Versagt auch der Prüfstand in der Fondsindustrie?
In der Kapitalanlagezeitung EXXECNEWS schreibt Nico Rischmann, Mitglied der Geschäftsleitung von Plenum Investments, Zürich, am 20. Juni 2016 über den fehlenden Realitätsbezug von Risikoklassifikationen. Die Fondsbranche sei zusätzlich mit dem Problem konfrontiert, dass sie das Risiko mit unzureichenden Messinstrumenten erfasse.
Die Fondsindustrie stelle ihre Anlageprodukte auf den Prüfstand, damit der Privatanleger das Risiko seiner Kapitalanlage selbst einschätzen könne. Im sogenannten Key Investor Information Document (KIID) müssen Publikumsfonds ihr Anlagerisiko auf einer Skala von „1“ bis „7“ offenlegen. Diese Art der Risikoklassifikation weise Schwachstellen auf, etwa die begrenzte Aussagekraft über das Risiko selbst, den begrenzten Betrachtungszeitraum und die Vergangenheitsbetrachtung. Gehe man zudem davon aus, dass die Renditen nicht normal-, sondern asymmetrisch verteilt seien, müsse man das Konzept der Risikoklassifikation, so wie sie heute vorgenommen wird, ernsthaft in Frage stellen.
Das Kernproblem der Risikoklassifikation beruhe auf dem Risikomaß der Standardabweichung, die selbst ein hohes Maß an Risikounsicherheit aufweise. Dieses Problem versuche man in der Praxis mit dem Hinweis auf vielfältige Risiken zu lindern. Damit habe man analog des Beipackzettels in der Pharmaindustrie die Verunsicherung und Überforderung des Anlegers in seiner Selbstrisikoeinschätzung in Kauf genommen.
Zu fragen sei, warum der Gesetzgeber bei der Berechnung des Risikos einen begrenzten Zeithorizont von lediglich fünf Jahren gewählt hat. Deutlich werde diese Schwäche, wenn man heute fünf Jahre zurückblicke. Eine Finanzkrise 2008 bis 2009 fände somit keine Berücksichtigung. Ein weiterer Kritikpunkt sei der systematische Blick in den Rückspiegel. Mit anderen Worten würden Risiken, die erstmalig oder in einer neuen Qualität auftreten, systematisch ignoriert.
Das Versagen der Risikoklassifikation werde deutlich, wenn es sich um Anlagefonds handelt, die Naturkatastrophenrisiken übernehmen. Naturgemäß träten diese Risiken sehr selten, aber mit einer großen Wucht auf. Während lang andauernder, ereignisloser Phasen steigen die Prämieneinnahmen des Fonds kontinuierlich ohne große Volatilität an. Trotzdem ist das Extremrisiko während dieser Zeit vorhanden. Im Wissen dieser Erkenntnis erstaune es, dass Naturkatastrophenfonds heute noch anhand von volatilitätsbasierenden Risikokennzahlen verkauft werden mit dem Verweis auf die allgemein anerkannten Performance Presentation Standards (PPS) der Fondsindustrie. Der zwingende Anpassungsbedarf solcher Standards ist offensichtlich.
Zwar sei die Kritik an der Standardabweichung nicht neu, führe aber vor dem Hintergrund, dass diese Kennzahl in der Fondsindustrie gesetzlich vorgeschrieben wird und ein wesentliches Selektionskriterium von Anlageprodukten darstelle, dazu, dass der Verkauf von Anlagefonds grundsätzlich auf zu tief ausgewiesenen Risiken erfolge. Solange dieser Umstand ignoriert wird, werden Konsumenten weiterhin unerwartete Vermögensverluste erleiden müssen. Wer in Kenntnis dieser Umstände tatenlos zusehe oder diese bewusst für eigene Interessen missbrauche, vergebe die große Chance, das über die letzten Dekade verspielte Vertrauen in der Vermögensverwaltungsindustrie wieder herzustellen. (AZ)