt aktiv Industriepolitik, technische Zusammenarbeit und Investitionsförderung voran, um industrielle Entwicklung, wirtschaftlichen Wandel und menschenwürdige Arbeitsplätze zu schaffen. Dabei setzt sie auf neue Technologien, innovative Denkansätze und fungiert als Plattform für Innovation, Wissens- und Technologietransfer sowie Zusammenarbeit mit dem Unternehmenssektor. Ein roter Faden durch diese Prioritäten umfasst Themen wie Technologie- und Wissenstransfer, Digitalisierung, Investitionsförderung, Ausbildung, Kreislaufwirtschaft und die wirtschaftliche Teilhabe von Frauen.
Mein Direktorat gründet dafür neue Klimapartnerschaften und -programme und positioniert sich durch die Arbeit zu grünem Wasserstoff, Dekarbonisierung der Industrie, innovativer Klimafinanzierung und Kreislaufwirtschaft als wichtiger Partner für eine gerechte Energiewende.
ENI: Wie lauten die Kriterien, wenn Sie Projekte im Bereich regenerative Energien und Wasserstoff (und Derivate wie Ammoniak) finanzieren beziehungsweise finanziell in Entwicklungsländern begleiten?
Beger: Inhaltliche Kriterien für die Begleitung von Projekten in Mitgliedsstaaten sind der gegebene Einklang mit den UN Zielen für Nachhaltige Entwicklung. Regenerative Energien und grüner Wasserstoff – also jener, der kohlenstoffarm mithilfe regenerativer Energien produziert wurde – passen da natürlich perfekt hinein. Insbesondere beim Thema Wasserstoff sehen wir aktuell großes Interesse, was sowohl klimapolitisch und wirtschaftlich sehr vielversprechend ist. So kann beispielsweise die Diversifizierung der Energieversorgung vorangetrieben und die Industrien gefördert werden.
So versuchen wir vielen Ländern zu helfen die kooperieren wollen, und schließen keine Projekte aufgrund von vordefinierten Kriterien aus.
ENI: Wie sieht das Profil von Unternehmen/Ländern, mit denen Sie gemeinsam Projekte entwickeln, aus?
Beger: Ein neues Projekt entsteht im Regelfall dadurch, dass gemeinsam mit einem Mitgliedsland ein Kooperations-Konzept im Einklang mit den beidseitigen Zielen entwickelt wird. Die Initiative kann dabei sowohl von der Regierung als auch von uns ausgehen. Nachdem etabliert ist, welche Ziele das geplante Projekt hat und wie diese erreicht werden können, wird nach den notwendigen Finanzierungsmöglichkeiten gesucht.
Das Profil der Länder, mit denen wir gemeinsam Projekt entwickeln kann, je nach Themengebiet natürlich sehr unterschiedlich sein – manche Regionen sind beispielsweise besser für die Produktion von Erneuerbaren Energien und somit grünem Wasserstoff prädestiniert als andere. Wir haben einige Kriterien zur Priorisierung von Wasserstoff-Länderprojekten, insbesondere bestehende Industrie-Energieprojekte für Hard-to-Abate Sektoren (Stahl, Chemie...), bestehende (graue) Wasserstoffproduktion, sowie bestehende Projekte und Infrastruktur für Gas. Des Weiteren spielen noch existierende Industrie- und Wasserstoffstrategien, Hafengelände und der Energiebedarf eine Rolle. Insgesamt versuchen wir definitiv unser Bestes, aus jeder Anfrage ein Projekt zu entwickeln, um so unserem Mandat gerecht zu werden.
ENI: Bitte nennen Sie ein Projekt stellvertretend für andere als Beispiel (Best Practice).
Beger: Als Beispiel für ein gut voranschreitendes Projekt könnte ich die „Guidelines for Green Hydrogen Industrial Clusters “ nennen. Dieses in Zusammenarbeit mit technischen Experten aus dem Privatsektor erarbeite Dokument ist als Anleitung zu verstehen, mit der sowohl Industrieministerien als auch Projektentwickler umfassend über die Vorteile, Hindernisse und Entwicklungsschritte von sogenannten Green Hydrogen Industrial Clusters, also Industriegebiete für grünen Wasserstoff, informiert werden. Die räumliche Konzentration von mehreren Schritten der Wertschöpfungskette erhöht die Prozesseffizienz, erleichtert die Finanzierung und ist ein vielversprechender Ansatz zum Aufbau eines erfolgreichen Wasserstoffsektors. Mithilfe der Mitte 2023 veröffentlichten Guidelines können einzelne Länder die Entwicklung solcher Cluster vorantreiben.
Ab dem kommenden Jahr werden die Guidelines dann auch länderspezifisch angewandt werden, unter anderem im Rahmen unseres GEF (Global Environment Facility) Programms. Die UNIDO ist in mehr als zehn Ländern an von der GEF finanzierten Projekten beteiligt, unter anderem Algerien, Ägypten, Malaysia, Namibia, Nigeria, Philippinen, Südafrika und Vietnam. In Kooperation mit dem International Hydrogen Energy Center werden wir die Cluster-Guidelines in unsrem GEF-Projekt in China umsetzen. Das Ziel des Projektes ist die Demonstration des Potenzials von grünem Wasserstoff in den weniger entwickelten Regionen Chinas. Durch die Nutzung Erneuerbarer Energien für die Produktion und Anwendung von grünem Wasserstoff soll eine Verringerung des Energieverbrauchs und der Treibhausgas- und Schadstoffemissionen erreicht werden, vor allem in den Hard-to-Abate Sektoren.
ENI: Wo müssten Verbesserungen erfolgen, worin könnten Hemmnisse liegen, ein Projekt umzusetzen (Regulatorik, Anreize, Standards, Normen, Investitionssicherheit)?
Beger: Alle von Ihnen genannten Hemmnisse sind relevant für die Entwicklung des Industriesektors in Entwicklungsländern. Das trifft insbesondere auf neue Industriezweige wie grünen Wasserstoff zu. Deswegen setzten unsere Projekte auf der politischen Ebene an, um Regierungen zu helfen die bestehenden Hemmnisse aus dem Weg zu räumen. Man könnte es sogar als den Fokus unserer Arbeit bezeichnen: Mit den bereits erwähnten „Guidelines for Green Hydrogen Industrial Clusters“, sowie dem bald veröffentlichten „Policy-Toolkit for Green Hydrogen in Developing Countries“ werden die regulativen, strategischen, technischen und finanziellen Hindernisse detailliert aufgearbeitet und verschiedene Lösungsansätze aufgezeigt. So wird die spätere Realisierung von Industrieprojekten durch Investoren oder öffentlich-private Partnerschaften unterstützt.
Gerade Aspekte wie Regulatorik und Investitionssicherheit sind essenziell für Foreign Direct Investment (FDI), und können auf der nationalen Ebene effektiv angegangen werden. Anreize sind auch wichtig, um Industriezweige gerade in der Startphase zu unterstützen – Großflächige Subventionen wie in den Industriestaaten, siehe Inflation Reduction Act in den USA, sind in Entwicklungsländern allerdings finanziell nicht stemmbar. Also versuchen wir innovative, budgetschonendende Anreize zu finden die von Garantien über Beteiligungen und Partnerschaften reichen können.
Standards und Normen sind ein weiterer essentieller Aspekt, der allerdings auf internationaler Ebene koordiniert werden muss. Dazu sind wir in engem Austausch mit der Internationalen Organisation für Normung (ISO), mit der wir die letzte Plenarsitzung des Technischem Kommittees 197 zu Wasserstofftechnologien wir vom 13. bis 17. November in unserem Hauptsitzt in Wien organisiert haben. Bisher sind 27 Mitgliedsstaaten in die Standard-Definition involviert, und wir laden alle interessierten Regierungen ein an diesem partizipativen Prozess teilzunehmen.
ENI: Gibt es besondere Branchen, die die UNIDO gerne finanziert, oder begleitet?
Beger: Unser Fokus liegt generell auf dem Industriesektor, also auf der Fertigung von Gütern. Besonders interessant sind für uns jene Branchen, die durch die Einführung von Verbesserungen wie Kreislaufwirtschaft, Erneuerbarer Energie oder grünem Wasserstoff „grüne“ Güter produzieren können. Das ermöglicht den Ausbau einer lokalen Wertschöpfungskette, durch die der erwirtschaftete Mehrwert im Land bleibt.
Beim grünen Wasserstoff trifft das vor Allem auf die sogenannten „Hard-To-Abate“ Branchen zu, welche sich nicht elektrifizieren lassen. Dazu gehören zum Beispiel die Stahlproduktion – wird der Brennstoff dort, wie grüner Wasserstoff, erneuerbar produziert, ist das Produkt kohlenstoffarm und somit „grüner Stahl“. Der tatsächliche Kohlenstoffgehalt so eines Produktionsprozesses muss selbstverständlich glaubwürdig zertifiziert werden, um einen nachhaltigen Mehrwert auf dem Markt zu haben. Ähnliches trifft auch auf die Düngemittelproduktion zu, welche mit Ammoniak ein Derivat von Wasserstoff als Basis zur Herstellung benötigt.
Allerdings möchte ich nochmals betonen, dass wir nicht selbst ganze Industrieprojekte anleiten – unsere Funktion liegt in der technischen Zusammenarbeit, der Beratung und dem Wissenstransfer in Zusammenarbeit mit den lokalen politischen Entscheidungsträgern.
Der Beitrag ist zuerst in ENI EXXECNEWS INSTITUTIONAL 02/2024 erschienen.
Gunther Beger ist Geschäftsführer der Direktion SDG Innovation und wirtschaftliche Transformation der UNIDO, einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit einem Mandat zur Förderung, Dynamisierung und Beschleunigung der industriellen Entwicklung.
Bis März 2022 war Herr Beger als Executive Director für Deutschland bei der Weltbankgruppe tätig. Von 2013 bis 2021 war er Generaldirektor im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.