Indien im Aufbruch: Investitionen in maritime Infrastrukturen, weniger Bargeld und Korruption

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Der indische Premierminister Narendra Modi fordert seit langem gesellschaftliche Umwälzungen. Seit seinem Amtsantritt im Mai 2014 wirbt Modi um Investoren und drängt auf eine Digitalisierung Indiens. Er will Wirtschaftsreformen, die Schifffahrt erneuern und eine einheitliche Mehrwertsteuer für den Subkontinent. Und Ende 2016 wagt er ein riskantes Geldexperiment: Mit dem Projekt „cashless economy“ sagt der indische Staatschef der Schattenwirtschaft und den illegalen Geldflüssen offen den Kampf an.

In Indien wird bar bezahlt – nicht nur Brot, Gemüse und Lebensmittel sondern auch Hochzeiten, Neuwagen und sogar Immobilien. Das Geld wird zur Not mit Koffern übergeben. Drei Viertel der erwachsenen Inder besitzen zwar eine Geldkarte, aber nur etwa ein Drittel nutzt sie aktiv für Zahlungen und Bankgeschäfte, ganz zu schweigen von E-Payment und Mobile Banking. Gut 90 Prozent aller finanziellen Transaktionen und 98 Prozent aller Konsumausgaben werden bislang in bar getätigt.

Die Nachteile sind offensichtlich: Die Cash-Zahlung ist umständlich und verbraucht Zeit. Zudem macht sie Steuerbetrug einfacher. Korruption und Schwarzarbeit behindern die wirtschaftliche Entwicklung in allen Teilen Indiens. Die indische Schattenwirtschaft beträgt mehr als die Hälfte des BIPs, dazu kommen die schwerfällige Bürokratie, endloser Papierkrieg, undurchsichtige Steuersätze, Behördenwillkür und auch die ausufernden Zollbestimmungen der 29 Bundesländer Indiens.

Finanzielle Alphabetisierung und Zwangsumtausch

Im Rahmen der Initiative von Staatspräsident Modi wird den indischen Schülern im Unterricht und bei Exkursionen das Zahlen mit der Plastikkarte beigebracht. Der Lehrer erklärt den Kindern wie man bargeldlos einkauft. Die Schule übernimmt dabei, was die Eltern nicht zeigen können. Die Schüler kaufen bei einem Ausflug in den Dorfladen Seife, Kekse und Schokolade – und zahlen mit der Geldkarte, die sie vordem vom Lehrer bekommen haben. Dieser Ausflug und weitere Schulprojekte sind kleine Teile des gewaltigen Reformprojekts zur „cashless economy“, mit dem die indische Regierung die Wirtschaft des Landes grundlegend erneuern will.

Ein weiterer Teil der indischen Wirtschaftsreform: Mitte des Jahres 2016 initiierte die Regierung von Narendra Modi, der seine Qualitäten bereits zuvor, von 2001 bis 2014, als Chief Minister des Bundesstaates Gujarat unter Beweis gestellt hat, eine Kampagne zur freiwilligen Selbstanzeige nicht versteuerten Vermögens. Es wurden Gelder in Höhe von knapp zehn Milliarden US-Dollar nachträglich deklariert – ein deutlicher Teilerfolg des Modi-Projektes Wirtschaftsreform.

Als weiterer Schritt folgte die Entwertung bzw. der Umtausch der im Umlauf befindlichen 500- und 1000-Rupien-Noten, der beiden höchsten Denominationen der indischen Währung. Es wurden mehr als 85 Prozent der gesamten Geldmenge bzw. rund 256 Milliarden US-Dollar eingezogen. Die besagten Geldscheine mussten dafür auf ein Bankkonto eingezahlt werden, so dass die entwerteten Scheine durch neue ersetzt werden konnten. So wurden Bürger dazu motiviert, ein Bankkonto zu eröffnen, falls sie noch keines hatten, was für einen Großteil der ärmeren Bevölkerung Indiens gilt.

Die Bargeld-Revolution ließ bereits in kurzer Zeit die Google-Suchanfragen zu alternativen Bezahlsystemen in Indien stark ansteigen – ein Hinweis darauf, dass immer mehr Menschen eine Nutzung solcher Systeme für sich in Betracht ziehen. Insgesamt hat Modi durch seine brachialen Entscheidungen die längst überfällige Digitalisierung der finanziellen Infrastruktur angeschoben. Zudem sind positive Impulse auf die Steuerquote zu erwarten. Lediglich 3,9 Prozent der indischen Bevölkerung trägt über Steuern und Abgaben zum Staatshaushalt bei – hier ist noch Luft nach oben. Im Vergleich mit China (19,8 Prozent) oder Malaysia (19,4 Prozent) ist die Steuerquote Indiens unterdurchschnittlich.

In eigens geschalteten Werbekampagnen werden auch die erwachsenen Bürger vom Staat ermuntert, sich Konten einzurichten, sich Kreditkarten zuzulegen oder ihre Rechnungen beim Alltagseinkauf mit dem Smartphone zu begleichen. Es gibt viele Hilfskräfte, die in und um Banken bereitstehen, um den „Anfängern“ zu erklären, wie zum Beispiel eine Überweisung funktioniert. Diese „finanzielle Alphabetisierung“ steht im Fokus der wirtschaftlichen Reformbewegung und soll alle Bevölkerungsschichten erreichen.

Neues Indien – altes Indien

Indien hat die zehntgrößte Volkswirtschaft der Welt und in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Im Haushaltsjahr 2016/2017 verzeichnete Indiens Wirtschaft ein kräftiges Wachstum von 7,1 Prozent. Ökonomen erwarten, dass das Land Mitte des Jahrhunderts die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt nach China und den USA sein wird.

Das Bruttoinlandsprodukt Indiens stieg nach Angaben des Auswärtigen Amtes seit 1980 von 177 auf 1.788 Milliarden US-Dollar (2016/2017), das Pro-Kopf-Einkommen der rund 1,25 Milliarden Einwohner Indiens stieg in diesem Zeitraum von 260 US-Dollar auf circa 1.515 US-Dollar (2016/2017). Die Devisenreserven betrugen vor einem Vierteljahrhundert weniger als zwei Milliarden US-Dollar und sind auf 343 Milliarden US-Dollar angestiegen. Die Armut bestimmt noch immer den indischen Alltag – die Hälfte der Bevölkerung muss mit weniger als zwei Dollar täglich auskommen und 300 Millionen haben weniger als einen Dollar zum Leben zur Verfügung.

Allerdings gibt es keine Hungersnöte mehr. Die Lebenserwartung hat sich von 30 auf 69 Jahre erhöht und 200 bis 300 Millionen Menschen werden mittlerweile der bildungshungrigen und kaufkräftigen Mittelschicht zugerechnet. Zwei Drittel der Bevölkerung sind des Lesens und Schreibens kundig; 1951 waren es nur 18 Prozent. Die Computer- und Softwareindustrie hat einen rasanten Aufschwung erfahren, Indien hat heute eine der größten Softwareindustrien der Welt. Sie erwirtschaftet circa 9,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und ist ein bedeutender Arbeitgeber. Etwa 3,5 Millionen Mitarbeiter sind allein im organisierten Sektor beschäftigt.

Modis Vision des „Neuen Indien“ will allerdings noch mehr. Die Kampagne „Make in India“, die Modi zur Revitalisierung des Landes eingeleitet hat, soll durch niedrige Unternehmenssteuern und eine einheitliche Umsatzsteuer ausländische Unternehmen anlocken. Mit zahlreichen „Smart Cities“, also mit effizienten, wirtschaftlich, technologisch und ökologisch fortschrittlichen Ballungsräumen, will er den ländlichen Raum entlasten. Über 100 „Smart Cities“ sind geplant. Durch die Digitalisierung soll in diesen Städten insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung und die Lebensqualität der Bevölkerung verbessert werden. Die deutsche Bundesregierung fördert das Programm jährlich mit einer Milliarde Euro.

Ein sogenanntes Skills-India-Programm soll die Berufsbildung fördern, die Clean-India-Kampagne dem Land wieder saubere Luft und reines Wasser bescheren. Werden vor allem die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen geschaffen, kann auch die Schifffahrt Indiens wieder auf Vordermann gebracht werden. Denn ohne Rechtssicherheit und einer eindeutigen Gesetzeslage kommen keine ausländischen Investoren, die ihr Geld in den Ausbau der Häfen und der Schifffahrtswirtschaft stecken.

Das Maßnahmenpaket zeigt bereits Wirkung zum Beispiel in der Transport- und Logistikwirtschaft: Zurzeit wickelt der indische Straßentransport circa zwei Drittel aller Transportleistungen ab. Die rund zehn Millionen Lkw kommen allerdings nur extrem langsam voran. Ihre Durchschnittsgeschwindigkeit liegt bei 30 km/h und ist damit nur halb so hoch wie zum Beispiel in den USA. Der große Unterschied erklärt sich zum einen durch den schlechten Zustand der Straßen – vor allem im Hinterland. Zum anderen hängen die Lkw ungefähr 15 Prozent ihrer Zeit an den zahlreichen Kontrollstellen zwischen den Bundesstaaten und Unionsterritorien fest. An den inneren Landesgrenzen sind Steuern und Abgaben zu entrichten, die beim Handel zwischen den Bundesländern anfallen. Außerdem müssen die Fahrer unzählige Frachtdokumente vorzeigen.

Das wird in Kürze schneller gehen. Mit der Einführung einer landesweit einheitlichen Mehrwertsteuer (Goods and Services Tax, GST) zum 1. Juli 2017 werden die Kontrollstopps an den inneren Landesgrenzen entfallen. Lkw können sich danach landesweit frei bewegen, wenn sie über alle notwendigen Lizenzen verfügen. Auch das Warehousing-Gewerbe wird sich dadurch wesentlich effizienter entfalten können. Lagerhäuser wurden bisher so angelegt, dass bei Transporten möglichst wenige Landesgrenzen zu überschreiten waren. Das bedeutete, dass in jedem Bundesstaat mindestens ein Lager eingerichtet wurde. Nun könnten zentrale Großlager errichtet werden, mit denen effektiver gewirtschaftet werden kann.

Interessant auch für deutsche Investoren und Unternehmen: Export und Importwirtschaft sind auch in Indien auf eine effiziente Hafeninfrastruktur angewiesen. Häfen verschiffen rund 95 Prozent des gesamten Volumens der gehandelten Güter Indiens. Die 7.517 km lange Küste des Subkontinents benötigt moderne Container- und Schüttguthäfen sowie bessere Hinterlandverbindungen. Vor diesem Hintergrund sollen beim Sagarmala-Projekt („Hafenkette“) von 2016 bis 2035 intermodale Hafendrehkreuze entstehen. Im Rahmen dieses Programms fließen Investitionen in mehrere Megaports, in neue Hafenausrüstungen und -anbindungen sowie in den Ausbau von Binnenhäfen und Wasserstraßen. Größere Projekte sind zum Beispiel:

  • der vierte Terminal des Jawaharlal Nehru Port (JNPT) bei Mumbai, dem größten Containerhafen Indiens mit Investitionskosten in der Höhe von 79 Milliarden Indischen Rupien (circa 1,1 Milliarden Euro)
  • ein Flüssiggasterminal in Kamarajar (45 Milliarden Indischen Rupien)
  • eine schwimmende Wiederverdampfungsanlage für Flüssiggas in Kolkata (35 Milliarden Indischen Rupien)

Kooperation von Deutschland und Indien – die 46-Milliarden-Euro-Chance

Die Förderung von ausländischen Direktinvestitionen (FDI) durch finanzielle sowie steuerliche Anreize steht für Indien im Mittelpunkt. Die Rahmenbedingungen werden sich durch die geplante Einführung der Mehrwertsteuer und die Überarbeitung des Insolvenzrechtes stark verbessern. Problematisch sind weiterhin die niedrige Kaufkraft und das niedrige Ausbildungsniveau der indischen Bevölkerung. Die marode Infrastruktur sowie die intransparente Bürokratie erschweren ebenfalls Wirtschaftsleben und notwendige Investitionsvorhaben. Bislang ist das indische Wachstum ein Wachstum von innen, gespeist vorwiegend durch private und öffentliche Ausgaben, nicht aber durch Investitionen und Exporterlöse.

Diese Situation bessert sich zurzeit. Eine große Chance liegt in der deutsch-indischen Kooperation: Der indische Premierminister Narendra Modi und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben sich Ende Mai dieses Jahres bei deutsch-indischen Regierungskonsultationen auf Investitionen in Milliardenhöhe geeinigt. Modi und Merkel vereinbarten dabei einen Entwicklungsetat, der „in jedem Jahr eine Milliarde Euro“ für Indien vorsieht. Die Investitionen betreffen unter anderem nachhaltige Stadtentwicklung, erneuerbare Energien, digitale Technologien, Infrastrukturprojekte und die Schaffung von Bildungschancen auf dem indischen Arbeitsmarkt.

Beide Staaten streben schon seit längerem ein Freihandelsabkommen an. Und beide würden nach einer aktuellen Studie des Ifo-Instituts von einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien kräftig profitieren. Die Verhandlungen laufen seit 2007, liegen aber seit 2013 offiziell auf Eis.

Bei den zahlreichen positiven Veränderungen, die in Indien derzeit stattfinden, könnten auch die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit der EU wieder aufgenommen werden. Nach einer aktuellen Studie des Ifo-Institutes im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung würde Deutschland in diesem Fall mit der Steigerung des Bruttoinlandsproduktes in Höhe von jährlich 4,6 Milliarden Euro kalkulieren können. Das Abkommen hätte nicht nur ökonomische Vorteile für beide Seiten, sondern würde mit Blick auf den Brexit und die Abschottungstendenzen der US-Regierung unter Präsident Donald Trump auch ein wichtiges Zeichen setzen.

Der Beitrag „Indien im Aufbruch: Investitionen in maritime Infrastrukturen, weniger Bargeld und Korruption“ ist zuerst erschienen in der aktuellen Ausgabe von Investor‘s Quarterly, dem vierteljährlichen Newsletter der Ernst Russ AG zu den Themen Schifffahrt, Wirtschaft und Finanzen. Eine Download-Möglichkeit finden Sie auf dem Internetauftritt des Unternehmens unter:

www.ernst-russ.de/de/news/investors-quarterly

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