Die neuen Kennzahlen in den Basisinformationsblättern für geschlossene Investmentvermögen
„Die wesentlichen Anlegerinformationen werden bald durch Basisinformationsblätter gemäß der PRIIPs-Verordnung ersetzt!“ – Diese Schlagzeile war in den letzten Jahren regelmäßig in Newslettern von Rechtsanwaltskanzleien oder in Artikeln in Fachmagazinen zu lesen. Der „baldige“ Zeitpunkt der Umstellung wurde jedoch immer wieder verschoben. Am 1. Januar 2023 soll es nun jedoch endgültig soweit sein: Ab diesem Stichtag müssen Privatanleger, die Anteile an einem geschlossenen Publikumsfonds erwerben wollen, und semiprofessionelle Anleger, die Anteile an einem geschlossenen Spezial-AIF erwerben wollen, vor ihrer Investitionsentscheidung Basisinformationsblätter erhalten, die gemäß den Vorgaben der PRIIPs-Verordnung gestaltet sind. Wesentliche Anlegerinformationen entsprechend § 270 KAGB sind dagegen nicht mehr auszuhändigen.
Da sich der Stichtag auf den Zeitpunkt des Vertriebs der Anteile und nicht auf den Zeitpunkt der Vertriebszulassung bezieht, müssen auch für geschlossene Investmentvermögen, die bereits vor dem 1. Januar 2023 im Vertrieb waren, neue Basisinformationsblätter erstellt werden.
Die inhaltliche und formale Gestaltung der Basisinformationsblätter ist durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/653, die im letzten Jahr durch die Delegierte Verordnung (EU) 2021/2268 wesentlich modifiziert wurde, sehr detailliert geregelt. In den Anhängen der Verordnung finden sich Mustervorlagen und genaue Vorgaben, welche Überschriften und welche Informationen in dem Basisinformationsblatt enthalten sein müssen. Ein wesentlicher Bestandteil der Basisinformationsblätter sind Kennzahlen, die die Vergleichbarkeit von unterschiedlichen Finanzinstrumenten ermöglichen sollen. Da diese Kennzahlen bei geschlossenen Investmentvermögen teilweise überraschende und erklärungsbedürftige Werte zeigen werden, sollen sie nachfolgend im Überblick erläutert werden.
Der Gesamtrisikoindikator
In den wesentlichen Anlegerinformationen wurden bislang die spezifischen Risiken eines geschlossenen Investmentvermögens ausführlich und individuell beschrieben. Zukünftig werden in den Basisinformationsblätter die Risiken im Wesentlichen durch den „Gesamtrisikoindikator“ verdeutlicht. Der Gesamtrisikoindikator ist eine Ziffer zwischen 1 und 7, wobei die 1 das niedrigste Risiko repräsentiert und die 7 das höchste Risiko.
Der Gesamtrisikoindikator wird gemäß den Vorgaben in Anhang II der Delegierten Verordnung (EU) 2017/653 berechnet. Danach ist zunächst ein Marktrisiko-Wert und ein Kreditrisiko-Wert zu ermitteln. Aus der Kombination der beiden Risiko-Werte wird dann der Gesamtrisikoindikator entsprechend einer Tabelle ermittelt.
Der Marktrisiko-Wert ist vergangenheitsorientiert und beruht auf der früheren Volatilität des Finanzinstruments. Voraussetzung für die Berechnung des Marktrisiko-Wertes ist somit, dass historische Preise für das Finanzinstrument vorliegen. Bei geschlossenen Investmentvermögen sind derartige Preise regelmäßig nicht verfügbar. Für derartige Finanzinstrumente bestimmt Ziffer 8 des Anhangs II der Delegierten Verordnung (EU) 2017/563, dass der Marktrisiko-Wert bei 6 liegt. Der Tabelle zur Ermittlung des Gesamtrisikoindikator kann entnommen werden, dass bei einem Marktrisiko-Wert von 6 der Gesamtrisikoindikator unabhängig vom Kreditrisiko-Wert stets 6 ist.
Für geschlossene Investmentvermögen bedeutet dies, dass deren Gesamtrisikoindikator regelmäßig 6 sein wird, unabhängig davon, in welche Assetklasse investiert wird und ob das Investmentvermögen risikogemischt ist oder nicht. Der Gesamtrisikoindikator von 6 bei geschlossenen Investmentvermögen enthält damit im Ergebnis keine Aussage zum konkreten Risiko eines Fonds. Er ist lediglich eine Folge aus der Struktur des geschlossenen Investmentvermögens, die keinen Rückgriff auf Preise aus der Vergangenheit ermöglicht.
Vertriebe müssen potentiellen Anlegern verdeutlichen, dass der Gesamtrisikoindikator, der besonders hervorgehoben in dem Basisinformationsblatt genannt wird, nur auf Grund einer bestimmten Berechnungsmethodik ermittelt wird und keine inhaltliche Aussage über das Risiko des jeweiligen geschlossenen Investmentvermögens enthält.
Performance-Szenarien
Wie in den wesentlichen Anlegerinformationen müssen auch im Basisinformationsblatt Performance-Szenarien angegeben werden. Grundsätzlich sollen dabei vier Szenarien dargestellt werden: ein optimistisches Szenario, ein mittleres Szenario, ein pessimistisches Szenario und ein Stressszenario. Im Stressszenario sollen erhebliche ungünstige Auswirkungen auf das Produkt dargestellt werden, die im pessimistischen Szenario nicht erfasst werden. Die Berechnung der Szenarien erfolgt wie die Ermittlung des Marktrisiko-Wertes auf der Grundlage der früheren Entwicklung des Finanzinstruments.
Für Finanzinstrumente, bei denen keine frühere Preisentwicklung vorhanden ist, „wird ein nach vernünftigem Ermessen angemessener und konservativer bester Schätzwert angegeben. (…) Die Szenarien werden so ausgewählt, dass sich eine ausgewogene Darstellung der möglichen Ergebnisse des Produkts sowohl unter günstigen als auch ungünstigen Bedingungen ergibt, doch werden nur Szenarien gezeigt, die nach vernünftigem Ermessen erwartet werden können. Die Szenarien dürfen nicht so ausgewählt werden, dass günstige Ergebnisse im Vergleich zu ungünstigen Ergebnissen über Gebühr hervorgehoben werden.“ (Ziffer 31 des Anhangs III der Delegierten Verordnung (EU) 2017/563). Erfreulicherweise wird für Finanzinstrumente, bei denen die Szenarien geschätzt und nicht berechnet werden, kein Stressszenario verlangt.
Die Szenarien müssen in der Reihenfolge pessimistisches Szenario, mittleres Szenario und optimistisches Szenario abgedruckt sein.
Im Ergebnis werden somit auch in den Basisinformationsblättern wie bisher in den wesentlichen Anlegerinformationen drei Wertentwicklungen dargestellt, die auf Prognoserechnungen beruhen und unterschiedliche Entwicklungen der wesentlichen Performancefaktoren berücksichtigen.
Jährliche durchschnittliche Rendite
Eine gegenüber den wesentlichen Anlegerinformationen neue Kennzahl stellt die „jährliche durchschnittliche Rendite“ dar, die für jedes Szenario zu berechnen ist. Die Durchschnittsrendite wird gemäß Ziffer 44 des Anhangs III der Delegierten Verordnung (EU) 2017/563 ermittelt, indem aus dem Quotienten aus prognostizierten Gesamtrückflüssen (Zähler) und der anfänglichen Einlagesumme (Nenner) die xte-Wurzel gezogen wird, wobei x der prognostizierten Laufzeit in Jahren entspricht. Damit wird der Zinssatz ermittelt, zu dem der Anlagebetrag angelegt werden muss, um unter Berücksichtigung von Zinseszinsen den Betrag der Gesamtrückflüsse zu erreichen.
Die Auswirkungen der Berechnungsmethodik sollen an folgendem Zahlenbeispiel illustriert werden:
Ausgabepreis inklusive Ausgabeaufschlag: 105 Prozent
Jährliche Ausschüttung: 4 Prozent
Rückzahlung nach 10 Jahren: 100 Prozent
Insgesamt erzielt der Anleger nach zehn Jahren 140 Prozent Gesamtrückflüsse. Der durchschnittliche Zins wird berechnet, indem von 140/105 die zehnte Wurzel gezogen und 1 subtrahiert wird. Dies ergibt einen Zinssatz von 2,91 Prozent per annum.
Ein geschlossenes Investmentvermögen, das nach der Wahrnehmung der Vertriebe und Anleger als „solider Vierprozenter“ zu bewerten ist, wird somit in den Basisinformationsblättern eine durchschnittliche Rendite von unter 3 Prozent per annum ausweisen.
Renditeminderung auf Grund von Kosten (Reduction in Yield)
Zu überraschenden Ergebnissen wird auch die Methodik bei der Berechnung des Renditeminderung auf Grund der Kosten führen. Hierzu werden zwei Zahlungsreihen gebildet. Die eine Zahlungsreihe entspricht den Einzahlungen und prognostizierten Auszahlungen unter Berücksichtigung der Kosten. Bei der anderen Zahlungsreihe werden die Einzahlungen um sämtliche während der Laufzeit anfallende Kosten vermindert und die Auszahlungen in prognostizierter Höhe angesetzt. Für beide Zahlungsreihen wird ein Zinssatz entsprechend der Methode des Internen Zinsfußes ermittelt. Die Differenz dieser Zinssätze entspricht der „Reduction in Yield“. (Ziffer 70 ff. des Anhang VI der Delegierten Verordnung (EU) 2017/563)
In der Fortführung des obigen Beispiels sei nun folgende Gebührenstruktur angenommen:
Anfängliche Gebühren: Ausgabeaufschlag plus 8 Prozent
Laufende Gebühren: 0,6 Prozent per annum
Zunächst wird die IRR-Rendite für die prognostizierte Zahlungsreihe unter Berücksichtigung der Kosten ermittelt. Sie beträgt 3,4 Prozent per annum.
Sodann wird die um die Kosten modifizierte Zahlungsreihe aufgestellt. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 13 Prozent anfängliche Kosten und kumuliert 6 % laufende Kosten und somit auf insgesamt 19 Prozent. Diese Kosten werden vom Ausgabepreis abgezogen, so dass eine Einzahlung in Höhe von 86 Prozent und Auszahlungen in Höhe von jeweils 4 Prozent die modifizierte Zahlungsreihe bilden. Die IRR-Rendite dieser Zahlungsreihe liegt bei 5,89 Prozent per annum.
Die im Basisinformationsblatt anzugebende Renditeminderung durch Kosten beträgt 5,89 Prozent abzüglich 3,4 Prozent und damit 2,49 Prozent.
Aus der Zusammenschau der durchschnittlichen Rendite und der Renditeminderung durch Kosten kann bei Anlegern der Eindruck entstehen, dass fast die Hälfte des wirtschaftlichen Erfolgs der Investition durch Kosten aufgezehrt wird.
Fazit
Die neuen Kennzahlen in den Basisinformationsblättern gemäß PRIIPs-Verordnung sind überraschend und in hohem Maße erklärungsbedürftig. Insbesondere die Angaben zur durchschnittlichen Rendite sowie zur Reduction in Yield können Anleger verunsichern. Vertriebe und Kapitalgesellschaften sollten sich daher frühzeitig mit diesen Kennzahlen, ihrer Berechnungsmethodik und Interpretation vertraut machen, damit sie im Januar 2023 keine bösen Überraschungen bei Gesprächen mit potentiellen Anlegern erleben.
Diesen Artikel schrieb Rechtsanwalt Dr. Gunter Reiff von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft WRG Finvestra Treuhand, München, im Rahmen von "PROBERATER 2022".