Verbraucherzentrale: Versicherer ignorieren BGH-Urteil
Mehrere Lebens- und Rentenversicherer haben sich über ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hinweggesetzt und die Rückabwicklung alter Verträge abgelehnt. Das geht aus Briefen an Versicherte hervor, die dem Marktwächter-Team der Verbraucherzentrale Hamburg vorliegen - der Marktwächter Finanzen ist ein Projekt, mit dem der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und die Verbraucherzentralen den Finanzmarkt aus Perspektive der Verbraucher beobachten. Die Schreiben wurden über das Frühwarnnetzwerk der Verbraucherzentralen gesammelt. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat sich mit diesen Erkenntnissen nun an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gewandt.
Der Hintergrund: Wer zwischen 1995 und 2007 eine private Kapitallebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen hat, kann seinem Vertrag unter bestimmten Voraussetzungen noch widersprechen – und zwar selbst dann, wenn er ihn bereits gekündigt hat. Das hatte der Bundesgerichtshof bereits 2014 entschieden (Aktenzeichen: IV ZR 76/11, Urteil vom 7. Mai 2014) und dieses Urteil 2015 noch präzisiert (Aktenzeichen: IV ZR 384/14, Urteil vom 29. Juli 2015). Beide Urteile sind insbesondere für Verbraucher relevant, die sich frühzeitig von ihrer Versicherungspolice getrennt haben und daher nur einen geringen Teil der eingezahlten Beiträge zurückerhalten haben. Ein nachträglicher Widerspruch kann ihnen erhebliche Nachzahlungen bringen.
Voraussetzung für den Widerspruch ist, dass der Kunde fehlerhaft oder nicht ausreichend über den Vertrag informiert wurde. Auch wenn der Verbraucher die dazugehörigen Versicherungsbedingungen oder die Verbraucherinformation nicht erhalten hat, ist der Widerspruch möglich.
Aachen Münchner, Ergo, Generali und Provinzial berufen sich in den vorliegenden Briefen jedoch auf eine Verfassungsbeschwerde, die die Allianz eingereicht hatte. Deshalb sei es „derzeit unklar, ob das Urteil vom 7. Mai 2014 überhaupt Bestand haben wird“, heißt es im Schreiben der Ergo und sehr ähnlich auch in dem der Generali. Die Provinzial-Versicherung schreibt: „Sie werden daher sicherlich nachvollziehen können, dass wir (…) Ihre Ansprüche erst anerkennen können, wenn diese höchstrichterlich durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt wurden.“
Am 1. März dieses Jahres hatte die Allianz öffentlich bekannt gegeben, dass sie ihre Verfassungsbeschwerde zurückgezogen hat. Trotzdem liegt dem Marktwächter-Team ein Schreiben der Generali von Mitte März vor, in dem der Versicherer weiter die Ansprüche unter Hinweis auf die Verfassungsbeschwerde ablehnt. „Juristisch ist es fraglich, ob berechtigte Ansprüche unter Hinweis auf eine anhängige Verfassungsbeschwerde abgewimmelt werden können. Unter keinen Umständen kann eine zurückgenommene Verfassungsbeschwerde als Grund dafür herangezogen werden“, sagt Sandra Klug, Juristin und Leiterin des Hamburger Marktwächter-Teams.
Quelle: Pressemitteilung Verbraucherzentrale Hamburg
Der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) mit Sitz in Berlin ist die Dachorganisation von 41 deutschen Verbraucherverbänden. Der im Jahr 2000 gegründete Verbraucherverband vertritt die Interessen der Verbraucher gegenüber Politik, Verwaltung, Justiz, Wirtschaft und Öffentlichkeit. (JF1)