Weitere Anhebung der Leitzinsen wahrscheinlich
Kommentar von Ulrike Kastens (DWS) im Vorfeld der EZB-Ratssitzung am 15. Juni 2023. Ihrer Einschätzung nach bleibt die EZB datenabhängig mit dem Hinweis, dass weitere Zinsschritte folgen könnten.
Die Europäische Zentralbank dürfte auch im Juni 2023 alle Leitzinsen um weitere 25 Basispunkte anheben. Damit läge der Einlagensatz dann bei 3,50 Prozent, was sich aktuell auch in den Markterwartungen widerspiegelt. Eine marktbewegende Frage ist allerdings, ob die EZB darüber hinaus weitere Zinsschritte ankündigen wird.
Auch wenn die Inflationsrate im Mai 2023 doch stärker als erwartet zurückgegangen ist, ist es für eine Entwarnung in der Inflationsentwicklung unserer Meinung nach noch viel zu früh. Gerade der unterliegende Preistrend ist nach wie vor besorgniserregend, was auch in den „Monetary Accounts“ mehr als deutlich zum Ausdruck kam. Zwar ist die Kerninflationsrate im Mai nur noch um 5,3 Prozent gestiegen, nach 5,6 Prozent im April. Wir bleiben jedoch skeptisch, ob sich dieser Trend so schnell weiter fortsetzt, denn die Löhne steigen weiter an. Allein im ersten Quartal 2023 kletterten die Tariflöhne um 4,3 Prozent gegenüber Vorjahr.
Hinzu kommt, dass Unternehmen aufgrund der guten Nachfrage, auch nach Dienstleistungen, über erhebliche Preissetzungsspielräume verfügen. Diese Überlegungen dürften sich auch in den Projektionen der EZB niederschlagen und zu einer Anhebung der Prognose zur Kerninflationsrate führen. Angesichts der hohen Unsicherheit, wie schnell die restriktivere Geldpolitik auf Wachstum und Inflation wirken wird, rechnen wir mit einer unveränderten Kommunikation: Die EZB bleibt datenabhängig mit dem Hinweis, dass weitere Zinsschritte folgen könnten. Wir rechnen unverändert bis zum Herbst mit Leitzinsen von vier Prozent.
Ulrike Kastens ist Senior Economist für Europa bei der DWS Group in Frankfurt am Main. Der börsennotierte Vermögensverwalter im Mehrheitsbesitz der Deutschen Bank beschäftigt rund 4.400 Mitarbeiter weltweit und verwaltet ein Vermögen in Höhe von 841 Milliarden Euro.