Draghis Super-Behörde: Kommt die zentrale europäische Fondsaufsicht?
Mario Draghi, ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), hat unlängst einen Vorschlag für die Zukunft des europäischen Kapitalmarktes vorgelegt. Dabei schlägt Draghi die Schaffung einer zentralen „Super-Aufsichtsbehörde“ vor, die die Zersplitterung der Finanzaufsicht in der EU beenden und den europäischen Kapitalmarkt effizienter gestalten soll. Dieser Vorstoß sorgt für hitzige Debatten – bisher jedoch nur in anderen Ländern, nicht in Deutschland. Dabei könnte Draghis Vorschlag besonders für Deutschland weitreichende Folgen haben. Nach Ansicht von Jochen Kindermann, Partner und Spezialist für Bank- und Kapitalmarktrecht bei der Kanzlei Simmons & Simmons, könnte Frankfurt als Finanzplatz durchaus an Bedeutung verlieren.
Für die Asset-Management-Industrie könnte es kurzfristig Kosteneinsparungen mit sich bringen, auf lange Sicht kann sich dieses aber auch in das Gegenteil entwickeln. Am 9. September 2024 präsentierte Draghi seinen Bericht „The future of European competitiveness“. Eine Kernthese des Berichts zeigt auf, dass die EU weniger ein Problem mit innovativen Ideen hat, sondern dass es vielmehr an der Kommerzialisierung dieser Ideen mangelt. Eine Schwachstelle sieht Draghi in der immer noch fortbestehenden Fragmentierung des Kapitalmarktes. In diesem Zusammenhang fordert Draghi den Ausbau der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) zu einer zentralen Kontrollinstanz – ähnlich dem Modell der amerikanischen Securities and Exchange Commission (SEC). „Ein besonderer Aspekt des Draghi-Berichts ist der Plan, die Aufsicht über Investmentfonds mittelfristig bei der ESMA zu konzentrieren. Das bedeutet letztlich, die Aufsicht über Investmentfonds der nationalen Aufsicht zu entziehen“, erklärt Kindermann.
Massiver Widerstand aus Luxemburg und Irland
Laut Draghis Plan soll die ESMA zunächst die Aufsicht über multinationale Emittenten, regulierte Handelsplätze und zentrale Gegenparteien übernehmen. National tätige Emittenten blieben vorerst in der Verantwortung der nationalen Behörden. Langfristig soll jedoch auch die Fondsaufsicht vollständig auf die ESMA übergehen. Die Idee einer zentralen Aufsichtsbehörde mag nach Einschätzung von Kindermann auf den ersten Blick effizient erscheinen, doch die Umsetzung birgt enorme politische und wirtschaftliche Herausforderungen. Kritiker befürchten, dass eine Zentralisierung der Aufsicht gerade nicht die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Finanzzentren steigert und die eigentlich zugrundeliegenden Probleme der Marktintegration nur verdecke.
Während die Debatte in Luxemburg und Irland bereits in vollem Gange ist, scheint Deutschland noch am Rande der Diskussion zu stehen. Für ein exportorientiertes Land wie Deutschland, das auf Kapitalzuflüsse aus Nicht-EU-Staaten angewiesen ist, stelle sich die Frage, ob eine stärkere Kapitalmarktunion tatsächlich im nationalen Interesse liege. Für die Asset-Management-Industrie und letztlich auch Anleger könnte eine europäische Aufsicht jedoch einige Chancen bieten. „Durch den Wegfall nationaler regulatorischer Besonderheiten, dem sogenannten ‚Gold-Plating‘, könnten Unternehmen erhebliche Kosteneinsparungen erzielen. Dies könnte auch dazu führen, dass günstigere Finanzprodukte für Verbraucher angeboten werden“, erklärt Kindermann.
Gleichzeitig berge Draghis Ansatz aber auch das Risiko einer doppelten Regulierung durch nationale und europäische Behörden – ein Problem, das bereits in anderen Industrien aufgetreten sei. Den Aufbau einer Superbehörde hält Kindermann langfristig für unausweichlich. „Das ist ein weiterer, stringenter Schritt auf dem Weg zu einer vollständigen Kapitalmarktunion. Er würde fortsetzen, was im Grunde schon das Ziel der ersten großen Finanzmarktrichtlinie aus dem Jahr 1993, der Investment Services Directive, war, nämlich einen global wettbewerbsfähigen EU-Kapitalmarkt zu schaffen, der sich durch europaweit gleiche Wettbewerbsbedingungen auszeichnet“, sagt Kindermann. Über die Ziele von Draghis Reform – mehr Wettbewerbsfähigkeit und eine Verringerung der regulatorischen Zersplitterung – herrsche insofern auch weitestgehend Einigkeit. Doch der Weg dorthin dürfte umstritten bleiben. (DFPA/mb1)
Simmons & Simmons ist eine internationale Anwaltssozietät mit 320 Partnern, 2.100 Mitarbeitern und 21 Büros in Europa, im Nahen Osten und in Asien.