Nobelpreisträger rechnen mit neuer Finanzkrise
Die klügsten Köpfe der Ökonomie warnen vor der nächsten Finanzkrise. Trotz der Reformen der vergangenen Jahre gebe es weiter Lücken in der Aufsicht, so heißt es am 21. August 2017 in einem Artikel in der Online-Ausgabe der „Welt“. Es sei ein Fehler, sich angesichts gut laufender Börsen und stabiler Konjunktur in Sicherheit zu wiegen. Die Thesen sind das Ergebnis einer „Welt“-Umfrage unter den 18 Wirtschaftsnobelpreisträgern, die in dieser Woche in Lindau am Bodensee über ökonomische Probleme diskutieren.
Kurz vor dem Beginn des sechsten Nobelpreisträgertreffens der Wirtschafts-Laureaten, das als eine Art Gipfeltreffen der Ökonomenzunft gilt, distanzieren diese sich damit von der US-Notenbank-Präsidentin Janet Yellen. Diese hatte Ende Juni in einer Aufsehen erregenden Rede verkündet, dass es zu unseren Lebenszeiten keine Finanzkrise mehr geben werde.
„Ich würde darauf nicht wetten“, sagte Bengt Holmström, Nobelpreisträger des Jahres 2016 der Welt. „Jedesmal, wenn wir denken, dass es schon keinen Bankrun mehr geben wird, hat sich das Risiko dafür erhöht.“ Noch deutlicher wird Edward Prescott, Nobelpreisträger des Jahres 2004: „Es wird mit großer Sicherheit eine Finanzkrise in nicht allzu ferner Zukunft geben.“ Die Nobelpreisträger bringen damit just ein Jahrzehnt nach Ausbruch der letzten Finanzkrise das Risiko für eine Neuauflage der Krise wieder auf die politische Agenda. Ein Risiko, das viele bereits verdrängt haben: In Zeiten des Terrors, einer möglichen nuklearen Auseinandersetzung und immer neuen Volten des amerikanischen Präsidenten ist die Aufmerksamkeit für wirtschaftliche Probleme und Unzulänglichkeiten im Finanzsystem gering. Vieles werde davon abhängen, wie jetzt die Politik reagiert, betonen die Laureaten laut Artikel. „Wenn jetzt die US-Administration in Washington die Zügel wieder lockert, wird eine Krise wahrscheinlicher“ sagt Eric Maskin, Laureat des Jahres 2007. Die preisgekrönten Ökonomen haben laut „Welt“ Zweifel daran, dass es jemals gelingen wird, die Finanzwelt ausreichend gegen künftige Krisen zu wappnen. In Zeiten der globalen digitalen Vernetzung sei das eine Illusion, sagt Daniel McFadden, Nobelpreisträger des Jahres 2000. „Die Finanzrisiken bewegen sich wie Elektrizität in einem riesigen Netzwerk.“ Wie beim Strom komme es auch im Finanzsystem regelmäßig zu Kurzschlüssen. „Wir haben gar nicht die notwendigen Instrumente, um diese Instabilitäten zu überwachen, regulieren und zu managen. Deshalb ist die nächste Finanzkrise unvermeidlich“, warnt McFadden. „Der Euro kann nur dann prosperieren, wenn die EU die Fiskalpolitik in der Euro-Zone auf eine gesündere Basis stellt und die wirtschaftliche Stagnation in jenen Mitgliedsländern bekämpft, in denen die Arbeitsproduktivität relativ schwach ist“, sagte McFadden der „Welt“. Noch einen Schritt weiter geht Eric Maskin: „Wenn der Euro langfristig überleben soll, muss es nicht nur eine einheitlich Geldpolitik, sondern auch eine einheitliche Fiskalpolitik geben.“
Für den preisgekrönten Ökonomen Prescott ist das indes vergebliche Liebesmüh: „Ich bin sehr pessimistisch für den Euro“, sagte der an der University of Arizona lehrende Wissenschaftler. „Die Frage ist eigentlich nur, wie viel Schaden er dem Euro-Raum vor seinem Kollaps zufügen wird.“ Die Länder sollten in der Europäischen Union ihre Souveränität über Finanzangelegenheiten behalten. „Die überschaubaren Vorteile einer Währungsunion lassen sich einfacher realisieren.“ Die Länder könnten ihre Währung an eine wieder einzuführende D-Mark koppeln und gegebenenfalls anpassen. „Einige Staaten werden sich nie an die Budgetregeln halten. Im Extremfall muss auch eine Staatspleite möglich sein.“ Immerhin ein Experte sieht für den Euro eine gute Zukunft. „Die Gemeinschaftswährung könnte sich gut entwickeln, vor allem, weil Amerika im globalen Währungswettbewerb durch Missmanagement des Dollar herausstechen wird“, sagt Vernon Smith, Laureat des Jahres 2002, der „Welt“.