Zinsentscheidung sendet widersprüchliche Signale

Kommentar von Jörg Angelé (Bantleon) im Anschluss an die EZB-Ratssitzung am 15. Juni 2023. Seiner Einschätzung nach vermittelt der Ausblick der EZB den Eindruck, als hätte die schärfste Straffung der Geldpolitik seit 50 Jahren keinen negativen Einfluss auf Konjunktur und Arbeitsmarkt, wohl aber einen dämpfenden Effekt auf die Inflation:

Jörg Angelé
Jörg Angelé

Wie allgemein erwartet, hat der EZB-Rat die Leitzinsen heute um 25 Basispunkte angehoben. Der Einlagensatz steigt mithin auf 3,50 Prozent, der Hauptrefinanzierungssatz auf 4,00 Prozent. Der künftige Zinspfad soll zwar prinzipiell von Sitzung zu Sitzung in Abhängigkeit der jeweils vorliegenden Daten bestimmt werden, nichtsdestotrotz kündigte EZB-Präsidentin Christine Lagarde eine weitere Zinsanhebung im Juli de facto an. Zwar gebe es erste vorsichtige Anzeichen für ein Nachlassen des noch immer starken unterliegenden Preisdrucks, die nach oben revidierten Inflationsprojektionen liessen der EZB jedoch keine andere Wahl, als weiter zu straffen. In der Pressemitteilung zur Zinsentscheidung wird auch darauf verwiesen, dass die bis dato erfolgten Zinsanhebungen stark auf die Finanzierungs- und die monetären Bedingungen im Euroraum durchschlagen und die Wirtschaft allmählich belasten. Die Geldpolitik wirkt mithin bereits erkennbar restriktiv. Wie Anfang Mai in Aussicht gestellt, werden fällige Wertpapiere aus dem Asset Purchase Programme (APP) ab Juli nicht mehr reinvestiert.

Inklusive der heutigen Entscheidung wurden die Leitzinsen seit Juni 2022 um 400 Basispunkte nach oben geführt. Damit kommt die aktuelle Zinsanhebungsphase der schärfsten geldpolitischen Straffung seit 1999 beziehungsweise unter Einbeziehung der Bundesbank sogar der vergangenen 50 Jahre gleich. Verstärkt wird die Wirkung der höheren Zinsen durch den gleichzeitigen Liquiditätsentzug über das Abschmelzen des APP sowie das Auslaufen der TLTRO-III- Geschäfte. Eine derartige Verschärfung der Finanzierungskonditionen kann unserer Einschätzung nach nicht ohne Auswirkungen auf die Konjunktur bleiben. In der Bauwirtschaft sind bereits deutliche Spuren in Form stark rückläufiger Auftragseingänge und einer wegbrechenden Nachfrage nach Hypothekenkrediten sichtbar. Zudem fragen auch die Unternehmen weniger Kredite nach. Dabei haben die bisher erfolgten Zinserhöhungen ihre volle Wirkung noch gar nicht entfaltet, was auch Lagarde einräumte. Umso überraschender ist daher, dass die Projektionen für den quartalsweisen BIP-Zuwachs (0,3 Prozent bis 0,4 Prozent) gegenüber den März-Projektionen gänzlich unverändert geblieben sind.

Wir halten die unterstellte Konjunkturbelebung in den kommenden Quartalen für zu optimistisch. Wir erwarten stattdessen einen weiteren Rückgang der Wirtschaftsleistung. Die Währungshüter werden unserer Ansicht nach daher nicht umhinkommen, ihre BIP-Prognose für 2023 und 2024 wieder spürbar zu senken.

Davon abgesehen geht die Revision der Inflationsprojektionen in unseren Augen in die falsche Richtung. Die Inflation wird in den kommenden Monaten erheblich zurückgehen. Hierauf deutet eine wachsende Zahl von Frühindikatoren hin, darunter Erzeuger- und Großhandelspreise sowie Absatzpreiserwartungen. Wir rechnen für den Zeitraum Oktober bis Dezember mit Inflationsraten um 2,5 Prozent. Auch die Kerninflationsrate wird im zweiten Halbjahr spürbar sinken. 2024 sollte der Preisauftrieb weiter nachlassen. Wir prognostizieren sogar ein zeitweises Unterschreiten des Zielwerts von 2,0 Prozent. Verantwortlich sind starke disinflationäre Impulse von den Gas- und Strompreisen sowie von den Nahrungsmittelpreisen. Lagarde begründete die Aufwärtsrevision der Kerninflationsprognose für 2024 von 2,5 Prozent auf 3,0 Prozent mit der robusten Arbeitsmarktentwicklung sowie der Annahme stärker steigender Lohnstückkosten. Allerdings wurde die entsprechende Prognose nur marginal von 3,2 Prozent auf 3,4 Prozent angehoben.

Fazit

Die heutige Zinsentscheidung sendet widersprüchliche Signale. Einerseits wird verbal eine Abschwächung der Konjunkturdynamik beschrieben, die Projektionen werden jedoch nicht angepasst. Mit Blick auf die Inflation wird von ersten Anzeichen eines nachlassenden Preisdrucks gesprochen, die Projektionen legen demgegenüber jedoch höhere Inflationsraten in den Jahren 2024 und 2025 nahe. In Summe vermittelt der Ausblick der EZB den Eindruck, als hätte die schärfste Straffung der Geldpolitik seit 50 Jahren keinen negativen Einfluss auf Konjunktur und Arbeitsmarkt, wohl aber einen dämpfenden Effekt auf die Inflation. Wir hatten auf Basis unserer Analysen mit einer deutlichen Abwärtsrevision der BIP- und der Inflationsprognosen der Notenbank für 2024 gerechnet. Nun scheint ein Zinsschritt im Juli sehr wahrscheinlich. Selbst im September könnte es noch eine Erhöhung geben, sollten die Währungshüter auch dann noch an ihren zu optimistischen BIP-Prognosen beziehungsweise an den zu hohen Inflationsprognosen festhalten. Wir rechnen daher mit mindestens einem weiteren Zinsschritt um 25 Basispunkte.

Jörg Angelé ist Senior Economist bei der Bantleon AG in Zürich. Der institutionelle Asset Manager mit Standorten in Deutschland und der Schweiz verwaltet mit 48 Mitarbeitern ein Vermögen von über fünf Milliarden Euro. Zu den Investoren der Publikums- und Spezialfonds zählen vor allem Banken, Versicherungen, Industrieunternehmen und Unternehmen der Altersvorsorge sowie auch sicherheitsbewusste Privatanleger.

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