Wasserstoff schafft Versorgungssicherheit im Energiesektor

Der Physiker Dr. Johannes Töpler arbeitete schon 1977 bei DaimlerBenz an der Aufgabe, für eine geplante Wasserstoff-Kfz-Flotte die Metall-Hydrid-Speicher zu bauen. Für ihn ist die volkswirtschaftliche Bedeutung der Versorgungssicherheit mit Energie das gewichtigste Argument für den Aufbau einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft in Deutschland und Europa. Warum es dafür eine nationale Energiestrategie braucht, erklärt er im Interview mit Fachautor Sven Jösting.
ENI: Dr. Töpler, wie würden Sie sich und Ihr Tätigkeitsfeld für unsere Leser beschreiben? Und hier in Bezug auf den Themenkomplex Wasserstoff und Ihre Fachkompetenz.
Dr. Johannes Töpler: Meine berufliche Beschäftigung mit dem Wasserstoff begann 1977 bei DaimlerBenz mit der Aufgabe, für eine geplante Wasserstoff-Flotte in Kundenhand die Metall-Hydrid-Speicher zu bauen. Die Flotte war von 1984 bis 88 in Berlin im Einsatz.
1989 habe ich auch mit Vorlesungen über „Erneuerbare Energien und Wasserstoff“ an der Hochschule Esslingen meine Akademische Lehrtätigkeit begonnen, die bis heute andauert.
Von 2002 bis 2023 war ich im Vorstand/Präsidium des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbandes (2003 bis 2014 Vorstandsvorsitzender) mit der Aufgabe, den Wassersstoff in Wirtschaft und Politik voranzutreiben.
Zurzeit fokussiere ich mich auf die Bildungsarbeit für den Wasserstoff, zum Beispiel mit dem Aufbau eines Berufs-begleitenden Master-Studienganges an der „Dresden International University (DIU)“ und der Technischen Akademie Esslingen.
ENI: Wasserstoff wird sehr emotional diskutiert. Auf Erdgas basierend ist dieser schon immer in großen Mengen im täglichen Einsatz – denke da an die Chemieindus-trie – aber eben mit CO2-Abdruck. Nun geht es um den regenerativ erzeugten (grün) aber auch den gelben (Biogas) und die Nutzung von Überschussstrom aus Kohle- und Kernkraftwerken für schwarzen beziehungsweise roten/türkisen Wasserstoff und auf der Vermeidung von CO2-Emissionen (Dekarbonisierung). Wie sieht Ihr Zukunftsszenario aus? Woher wird der Wasserstoff zu uns kommen? Können wir diesen selbst in ausreichender Menge produzieren, wie mancher Politiker dies so sieht?
Töpler: Die emotionale Diskussion kommt häufig daher, dass von einem singulären Standpunkt aus argumentiert wird – sei es zum Beispiel von einem Vorurteil bezüglich der Wasserstoff-Sicherheit, dem Energiebedarf bei der Wasserstoff-Produktion oder einem kurzfristigen Profitstreben. Im Sinne der Bedeutung des Wasserstoffs für eine nachhaltige Energieversorgung ist es zielführender, den Wasserstoff in seiner ganzheitlichen Bedeutung zu betrachten. Diese liegt wesentlich in seiner Fähigkeit, sehr große Energiemengen im Bereich von mehreren TWh zu speichern und damit die Fluktuationen des Angebotes der Erneuerbaren Primär-Energien auszugleichen. Das ist das Fundament der Versorgungssicherheit und damit von zentraler volkswirtschaftlicher Bedeutung. Dazu kommt langfristig nur CO2-freier Wasserstoff (grün) oder CO2 -neutraler Wasserstoff (aus Biomasse) in Frage. Eventuell ist auch Wasserstoff aus Pyrolyse von organischen Abfällen und Kunststoffen denkbar, wenn das Recycling des Kohlenstoffs und anderer Reststoffe gelingt.
In der Übergangsphase, wenn eventuell noch nicht genügend grüner Wasserstoff zur Verfügung steht, um die Marktpotenziale der Wasserstoff-Technologien schnellstmöglich hochzufahren, wird auch Wasserstoff aus anderen Quellen erforderlich sein; aber bitte nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich!
ENI: Die Infrastruktur für den Transport steht auf der einen Seite (Blending in Gasnetzen) und es soll parallel ausschließlich Wasserstoff transportierende Pipelines geben. Wie sehen Sie da die zukünftige Entwicklung? Auch bezogen auf andere Netze wie die Stromnetze.
Töpler: Die Zumischung von Wasserstoff in das Erdgasnetz ist eine erste Möglichkeit, ihn in Netzen zu verteilen. Allerdings ist dieses Verfahren nicht neu. Bereits in früheren Stadtgasnetzen mit Synthesegas war ein H2-Gehalt von etwa 50 Prozent üblich. Beispielseise wurde die erste Flotte von Wasserstoff-Fahrzeugen in Kundenhand 1984 bis 88 in West-Berlin mit Wasserstoff betrieben, der mit einer Reinheit von 5.0 mittels eines dreistufigen PSA-Verfahren (Pressure-Swing-Adsorption) aus dem Berliner Stadtgas gewonnen wurde.
Heute laufen die ersten Versuche der H2-Zumischung im Erdgasnetz mit einem Anteil von bis zu 30 Prozent mit gutem Erfolg inklusive der begleitenden Sicherheitsuntersuchungen zum Beispiel der Zündgrenzen des Gemisches.
Eine direkte Nutzung des Gasgemisches ist allerdings nur thermisch möglich! Für eine bessere exergetische Nutzung des Wasserstoffs – zum Beispiel über die Brennstoffzelle - ist eine Abtrennung erforderlich. Daher wird die Zumischung wahrscheinlich nur in einer Übergangsphase stattfinden mit dem Ziel, am Ende ein vollständiges Wasserstoffnetz zu haben.
Zusätzlich zum Bedarf der H2-Speicherung innerhalb Deutschlands ist auch zu berücksichtigen, dass der erforderliche Import Erneuerbarer Energien insbesondere bei interkontinentalem Transport nur über den Wasserstoff geht, sodass auch für dessen Verteilung ein H2-Netz erforderlich sein wird.
ENI: Wie sehen Sie die Entwicklung in der Elektromobilität bezogen auf den Einsatz der Batterie und der Brennstoffzelle (Wasserstoff) in der Welt und in den verschiedenen Einsatzfeldern? Ergänzen sich beide Varianten oder stehen diese im Wettbewerb? Welche Variante hat für Sie das größte Potenzial? Worin könnten Hürden liegen, die mancher Entwicklung im Weg steht?
Töpler: Ich bin überzeugt, dass der Brennstoffzellen-PKW weltweit kommen wird. Er steht meines Erachtens auch nicht in Konkurrenz zum Batterie-PKW sondern beide ergänzen sich. Batterie-Fahrzeuge werden direkt über das elektrische Netz beladen, was bezüglich des Wirkungsgrades der Energiekette optimal ist. Das gilt allerdings aber nur, wenn das elektrische Netz ausreichend stabil ist und die Energie nicht mit Wasserstoff zwischenzeitlich gespeichert werden musste (zum Beispiel bei Dunkelflaute).
Dann wäre die direkte Nutzung des Wasserstoffs in einem H2/BZ-Fahrzeug sinnvoller.
Ein H2/BZ-Fahrzeug bezieht seine Energie immer aus den Speichern und nie direkt aus dem Strom-Netz und trägt damit zur Stabilisierung des elektrischen Netzes in Zeiten eines schwachen Primärenergie-Angebotes bei.
Je nach dem Fahrprofil eines Autos und der vorrangig zur Verfügung stehenden Energiequelle (zum Beispiel PV-Anlage mit Batteriespeicher im eigenen Haus) kann ein Batterie- oder BZ-Fahrzeug Vorteile haben. Auch die Kombination beider Technologien in einem Fahrzeug (Batterie für die täglichen kurzen Strecken die Brennstoffzelle für die längeren Fahrten) wie beim Daimler GLC kann sinnvoll sein, weil dann Wirkungsgrad und Versorgungssicherheit gut kombinierbar sind.
Die Hürden sind aus meiner Sicht beim Batterie-Fahrzeug die CO2-Emissionen bei der Batterie-Produktion und die noch nicht gelösten Probleme des Recycling und beim H2/BZ-Fahrzeug die noch unzureichende Infrastruktur und Verfügbarkeit des grünen Wasserstoffs.
ENI: Aus China ist zu hören, dass da führende KFZ-Hersteller bereits Prototypen für BZ-Fahrzeuge entwickelt haben. Toyota und Hyundai geben sich technologieoffen und setzen neben der Batterie auf wasserstoffbetriebene KFZ aller Art, vom PKW (Mirai, Nexo) bis hin zu Bussen und NFZ. Was beziehungsweisewelchen Weg würden Sie der deutschen Autoindustrie empfehlen? VW und andere – außer BMW – sehen die Elektromobilität ausschließlich auf die batterieelektrische bezogen. Die Brennstoffzelle und Wasserstoff finden da nicht statt. Wo stehen wir in zehn bis 20 Jahren – in Deutschland, der EU und in der Welt?
Töpler: Die Japaner (Toyota, Honda), Koreaner (Hyundai) und auch chinesische Hersteller haben angekündigt, Weltmarktführer in dieser Branche werden zu wollen. Sie fahren ihre Produktionsmöglichkeiten entsprechend hoch. Toyota und Hyundai haben die ersten Fahrzeuge auch auf dem europäischen Markt, Hyundai auch mit einer großen LKW-Flotte in der Schweiz.
Auch Daimler und VW hatten marktreife BZ-PKWs in Kalifornien im Einsatz und Daimler hat 2011 mit der Weltumrundung von drei H2/BZ-Fahrzeugen der B-Klasse die Marktreife demonstriert.
Zurzeit sind die Batterie-Fahrzeuge natürlich weit voraus. Das liegt nach Aussage der Herstellerfirmen daran, dass die strengen Klima-Ziele wesentlich schneller mit Batterie-Fahrzeugen zu erreichen sind, weil die Fertigungstiefen und damit auch der Personalaufwand deutlich niedriger ist. Hinzu kommt, dass die Batterie-Entwicklung bezüglich Betankungsdauer, Zyklisierungsstabilität und Reichweite deutliche Fortschritte gemacht hat.
Bei LKWs, großen Arbeitsfahrzeugen (zum Beispiel Müllsammler) und Bussen werden allerdings die Batterien so schwer oder die Ladezeiten so lang, dass H2/BZ – Antriebe deutliche Vorteile haben. Daher fokussieren die meisten deutschen Hersteller ihre Entwicklungen darauf.
Es ist zu hoffen, dass diese Entwicklungen so schnell in den Markt kommen, dass wir unsere Klimaziele noch erreichen.
ENI: Wasserstoff in den Wärmemärkten – Gasheizung – wird sehr zurückhaltend betrachtet oder sogar gar von mancher politischer Seite als nicht zielführend beschrieben. Wo sehen Sie da das Potenzial? Firmen wie Viessmann hatten hierbei große Pläne, zum Beispiel Gasheizungen h2-ready zu machen. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein – auch in Konkurrenz zur strombasierten Wärmepumpe?
Töpler: Zunächst einmal müssen wir beim „Wärmemarkt“ unterscheiden zwischen der Hochtemperatur-Wärme für industrielle Prozesse (zum Beispielfür die Glasindustrie) und der Gebäudeheizung. Bei der Hochtemperatur-Wärme sehe ich nur den grünen Wasserstoff als CO2-freie Wärmequelle.
Zur Gebäude-Heizung sind in Japan schon einige zig-Tausend Brennstoffzellen-Heizgeräte im Markt, die gleichzeitig Strom und Wärme produzieren. Dabei entspricht das Verhältnis der Strom und Wärmemenge etwa dem Bedarf eines typischen japanischen Haushalts. In Deutschland sind die Wohnungen deutlich größer und damit auch der Wärmebedarf. Folglich müsste bei einem BZ-Heizgerät noch ein zusätzlicher Brenner für den Spitzen-Wärmebedarf eingebaut werden. Das ist sicherlich sub-optimal, da der Exergie-Inhalt des Wasserstoffs zu schade ist, um diesen nur thermisch zu nutzen. Darüber hinaus sind kleine Anlagen (zum Beispiel für Einfamilienhäuser relativ teuer. Große Anlagen (Quartierlösungen) sind deutlich rentabler – im wesentlichen aufgrund von Skalierungseffekten.
Ob eine Wärmepumpe oder ein BZ-Heizgerät vorzuziehen ist, hängt vom Einzelfall ab und sollte genau geprüft werden, auch im Hinblick auf die Versorgungssicherheit bei der Stromversorgung und die Bedeutung des Wasserstoffs als Energiespeicher.
ENI: Wenn Sie der Politik in Deutschland – der Regierung (Ampel) aber auch der nächsten – Empfehlungen geben würden – was die Energiewende, die Elektromobilität und auch die Wärmemärkte bezogen auf Wasserstoff angeht – wie würden diese aussehen? Welche Maßnahmen müssten Ihrerseits getroffen werden? Wie ließe sich der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft Ihrer Meinung nach beschleunigen? Ist der amerikanische IRA da Vorbild?
Töpler: Das sind sehr viele Fragen auf einmal. Zur Strukturierung der Antworten möchte ich von der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Versorgungssicherheit ausgehen. Diese wird durch den Wasserstoff und seine Speicherfähigkeit großer Energiemengen (durch Moleküle!) gewährleistet.
Die erneuerbaren Primärenergien kommen vorrangig durch Elektronen in die Anwendung, und deren direkte Nutzung ermöglicht die besten Wirkungsgrade.
Beides(!) wird für eine nationale Energiestrategie gebraucht. Hinzu kommt, dass für den notwendigen Import Erneuerbarer Primärenergie Wasserstoff als Energieträger benötigt wird, insbesondere bei Importen aus Übersee.
Wir sind in Deutschland in der glücklichen Situation, dass wir für die „Träger“ der Effizienz (Elektronen) und der Speicherfähigkeit (Moleküle) verfügbare Netze haben. Dabei sind elektrische Netze noch auszubauen, die Erdgasnetze und Erdgasspeicher – soweit wie möglich auf Wasserstoff umzurüsten und gegebenenfalls neue H2-Speicher noch auszusolen.
Auf dieser Basis sollte eine nationale Energiestrategie der Regierung aufbauen, die die gesamte Wertschöpfungskette umfasst – von der Versorgungssicherheit der Rohstoffe bis hin zum Recycling aller eingesetzten Materialien. Bei der Mehrheit der Politiker, mit denen ich Kontakt hatte, war ich erfreut über den Sachverstand. Nur manchmal haben Partei-ideologische Vorbehalte gegenüber dem Wasserstoff die Kommunikation erschwert.
Insgesamt ist Deutschland und auch große Teile Europas auf einem guten Weg – nicht zuletzt auch durch die engagierte Arbeit des Nationalen Wasserstoff-Rates (NWR).
Es fehlen zurzeit noch Regelwerke für die Umsetzung der nationalen Wasserstoff-Strategien, sodass die Firmen noch keine ausreichende Planungssicherheit haben oder an kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Gewinn festhalten.
Es ist zu hoffen, dass mit der Erstellung eines Rechtsrahmens für die Einführung des Wasserstoffs auch die Geschwindigkeit der Umsetzung zunimmt. Aber: die ersten Abschnitte des „European Hydrogen Backbone“ werden gebaut, und die Phantasien der All-elektrischen Welt mit der Forderung des Rückbaus der Gasnetze sind Geschichte.
Eine Förderung nach dem amerikanischen IRA-Vorbild halte ich bezüglich der Geldmenge in Deutschland für nicht realisierbar. Aber um zu verhindern, dass Erfolg-versprechende deutsche Entwicklungen wegen der IRA-Förderungen in die USA verlagert werden, wäre in Deutschland eine Fokussierung auf wirklich wichtige Projekte empfehlenswert. Die „ergebnisoffene“ Förderung war nicht immer zielführend.
Wenn nach einem ausländischen Vorbild für unsere Aktivitäten gesucht wird, fällt mir zuerst Japan ein, wo ein Ministerium für Internationalen Handel und Industrie (MITI) nach anfänglichen umfassenden Voruntersuchungen eine Vorauswahl der zielführenden Optionen erstellt und darauf die weiteren Arbeiten konzentriert und massiv fördert.
ENI: Haben Sie Anmerkungen zum Themenkomplex, die unsere Leser interessieren sollten/dürften? Eine Vision? Ein Zukunftsszenario?
Töpler: Ich habe als Vision oder Zukunftsszenario eigentlich nur das, was vermutlich jede(r) von uns hat:
dass wir es wirklich schaffen, den Klimawandel zu stoppen, damit unsere Erde auch für die kommenden Generationen bewohnbar bleibt.
Der Beitrag ist zuerst in ENI EXXECNEWS INSTITUTIONAL 02/2024 erschienen.
Dr. Johannes Töpler war von 2002 bis 2023 Mitglied des Vorstandes des DWV (Deutscher Wasserstoff- und Brennstoffzellenverband). In den Jahren 2003 bis 2014 war er Vorsitzender des DWV. Zwischen den Jahren 2000 und 2010 war Dr. Töpler Mit-Herausgeber der Fachzeitschrift „Fuel Cells - from Fundamentals to Systems“. Zwischen 1988 und 2015 arbeitete er als Lehrbeauftragter für „Regenerative Energien“ an der Hochschule Esslingen. Von 1977 bis 2006 forschte er im Auftrag der Daimler-Benz/ DaimlerChrysler-Forschung in den Arbeitsgebieten: Wasserstoff, Brennstoffzelle und Regenerative Energien. Sein Physikstudium an der Technischen Hochschule Aachen absolvierte Dr. Töpler 1972, ehe er 1977 am Forschungszentrum Jülich promovierte.