EZB: Straffen solange die Rezession nicht zu offensichtlich ist - Notenbank zieht die Zügel stufenweise an
Kommentar von Robert Greil (Merck Finck) im Anschluss an EZB-Ratssitzung am 27. Oktober 2022. Seiner Einschätzung nach agiert die Notenbank entschlossener als es noch vor einigen Monaten erwartet worden war:
Die heutige Leitzinsanhebung war genau das, was alle erwartet haben. Jedoch machte die Notenbank klar, dass es angesichts des anhaltend hohen Inflationsdrucks an der Zeit ist, weitere restriktive Schritte einzuleiten. Andere führende Notenbanken von der Fed bis zur Bank of England sind der EZB hierbei längst voraus.
Im Fokus stehen dabei erst einmal – sozusagen als zweite Stufe – die langfristigen Kreditprogramme („TLTRO“, Targeted long-term refinancing operations), mit denen die EZB Geschäftsbanken langfristig quasi umsonst Mittel zur Kreditvergabe an Unternehmen zur Verfügung stellt. Mit der heute angekündigten Anpassung der Konditionen ab 23. November bremst die EZB einen der wichtigen Finanzierungskanäle für die Wirtschaft und beschränkt gleichzeitig die Gewinne von Banken daraus.
Auch die nächste wohl anstehende dritte Stufe in Sachen Inflationsbekämpfung, nämlich eine quantitative Straffung, hat die Notenbank vorsichtig in Aussicht gestellt. So soll bei der nächsten EZB-Sitzung im Dezember über das Thema Anleihenkäufe diskutiert und möglicherweise auch etwas entschieden werden. Damit dürfte ein Ende der Reinvestitionen von auslaufenden Anleihen näher rücken. Mit dieser Form von QT („Quantitative Tightening“) würde die EZB dann die Liquiditätszufuhr für die Märkte verknappen.
Die morgen anstehenden vorläufigen Oktober-Inflationszahlen für einige Euro-Länder inklusive Deutschlands dürften noch keinen rückläufigen Inflationsdruck anzeigen, sprich im Durchschnitt weiterhin um die zehn Prozent liegen. Die Zahlen für die gesamte Eurozone folgen am Montag und sollten eine ähnliche Sprache sprechen.
Unterm Strich bleibt der Eindruck, dass die EZB nun noch kräftiger auf die Bremse tritt. Immerhin hat sie Leitzinsanhebungen vorgezogen und den Umfang weiterer seit Ausbruch der Corona-Krise eingeführter Stimulierungsmaßnahmen reduziert. Sie agiert damit entschlossener als es noch vor einigen Monaten erwartet worden war – auch, um sich ein wenig Vorsprung zu erarbeiten, bevor sich die aus unserer Sicht kaum mehr vermeidbare Rezession zu sehr in handfesten Zahlen manifestiert und der Gegenwind von Seiten der Wirtschaft und der Politik deutlich zunimmt. Insbesondere die neue italienische Regierung hat bereits erkennen lassen, dass sie ihre Stimme gegen eine geldpolitische Straffung erhebt.
Robert Greil ist Chefstratege von Merck Finck mit Sitz in München. Die Zweigniederlassung des europäischen Privatbankenverbunds Quintet Private Bank (Europe) S.A. (vormals KBL European Private Bankers) begleitet komplexe Vermögen von Privatkunden, mittelständischen Unternehmen sowie Institutionen wie Kirchen und Stiftungen.