Die Schuldenbremse muss reformiert oder abgeschafft werden

Kommentar von Dieter Wermuth (Wermuth Asset Management) zur Lage an den Kapitalmärkten. Seiner Einschätzung nach ist ein Instrument wie die Schuldenbremse in seiner jetzigen Form vor allem eine selbstverschuldete Wachstumsbremse:

Dieter Wermuth
Dieter Wermuth

Die Bundesrepublik hat kerngesunde öffentliche Finanzen, jedenfalls im internationalen Vergleich. Umso erstaunlicher, dass sich die Diskussion hierzulande vor allem darum dreht, wie das staatliche Budgetdefizit verringert werden kann, als hinge die Zukunft des Landes davon ab.

Grundsätzlich kann der Staat so viele Schulden machen, wie er will, es kommt allein darauf an, für was er das Geld verwendet. Wenn die Ersparnisse der Menschen Erträge abwerfen sollen, muss es eine Gegenseite geben, die sich verschuldet, erfolgreich investiert und dadurch die Schulden bedienen, also Gewinne und Zinsen an die Sparer transferieren kann. Ohne Schulden gibt es in einer Marktwirtschaft weder genügend private noch staatliche Investitionen und damit weder einen Kapitalmarkt noch ein Wachstum des Produktionspotenzials und des allgemeinen Wohlstands. Die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form läuft darauf hinaus, dass der Staat in der langen Frist schuldenfrei sein wird und der Markt für „sichere“ Geldanlagen, nämlich staatliche Schuldtitel, verschwindet.

Solange sich der Staat nicht in Dollar oder einer anderen Fremdwährung verschuldet, kann er nicht zahlungsunfähig werden und gilt daher als der ultimative sichere Schuldner – die Notenbank (als Teil des Staates) kann jederzeit durch den Ankauf staatlicher Schuldtitel genügend Liquidität zur Verfügung stellen. Für die Länder des Euroraums gilt das natürlich nur begrenzt, denn keinem von ihnen „gehört“ die EZB allein. Die gemeinsame Notenbank kann und wird sie jedoch retten, wenn sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten, aber das wird immer mit strengen Auflagen verbunden sein. Die Rettung Griechenlands in den Jahren 2010 bis 2015 hat gezeigt, wie das geht. Nach einer langen Austeritätszeit nähert ich das Land hinsichtlich seines relativen Schuldenstands inzwischen in großen Schritten dem europäischen Mittelwert, beim Budgetsaldo hat es ihn schon erreicht, das alles im Wesentlichen ohne Schuldenbremse. Die internationalen Ratingagenturen geben Griechenland immer bessere Noten.

Dies ist kein Plädoyer für immer höhere Staatsschulden, aber dafür, zumindest die öffentlichen Investitionen bei der Berechnung der zulässigen Haushaltsdefizite auszuklammern. Eins ist sicher: Öffentliche Investitionen haben insbesondere in Deutschland seit vielen Jahren eine vergleichsweise hohe Ertragsrate, was nach Michael Hüther, dem Direktor des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft, „eine Kreditfinanzierung, …, wie sie die ‚Goldene Regel der Finanzpolitik‘ ermöglicht, durchaus rechtfertigt“. Er kommt 2019 in einem Aufsatz im „Wirtschaftsdienst“ zu dem Schluss, „dass die These durchaus merklicher Produktivitätswirkungen öffentlicher Investitionen bestätigt werden kann. Dies gilt insbesondere für Investitionen in die Infrastruktur, aber ebenso für Bildungsausgaben.“ (Seite 319) Er bezieht sich dabei auf die Jahresgutachten des Sachverständigenrats aus den Jahren 2002 und 2008. Konkret bedeutet das für mich, dass schuldenfinanzierte staatliche Ausgaben auch dann durchgezogen werden sollten, wenn die Defizite die Vorgaben der Schuldenbremse weit übertreffen. In den kommenden Jahren dürften sich kreditfinanzierte öffentliche Investitionen in Form steigender Steuereinnahmen selbst finanzieren. Sie sollten daher von der Schuldenbremse ausgenommen werden.

Nicht nur Straßen, Schienen, Glasfasernetze oder Schulen gehören zur Infrastruktur des Landes, das wäre eine viel zu enge Definition. Im heutigen Umfeld, in dem ein Großteil des Wachstums durch Software, die Analyse von Daten, die Digitalisierung der Prozesse, durch Dienstleistungen aller Art und immer mehr auch durch künstliche Intelligenz entsteht, gehören zu den staatlichen Investitionen vor allem auch die Ausgaben für Erziehung, Bildung und Forschung, also für Humankapital. Ausgaben für Kindergärtner und Lehrerinnen fallen, was den produktiven Kapitalstock angeht, eher in die Kategorie „Investitionen“ als etwa der Bau eines Fußballstadions oder Spielkasinos. In diesem weiteren Sinne dürften sogar einige der Sozialausgaben unter den Begriff staatlicher Investitionen fallen – denn das Humankapital lässt sich am besten in Zeiten steigern, in denen sozialer Friede herrscht. Das allerdings dürfte vorläufig nicht konsensfähig sein.

Wie wenig Wirtschaftswachstum mit der Höhe der Staatsschulden zu tun hat, zeigen die folgenden Zahlen: Nach dem neuen Economic Outlook der OECD dürften die staatlichen Bruttoverbindlichkeiten Deutschlands, also die Schulden, in diesem Jahr bei 65,4 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts liegen. Diese Quote ist in den sechs anderen großen demokratischen Industrieländern der G7-Gruppe deutlich höher: USA 120,9 Prozent, Japan 244,8 Prozent, Frankreich 118,2 Prozent, Vereinigtes Königreich 101,1 Prozent, Italien 148,2 Prozent und Kanada 100,6 Prozent. Deutschland ist nur wenig verschuldet, wächst aber nur sehr langsam, während beispielsweise die USA hohe Schulden hinnehmen, trotzdem aber kräftig expandieren. Auch Frankreich und Kanada weisen seit Jahren ein höheres Wirtschaftswachstum auf als Deutschland. Japan und Italien wiederum sind hochverschuldet, wachsen aber nur sehr langsam. Es ist daher überhaupt nicht zu erkennen, was Staatsschulden mit der eigentlichen Aufgabe der Wirtschaftspolitik zu tun haben – den allgemeinen Wohlstand zu mehren.

Niedrige Staatsschulden haben natürlich auch wichtige Vorteile: Sie gehen einher mit niedrigen langfristigen Real- und Nominalzinsen und damit einem geringen Anteil der Zinsausgaben an den Gesamtausgaben des Staates – das erhöht den Spielraum für Zusatzausgaben in schwierigen Zeiten, führt tendenziell zu einer Aufwertung der Währung und vermindert damit die Inflation.

Aber insgesamt ist ein wirtschaftspolitisches Instrument wie die Schuldenbremse in seiner jetzigen Form vor allem eine selbstverschuldete Wachstumsbremse. Sie vermindert die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und der übrigen Länder der Europäischen Union und muss daher dringend reformiert – oder abgeschafft werden.

Dieter Wermuth ist Gründer, Partner und Economist beim Family Office Wermuth Asset Management (WAM). Das 1999 gegründete Unternehmen hat sich auf klimawirksame Investitionen über alle Anlageklassen hinweg spezialisiert und investiert über eigene und fremde Fonds in Private Equity, börsennotierte Anlagen, Infrastruktur und Sachwerte. WAM hält sich an die UN Principles of Responsible Investing (UNPRI) und den UN Compact und ist Mitglied der Institutional Investor Group on Climate Change (IIGCC), des Global Impact Investing Network (GIIN) und der Divest-Invest-Bewegung.

Seit Juni 2017 ist Dieter Wermuth auch Mitglied des Anlageausschusses für den 24 Milliarden Euro schweren kerntechnischen Entsorgungsfonds (KENFO).

https://wermutham.com

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