EZB bleibt entspannt, Fed kommt unter Druck
Kommentar von Dr. Johannes Mayr (Eyb & Wallwitz) im Anschluss an die EZB-Ratssitzung am 10. Juni 2021. Seiner Einschätzung nach sprechen strukturelle Faktoren wie hohe Schuldenquoten gegen einen forschen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik:
Die EZB hat auf ihrer heutigen Sitzung für einen unverändert expansiven Kurs gestimmt und wird das Tempo ihrer Wertpapierkäufe im dritten Quartal nicht drosseln. Denn die Inflationsaussichten bleiben in Europa sehr verhalten. Dagegen steigt der Preisdruck in den USA weiter an. Und auch wenn vor allem Sonderfaktoren dafür verantwortlich sind. Die Sorgen vor einer verspäteten Reaktion nehmen innerhalb der Fed zu. Deshalb dürfte sich die US-Notenbank schrittweise auf einen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik vorbereiten. Investoren sollten dies im Blick haben. Für Panik gibt es aber keinen Grund.
Wie erwartet hat der EZB-Rat heute für eine Beibehaltung des „deutlich erhöhten Tempos“ der Quantitative-Easing-Käufe im dritten Quartal gestimmt. Dabei wird sich die EZB etwas mehr Flexibilität über die Sommermonate zugestehen, insbesondere da die Marktliquidität temporär deutlich sinken dürfte. Die EZB kauft seit April jeden Monat netto etwa 80 Milliarden Euro an Wertpapieren über das Notfallprogramm PEPP, überwiegend Staatsanleihen. Zwar hat die EZB ihren Konjunktur- und Inflationsausblick heute etwas nach oben revidiert, mit 1,5 Prozent liegt die erwartete Teuerung aber auch 2022 deutlich unterhalb der Zielmarke von „unter, aber nahe 2 Prozent“. Die EZB bleibt mit Blick auf den derzeit global steigenden Preisdruck somit sehr entspannt und dürfte erst im kommenden Jahr den Fuß vom geldpolitischen Gaspedal nehmen. Sie wird dabei äußerst vorsichtig vorgehen. Denn die Haushalte einiger Euro-Länder sind stark von dieser Unterstützung abhängig. Der Anstieg der Risikoprämien seit der Sitzung im März wird dabei als Warnsignal gesehen. Damit wird die EZB auch in diesem Jahr mehr als 100 Prozent der Nettoemissionen von Staatsanleihen der Euro-Länder kaufen und dafür sorgen, dass sich die Staaten kaum neuen privaten Investoren suchen müssen. Erst im kommenden Jahr dürfte die EZB die Unterstützung zurückfahren. Der Exit-Pfad ist dabei sehr lang und birgt zahlreiche Stolpersteine. So entspannt wie heute wird es dann nicht bleiben.
Kurzfristig anspruchsvoller stellt sich die Situation für die Fed dar. So ist die Inflationsrate in den USA im Mai auf fünf Prozent gestiegen, das erwartete Überschießen über den Zielwert ist damit in vollem Gang. Im Mai haben erneut vor allem die Preise für Gebrauchtwägen und Transportdienstleistungen stark zugelegt. Auch wenn sich auch die US-Notenbank bisher entspannt gibt und den temporären Charakter der Preisanstiege betont, steigen innerhalb der Fed die Sorgen, dass die Geldpolitik zu lange an dem expansiven Kurs festhalten könnte. Im Umfeld der Jackson-Hole-Konferenz im August dürfte deshalb eine Reduktion der QE-Käufe vorbereitet werden, ein erster Zinsschritt bereits Ende 2022 ist nicht ausgeschlossen.
In den kommenden Monaten könnten die beiden großen Notenbanken also unterschiedliche Richtungen einschlagen. Grund für Panik besteht für Investoren aber nicht. Zum einen werden Fed und EZB die Reaktion des Finanzmarktes genau im Blick haben. Zum anderen sprechen strukturelle Faktoren wie die hohen Schuldenquoten gegen einen forschen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik. Und schließlich sind die konjunkturellen Aussichten auf Sicht der kommenden zwei Jahre in den USA wie auch in Europa positiv, weshalb ein moderater Anstieg der Zinsen und Renditen auf beiden Seiten des Atlantiks von Wirtschaft und Finanzmärkten gut verkraftet werden sollte.
Dr. Johannes Mayr ist Chefvolkswirt bei der Eyb & Wallwitz Vermögensmanagement GmbH, einem unabhängigen Vermögensverwalter mit Sitz in München und Frankfurt am Main. Das 2004 gegründete Unternehmen hat sich einerseits im Bereich diskretionärer Vermögensverwaltungsmandate (Wertpapierdepots und Spezialfonds) auf Family Offices und institutionelle Anleger und andererseits über hauseigene Publikumsfonds auf das institutionelle beziehungsweise semi-institutionelle Kundensegment spezialisiert.