Klimaanpassung zahlt sich aus – zehnfach
Sturmfluten, Hitzewellen, Ernteausfälle – die Folgen des Klimawandels sind längst Realität. Doch während Milliarden in Dekarbonisierung und Energieinfrastruktur fließen, fristet die Klimaanpassung ein Nischendasein. Zu Unrecht, sagt Dr. Harald Heubaum, Co-Autor des Working Paper „Strengthening the investment case for climate adaptation: A triple dividend approach“ für das World Resources Institute (WRI).
Seine neue Studie zeigt: Investitionen in Resilienz zählen zu den rentabelsten überhaupt. Jeder Dollar, der in Frühwarnsysteme, klimasichere Infrastruktur oder Agrarinnovationen fließt, bringt im Schnitt mehr als das Zehnfache zurück – ökonomisch, sozial, ökologisch. Ein Gespräch über Denkfehler, Renditeblindheit und die Chance, Entwicklung neu zu definieren.
ENI: Herr Dr. Heubaum, Ihre aktuelle Studie für das WRI zeigt eindrucksvoll, wie wirtschaftlich Investitionen in Klimaanpassung sein können. Für jeden investierten Dollar in Klimaanpassung und Resilienzmaßnahmen entstehen laut WRI binnen zehn Jahren über zehn Dollar an wirtschaftlichem und sozialem Nutzen. Was hat Sie an diesem Ergebnis selbst überrascht?
Dr. Harald Heubaum: Ähnliche Studien, zum Beispiel der „Adapt Now“ Report der Global Commission on Adaptation, fanden bereits vor ein paar Jahren vergleichbare Erträge - oder besser gesagt: Nutzen - für Investitionen in Klimaanpassung und -resilienz. Nun handelt es sich hierbei um wirtschaftliche Nutzen und nicht um Renditen, das heisst also alle quantifizierbaren Nutzen wurden summiert und nicht nur die betriebswirtschaftlich interessanten Kapitalerträge. Allerdings ist ein zehnfacher Gewinn, um diesen Begriff einmal zu gebrauchen, schon sehr signifikant. Der wichtige Unterschied zu früheren Studien ist, dass es sich bei diesen in der Regel um Literaturübersichten ohne viele konkrete Daten und Fallbeispiele handelte, während unsere Studie 320 tatsächliche Investitionsprojekte in zwölf Ländern im Detail untersucht und zeigt: die bisherigen Annahmen können mit konkreten Zahlen untermauert werden.
ENI: Welche Art von Daten haben Sie für Ihre Analyse herangezogen – und wie belastbar sind diese, insbesondere mit Blick auf die zehnjahres-Prognosen?
Heubaum: Die überwiegende Mehrzahl der Daten ist Kosten-Nutzen-Analysen von Projektbewertungsdokumenten verschiedener Entwicklungsbanken entnommen, vornehmlich der Weltbank aber auch zum Teil der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB). Einige wenige Projektdaten konnten wir auch Dokumenten von Klimafonds wie zum Beispiel dem Grünen Klimafonds (GCF) entnehmen. Diese Dokumente projizieren Auswirkungen von Investitionen in der Regel über einen Zeitraum von 20 Jahren, manchmal aber auch länger. Wir haben hier einen kürzeren Zeitraum gewählt, da Ungewissheiten größer werden, je weiter Sie in die Zukunft schauen. Nun muss man dazu auch verstehen, dass diese Art von Dokumenten vor dem Beginn eines Investitionsprojektes zur Klimaanpassung stehen und eben nicht am Ende, d.h. es werden fundierte Annahmen zu potenziellen Entwicklungen gemacht, entweder auf der Grundlage von Computermodellen oder zum Beispiel von historischen und dann mit einigen Korrektiven in die Zukunft projizierten Datensätzen. Diese Annahmen sind aber in der Regel bewusst konservativ, um eventuelle Nutzen nicht überzubewerten. Zudem stützen tatsächliche Entwicklungen in einer Anzahl von Projekten diese Annahmen bisher. Hier können wir in Zukunft allerdings noch mehr für die Datenverlässlichkeit tun - durch bessere „ex post“-Analyse zum Beispiel einer systematischen Untersuchung der tatsächlich eingetretenen Auswirkungen am Projektende.
ENI: Nur acht Prozent der betrachteten Projekte beziffern die wirtschaftlichen und sozialen Effekte vollständig. Was sagt das über unsere gängige Bewertungspraxis von Investitionen aus?
Heubaum: Dass nur acht Prozent der von uns untersuchten Anpassungsprojekte die vollständigen wirtschaftlichen und sozialen Nutzen quantifizieren, zeigt, dass gängige Investitionsbewertungspraktiken sich noch stark auf direkte Kosten und Nutzen fokussieren und die breiteren gesellschaftlichen, ökologischen und langfristigen Vorteile häufig ausblenden. Das liegt oft auch daran, dass es methodologisch schwierig sein kann, diesen Nutzen effektiv zu quantifizieren. In der Kosten-Nutzen-Analyse (CBA) braucht es daher einen Paradigmenwechsel: neben unmittelbaren Nutzen (zum Beispiel durch den Hochwasser- oder Hitzeschutz) müssen auch die durch die Investitionen entfesselten zusätzlichen wirtschaftlichen Chancen und die sozialen sowie ökologischen Zusatznutzen systematisch einbezogen werden. Genau das macht der „triple dividend“ Ansatz vor. Wenn wir das konsequent machen, lassen sich Klimaanpassungsinvestitionen realistisch bewerten und politisch als auch privatwirtschaftlich besser begründen.
ENI: Sie sprechen von einer „Triple Dividend“-Logik. Warum ist diese Denkweise bislang nicht stärker in der Finanzwelt etabliert?
Heubaum: Die „triple dividend“ besteht ja nun aus drei Arten von Nutzen die nicht alle in gleichem Masse für die Finanzwelt interessant sind. In der ersten dividend befinden sich die vermiedenen Verluste, das heisst also die Kosten der Auswirkungen des Klimawandels, die durch smarte Investitionen in Klimaanpassung und -resilienz vermieden oder gemindert werden können. Nehmen Sie das Beispiel eines Hochwasserschutzprojektes, dass Menschenleben rettet und Infrastruktur schützt. In der zweiten dividend befinden sich zusätzliche wirtschaftliche Nutzen, die durch die Schutzinvestition entfesselt wurden aber eben auch ohne sie eintreten, zum Beispiel Mehrinvestitionen von Unternehmen in jetzt geschützten Gebieten, steigende Immobilienwerte oder neue Jobs. In der dritten dividend befinden sich nun die weiteren positiven sozialen und ökologischen Nutzen, also zum Beispiel Emissionsreduktionen und bessere Biodiversität als Resultat der Renaturierung ursprünglich begradigter Flussläufe. Aus dieser Erklärung heraus wird deutlich: privatwirtschaftliche Mehrwerte befinden sich vor allem in der zweiten dividend und zum Teil in der ersten, zum Beispiel im Hinblick auf den Versicherungsschutz, aber nicht in allen dividends gleichermaßen. Die triple dividend ist ein sehr hilfreicher Ansatz, um die verschiedenen wirtschaftlichen Nutzen besser darzustellen und zu verstehen. Deswegen wird er auch sehr gut von Regierungen angenommen - ich arbeite im Moment auch für die britische Regierung und bringe dort den „triple dividend“ Ansatz in die wirtschaftlich relevanten Klimaanpassungsplanungen des Umweltministeriums ein. Um es für die Finanzwelt interessanter zu machen, müssen wir die oft bedeutenden privatwirtschaftlichen Aspekte der triple dividend besser hervorheben und die Verbindung zwischen wirtschaftspolitischer Analyse und finanzpolitischer Relevanz stärker herausstellen.
ENI: Gibt es eine Benchmark oder ein standardisiertes Bewertungsmodell, mit dem sich die indirekten Vorteile von Anpassungsprojekten beziffern lassen?
Heubaum: Es gibt derzeit keinen einheitlichen globalen Standard, um die indirekten Nutzen von Anpassungsprojekten umfassend zu quantifizieren und darzustellen. Allerdings haben zum Beispiel die Weltbank und das Global Center on Adaptation Methoden zur Monetarisierung von vermeidbaren Klimaschäden und Folgekosten und die OECD Leitlinien für die Bewertung von wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen co-benefits entwickelt. Zudem gewinnen Konzepte wie der „triple dividend“ Ansatz zunehmend an Bedeutung, weil sie helfen, indirekte und oft nicht quantifizierte Effekte klar sichtbar zu machen (in der zweiten und dritten dividend). Ziel muss es sein, diese Nutzen konsistent in Kosten-Nutzen-Analysen und letztlich Investitionsentscheidungen einzubinden.
ENI: Welche Rolle könnten grüne Staatsanleihen oder Impact Bonds spielen, um die Finanzierungslücke zu schließen?
Heubaum: Grüne Staatsanleihen und Impact Bonds können eine wichtige Rolle dabei spielen, die Finanzierungsluecke für Klimaanpassung zu schließen, indem sie privates Kapital für öffentliche Resilienzmaßnahmen mobilisieren. Sie verknüpfen Finanzrenditen mit messbaren Klimaanpassungsergebnissen und machen so den Mehrwert von Investitionen transparenter. Wenn Sie dabei nun den „triple dividend“ Ansatz anwenden, lassen sich neben der Schadensvermeidung auch wirtschaftliche Chancen sowie soziale und ökologische Zusatznutzen quantifizieren. Das kann die Attraktivität dieser Instrumente für Investoren zusätzlich erhöhen.
ENI: Was müsste passieren, damit Anpassung und Resilienz nicht nur als „Klimakosten“, sondern als ökonomische Chance wahrgenommen werden – auch politisch?
Heubaum: Damit Anpassung und Resilienz nicht länger als reine „Klimakosten“ wahrgenommen werden, sondern als wirtschaftliche Chancen, bedarf es eines klaren Perspektivwechsels in Politik und Wirtschaft. Der „triple dividend“ Ansatz kann dabei helfen, indem er aufzeigt, dass Investitionen in Klimaanpassung nicht nur Schaeden vermeiden (erste dividend), sondern vor allem zusätzliches wirtschaftliches Wachstumspotenzial freisetzen (zweite dividend) und soziale sowie oekologische Zusatznutzen schaffen (dritte dividend). Es ist wichtig, diese Mehrwerte dann auch messbar zu machen, zum Beispiel durch neue Finanzinstrumente, Anreizsysteme und politische Rahmenbedingungen, die private und öffentliche Investitionen in Klimaanpassung fördern. Der „triple dividend“ Ansatz kann helfen, Klimaanpassung im politischen Diskurs zum Motor für Wettbewerbsfaehigkeit, Wachstum und Stabilität umzudefinieren.
ENI: In welchen Sektoren sehen Sie derzeit das größte Potenzial für „bankable adaptation“?
Heubaum: Bankfähige Klimaanpassung ist vor allem in Sektoren möglich, in denen man Investitionen gut monetarisieren kann, es also klare Geschäftsmodelle gibt. Das ist dort der Fall, wo Sie entweder direkte Einnahmen erzeugen oder nachweisbare Kosten und Risiken reduzieren. Ein besonders großes Potenzial gibt es im Wassermanagement und bei widerstandsfähiger Infrastruktur (zum Beispiel durch Gebührenmodelle oder PPPs), aber auch bei erneuerbaren, dezentralen Stromsystemen, klimaresilienter Landwirtschaft, bei Klima- und Naturkatastrophen-Frühwarnsystemen, sowie Versicherungs- und Risikotransferlösungen (denken Sie an parametrische Versicherungen und Katastrophenanleihen).
ENI: Lassen sich Ihre Erkenntnisse auch auf Industrieländer übertragen – oder ist das vor allem eine Agenda für Entwicklungs- und Schwellenländer?
Heubaum: Die Ergebnisse haben sehr wohl auch für Industriesländer Relevanz. Das sieht man auch in dem Anklang, den Untersuchungen zur „triple dividend“ in Ländern wie Großbritannien finden. Investitionen in Klimaanpassung und -resilienz sind für alle Länder dringend notwendig, auch wenn natürlich bei Kapazitäten und finanziellen Mitteln sehr große Unterschiede bestehen. Auch in Industrieländern ist es oft schwierig, ausreichende staatliche und private Mittel für Klimaanpassung zu mobilisieren, da die unmittelbaren Vorteile dieser Investitionen häufig unterschätzt oder nicht verstanden werden. Der "triple dividend" Ansatz kann hier helfen, indem er mit konkreten Zahlen zeigt, dass diese Investitionen nicht nur Schäden vermeiden, sondern auch wirtschaftliches Wachstum und andere soziale und ökologische Mehrwerte schaffen - das ist attraktiv für politische Entscheidungsträger und Investoren.
ENI: Wenn Sie die Studie in einem Satz zusammenfassen müssten – was wäre Ihre zentrale Botschaft an Investoren und Entscheidungsträger weltweit?
Heubaum: Der „triple dividend“ Ansatz zeigt Investoren und politischen Entscheidungsträgern, dass Investitionen in Klimaanpassung nicht nur Schäden und Verluste durch Klimarisiken vermeiden, sondern auch erhebliche wirtschaftliche Entwicklungschancen ermöglichen, sowie zusätzliche soziale und ökologische Nutzen schaffen können, selbst wenn die negativen Klimaauswirkungen nicht eintreten - ein solcher Ansatz geht über traditionelle Kosten-Nutzen-Analysen hinaus und kann dabei helfen, bessere Investitionsentscheidungen zu treffen.
ENI: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Heubaum.
Dr. Harald Heubaum ist Associate Professor in Global Energy and Climate Policy, and Deputy Director of the Centre for Sustainable Finance, an der SOAS University of London. Außerdem ist er Deputy Director des Centre for Sustainable Finance der Global Solutions Initiative, einem internationalen Netzwerk führender Thinktanks, das unabhängig fundierte Politikempfehlungen für den G20- und G7-Dialog liefert.
Der Beitrag ist zuerst in ENI EXXECNEWS INSTITUTIONAL 06-2025 erschienen.
Impact inmitten der Instabilität