Wasserstoff wird unsere Zukunft bestimmen

Monika Rößiger

Der Einsatz von Wasserstoff ist eine der wichtigsten Weichenstellungen für unsere Zukunft. Zum Einstieg in dieses komplexe Thema nimmt Wissenschaftsautorin Monika Rößiger eine Standortanalyse vor. Wasserstoff kann Energieträger und Speichermedium zugleich sein. Er gibt uns die Chance, auf Erdöl, Kohle und Erdgas zu verzichten. In der Energieversorgung, Stahl- und Chemie-Industrie, beim Antrieb von LKW, Zügen, Schiffen und Flugzeugen − überall wird die Nutzung erprobt. Die zurzeit größte Herausforderung ist die rentable Produktion grünen Wasserstoffs.

Mitte Februar 2024 genehmigte die EU-Kommission Beihilfen von bis zu 6,9 Milliarden Euro für ein wichtiges Vorhaben von gemeinsamen europäischem Interesse (IPCEI Hy2Infra), um den Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur zu fördern und die Abhängigkeit von Erdgas zu verringern. An diesem Vorhaben beteiligen sich sieben Mitgliedsstaaten; darunter Deutschland mit 24 Projekten. Die öffentlichen Mittel von 6,9 Milliarden Euro werden voraussichtlich weitere 5,4 Milliarden Euro an privaten Investitionen auslösen. 32 Unternehmen, darunter auch kleine und mittlere (KMU), nehmen an IPCEI Hy2Infra-Projekten teil. Dabei geht es beispielsweise um die Errichtung von Großelektrolyseuren mit einer Kapazität von 3,2 Gigawatt, in denen grüner Wasserstoff erzeugt werden soll, um den Bau oder die Umnutzung von Fern- und Verteilleitungen für Wasserstoff, um Speicheranlagen und Umschlagterminals. Ein Teil dieser Vorhaben soll bis Ende der 20er Jahre abgeschlossen sein.

Bis 2030 will Deutschland eine Elektrolyse-Leistung von zehn Gigawatt aufbauen. Und im Jahr 2032 soll das Wasserstoff-Kernnetz mit einer Länge von rund 9.700 Kilometern bereitstehen. Das ist beschlossene Sache, denn nur mit grünem Wasserstoff, so erklärt inzwischen auch die Bundesregierung, lassen sich große Teile der Industrie und des Verkehrs klimafreundlich gestalten. Nach heutigem Stand kann Deutschland anfangs jedoch kaum mehr als ein Drittel seines Wasserstoff-Bedarfs selbst herstellen. Ein Großteil muss demnach importiert werden. Eine große Chance für Länder mit viel Potenzial für Erneuerbare Energien.

Was ist „grüner“ Wasserstoff?

Wasserstoff wird schon seit langem in der Industrie verwendet und üblicherweise auf der Basis von Erdgas hergestellt. Dabei handelt es sich also um fossilen oder „grauen“ Wasserstoff. „Grün“ nennt man den Wasserstoff hingegen, wenn er aus Wasser mithilfe von Solar- oder Windstrom per Elektrolyse hergestellt wird. Das geschieht in einem Elektrolyseur, einer technischen Anlage mit einem Wasserbad, an das eine elektrische Spannung angelegt wird. Bei diesem Vorgang, auch „Power to Gas“ genannt, wird Wasser (chemische Formel: H2O) in seine Bestandteile Sauerstoff (O2) und Wasserstoff (H2) zerlegt. Das auf diese Weise hergestellte Wasserstoffgas ist CO2-neutral und somit nicht klimaschädlich. Es lässt sich auf verschiedene Arten einsetzen und weiterverarbeiten. Nicht alle sind aus energetischer Sicht empfehlenswert. Wichtig ist jedoch, dass grüner Wasserstoff uns die Möglichkeit gibt, den in ihm gespeicherten Ökostrom (wenn auch mit Verlusten) in andere Wirtschaftsbereiche hineinzutragen und diese dadurch miteinander zu verknüpfen („Sektorenkopplung“). So bildet er eine Brücke von der Stromerzeugung zur Mobilität und Industrie. Zudem dient er als Speichermedium für die Rückverstromung in wasserstofffähigen Gaskraftwerken. Diese Reservekraftwerke kommen dann zum Einsatz, wenn es zu wenig Strom aus erneuerbaren Energiequellen gibt.

Wie lässt sich grüner Wasserstoff nutzen?

Der per Elektrolyse hergestellte Wasserstoff kann in einer Wasserstofftankstelle verwendet oder im Erdgasnetz gespeichert werden. Er kann am Ort der Erzeugung in Druckspeichern gelagert oder woandershin transportiert werden. Hierbei beginnen aber auch schon die ersten Einschränkungen, denn es gibt zwar verschiedene Möglichkeiten, aber keine Ideallösung. Die derzeit bekanntesten Methoden sind der Transport im gasförmigen oder im flüssigen Zustand. Als sogenanntes Kryogas wird Wasserstoff bei minus 253 Grad flüssig. Die Verflüssigung ist jedoch energieaufwendig, so dass sich dieser Prozess am ehesten lohnt, wenn man den Wasserstoff später auch im flüssigen Aggregatzustand nutzen will. Verwendet man Wasserstoff in Kombination mit einer Brennstoffzelle, zum Beispiel in einem Lastkraftwagen oder Omnibus, so generiert man auf diese Weise die Antriebsenergie für Fahrzeuge, die mit Elektromotoren betrieben werden. In der Brennstoffzelle läuft der Prozess der Elektrolyse vom Prinzip her umkehrt. Dabei entstehen neben Strom auch Wasser und Wärme. Wie oben schon erwähnt, soll Wasserstoff auch rückverstromt werden. Das heißt, er wird anstelle von Erdgas in Blockheizkraftwerken verbrannt, wodurch Strom und Wärme erzeugt werden. Diese Methode ist zwar mit Umwandlungsverlusten verbunden, bringt aber den Vorteil, einen CO2-freien Energieträger in der Reserve zu haben. Zudem kann das grüne Gas zu anderen Grundstoffen weiterverarbeitet werden, zum Beispiel indem man es durch Zugabe von Kohlendioxid in synthetisches Methan umwandelt. Wenn dieses CO2 aus der Atmosphäre beziehungsweise Luft entnommen wird, ist das daraus resultierende Methan klimaneutral. Das gilt auch, wenn man aus Wasserstoff oder synthetischem Methan weitere Stoffe wie Methanol oder Ammoniak erzeugt. Beide dienen als wichtige Basisprodukte für die Industrie, die dann ebenfalls CO2-frei sind.

Überschüssigen Ökostrom speichern und das Stromnetz entlasten

Die Erzeugung von grünem Wasserstoff ist vor allem dann sinnvoll, wenn in Wind- oder Solarparks mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen zur Verfügung steht, als das Stromnetz aufnehmen kann. Im windreichen Norden kommt das sehr oft vor, was bislang dazu führt, dass Windräder abgeschaltet werden müssen, um das Netz stabil halten zu können. In so einem Fall wäre es besser, den potenziell möglichen Windstrom zu nutzen, ohne dass er das Stromnetz belastet – und dafür eignet sich ein Elektrolyseur. Die Umwandlung von Strom in Wasserstoff ist jedoch – wie jede energetische Umwandlung – mit Verlusten verbunden. Aus Gründen der Effizienz sollte die Wasserspaltung per Elektrolyse deshalb vorwiegend dann eingesetzt werden, wenn der Strom nicht direkt genutzt werden kann, etwa für E-Fahrzeuge oder Wärmepumpen. Die direkte Nutzung von Ökostrom ist auf jeden Fall der energetisch sinnvollere Weg.

Grüner Wasserstoff in der Mobilität

Der rein batterieelektrische Antrieb eignet sich für Lastkraftwagen oder Transporter im lokalen Verteilverkehr, und solche Fahrzeuge sind ja bereits im Einsatz. Für die großen und schweren Lkw und Sattelschlepper, die Waren quer durch Deutschland und Europa fahren, macht eine rein batteriegetriebene E-Mobilität keinen Sinn. Sie brauchen zusätzlich Wasserstoff und Brennstoffzellen. Einige Hersteller entwickeln und testen inzwischen auch hierzulande Lkw mit Brennstoffzellenantrieb, doch die Schweiz hat sie zuerst auf die Straße gebracht. Was den Personenverkehr per Bahn angeht, so gilt auch hier: erst die Elektrifizierung, dann der Wasserstoff. Zwar sind die Hauptstrecken bei uns längst auf Strom umgestellt, aber es gibt noch viele Nebenstrecken im ländlichen Raum, wo das nicht so ist und wo es sich aus Kostengründen auch nicht immer empfiehlt. Auf kürzeren Strecken, vor allem im Regionalverkehr, werden künftig wahrscheinlich Akkuzüge eingesetzt, die gerade in der Erprobung sind. Auf der Langstrecke jedoch könnte auch in diesem Fall Wasserstoff eine passende Lösung sein. Seit Jahren bekannt ist der Wasserstoffzug auf der Strecke von Cuxhaven nach Buxtehude.

Emissionen verringern in Schifffahrt und Luftverkehr

Was Schiffe und Flugzeuge angeht, nimmt ebenfalls der batterieelektrische Antrieb eine zunehmend wichtige Rolle ein. Doch auch hier gelten die üblichen Grenzen Gewicht und Leistung. Elektrofähren und elektrisch betriebene, kleine Regionalflugzeuge sind bereits im Einsatz. Die große Schwierigkeit bleibt jedoch die Langstrecke, die Verbindung zwischen Kontinenten und der Transport schwerer Lasten, sowohl im Schiffs- als auch im Luftverkehr. Wie da grüner Wasserstoff oder seine Umwandlungsprodukte (grünes Methanol oder grüner Ammoniak) helfen können, ist Gegenstand intensivster Forschung und Entwicklung. Auch sogenannte E-Fuels spielen dabei eine Rolle, sie sind jedoch mit beträchtlichen Umwandlungsverlusten behaftet. Der europäische Luftfahrtkonzern Airbus will ab 2035 eine Passagiermaschine auf den Markt bringen, die mithilfe von Wasserstoff frei von CO2-Emissionen sein soll. (Allerdings wäre sie selbst dann nicht frei von anderen Emissionen, darunter Wasserdampf, der in der üblichen Reiseflughöhe ebenfalls klimaschädlich ist.)

Grüner Wasserstoff in der Industrie

Auch in der Industrie lassen sich bei Weitem nicht alle Prozesse durch Strom aus Erneuerbaren Energien defossilisieren. Grüner Wasserstoff wird vor allem in der Stahl- und Kupferproduktion gebraucht und in der Chemieindustrie. Die Industrie verwendet Wasserstoff seit Jahrzehnten und hat somit viel Erfahrung im Umgang mit dem Gas. Bislang wird der industriell verwendete Wasserstoff jedoch wie gesagt mithilfe von fossiler Energie hergestellt. Das zeigt aber auch: In diesem Bereich steckt ein großer Hebel für den Klimaschutz. Daraus ergibt sich ein enormes Einsparpotenzial für CO2-Emissionen, wenn der industriell benötigte Wasserstoff künftig „fossilfrei“ produziert wird.

Fazit

Mit seiner Vielseitigkeit kann grüner Wasserstoff also die Brücke zwischen den verschiedenen Sektoren bilden. Alles zusammen genommen bedeutet sein Einsatz eine gute Grundlage für die Entwicklung innovativer Technologien, die künftig im In- und Ausland zur Wertschöpfung beitragen werden. Es wird jedoch nicht ohne Energiesparen und bessere Effizienz in allen Bereichen gehen; zudem brauchen wir eine konsequente Einführung der Kreislaufwirtschaft. Und wir alle sollten uns fragen, ob wir nicht ohnehin zur Suffizienz übergehen sollten, nach dem altbekannten Motto: „Weniger ist mehr.“ Dann könnte Deutschland sein Klimaziel besser erreichen – mit mehr Lebensqualität, und ohne sich selbst als Industriestandort aufzugeben.

Der Beitrag ist zuerst in ENI EXXECNEWS INSTITUTIONAL 02/2024 erschienen.

Monika Rößiger ist Biologin, Wissenschaftsjournalistin und Sachbuchautorin. Ihre Reportagen sind unter anderem erschienen in Die Zeit, Spiegel special, NZZ, Spektrum der Wissenschaft, mare und Geo. Sie gehört zu jenen Journalisten, die bereits in den 1990er Jahren vor dem Klimawandel warnten. Rößiger ist Autorin mehrerer National-Geographic-Bücher über Wildtiere und Wälder in Deutschland. Seit einigen Jahren berichtet sie vor allem über die Energiewende und Wasserstofftechnologie. In Ihrem neuen Buch „Die Wasserstoffwende“ porträtiert Rößiger unter anderem Pilotprojekte und die Menschen dahinter.

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