Taping – Was bringt die Pflicht für den freien Finanzvertrieb?

Dr. Stephan Schulz

Taping – Was bringt die Pflicht für den freien Finanzvertrieb?

Autor: Dr. Stephan Schulz

1. Einleitung

Von der BaFin beaufsichtigte Institute mit einer Zulassung nach § 32 Abs. 1 KWG sind bereits seit der Umsetzung der MiFID II-Richtlinie zum Januar 2018 verpflichtet gewesen, hinsichtlich der beim Handel für eigene Rechnung getätigten Geschäfte sowie der Erbringung von Dienstleistungen, die sich auf die Annahme, Übermittlung und Ausführung von Kundenaufträgen beziehen, die Inhalte der Telefongespräche und der elektronischen Kommunikation aufzuzeichnen. Die Aufzeichnung hat insbesondere diejenigen Teile abzudecken, in welchen die Risiken, die Ertragschancen oder die Ausgestaltung von Finanzinstrumenten oder Wertpapierdienstleistungen erörtert werden. Auch wenn sich das Ebengesagte nahezu inhaltsgleich in § 83 Abs. 3 S. 1 und 2 WpHG wiederfindet, lässt die vom Gesetzgeber gewählte Ausgestaltung, die überwiegend auf europäische Vorgaben zurückgeht, noch erheblichen Interpretationsspielraum und führt in der Praxis zu relevanten Anwendungsfragen und Unsicherheit.

Auch wenn sich für einige zentrale Fragekomplexe zwischenzeitlich sowohl bei den Betroffenen als auch bei der Aufsicht eine gewisse Praxis eingespielt hat, wird die Geltung der neuen Finanzanlagenvermittlungsverordnung (FinVermV-neu) zum 01. August 2020 diese Rechtsfragen sicherlich erneut ins Zentrum der Diskussion rücken, wenn der freie Finanzvertrieb zum ersten Mal damit im Tagesgeschäft konfrontiert wird. Bis zuletzt hatten Lobbyverbände eine Umsetzung zu verhindern versucht, waren damit aber im Ergebnis gescheitert. Ausgehend von den maßgeblichen Neuregelungen in der FinVermV-neu werden nachfolgend einige praxisrelevante Komplexe aus diesem Kontext dargestellt und aufgezeigt, warum die Aufzeichnungspflicht durchaus auch positive Aspekte haben kann.

2. Telefonische Aufzeichnungspflicht im Finanzvertrieb

Nach § 18a Abs. 1 S. 1 und 2 FinVermV-neu sind freie Finanzdienstleister nach § 34f/h GewO zukünftig ebenfalls verpflichtet, die Inhalte von Telefongesprächen und sonstiger elektronischer Kommunikation aufzuzeichnen, sobald sie sich auf die Vermittlung von oder die Beratung zu Finanzanlagen im Sinne des § 34f Abs. 1 S. 1 GewO beziehen. Die Aufzeichnung muss insbesondere die Teile der Kommunikation umfassen, in welchen die angebotene Dienstleistung der Anlageberatung oder Anlagevermittlung und die Risiken, die Ertragschancen oder die Ausgestaltung von bestimmten Finanzanlagen oder Gattungen von Finanzanlagen erörtert wird.

Ein erklärtes Ziel der Aufzeichnungspflicht aus gesetzgeberischer Sicht ist die Beweissicherung. Die Aufzeichnung soll deshalb insbesondere dokumentieren, ob der Anleger über die Chancen, Risiken und Eigenschaften einer empfohlenen Finanzanlage hinreichend informiert wurde.

2.1. Welche Kommunikationsmittel sind überhaupt betroffen?

Zwar wird unter dem Begriff des Tapings überwiegend die telefonische Kommunikation zusammengefasst und verstanden, gemeint ist bei § 18a FinVermV-neu indes sämtliche elektronische Kommunikation. Darunter sind auch anderweitige elektronische Informationskanäle zu verstehen, wie beispielsweise die Videotelefonie, Chatverläufe, aber grundsätzlich auch die E-Mail. Der Begriff der elektronischen Kommunikation ist – auch vor dem Hintergrund einer ständigen Veränderung im Kommunikationsverhalten – extensiv auszulegen, da eine möglichst umfassende Dokumentation elektronischer Kommunikation vom Gesetzgerber gewünscht und europarechtlich gefordert ist.

2.2. Welche Inhalte sind von der Aufzeichnungspflicht betroffen?

Der Formulierung des § 18a FinVermV-neu lässt sich entnehmen, dass zunächst irrelevant ist, im Kontext welcher Dienstleistungsvariante des § 34f GewO (Anlageberatung/Anlagevermittlung) die elektronische Kommunikation erfolgt, solange ein hinreichender inhaltlicher Bezug besteht. Eindeutig sind insoweit alle Fälle, in denen sich ein Telefonat bereits konkret auf eine Finanzanlage oder eine Gattung von Finanzinstrumenten bezieht. Dabei kommt es – vor dem Hintergrund des Beweissicherungszwecks – nicht entscheidend darauf an, ob sich (voraussichtlich) noch ein persönlicher Kontakt der elektronischen Kommunikation anschließt, in dem das Geschäft wirksam abgeschlossen wird. Dies dürfte angesichts der Pflicht zur schriftlichen Geeignetheitserklärung ohnehin die Regel sein. Ebenso eindeutig nicht umfasst von einer Aufzeichnungspflicht sind (geschäftliche) Gespräche ohne Bezug auf ein konkretes Produkt oder eine bestimmte Gattung. Ebenso die schlichte Verabredung zu einem späteren Beratungsgespräch oder ähnliche Vorbereitungshandlungen.

Da sich aber gerade Telefonate in der Praxis naturgemäß dynamisch entwickeln, kommt regelmäßig von Betroffenen die Frage auf, ab wann konkret aufgezeichnet werden soll. In der Regierungsbegründung für die entsprechende Regelung im Wertpapierhandelsgesetz war von gesetzgeberischer Seite nur kryptisch zu lesen, dass die Aufzeichnung „frühzeitig“ starten sollte. Dies lässt zwar eine grundsätzliche Tendenz erkennen, bringt für den Anwender aber wenig Rechtssicherheit oder -klarheit. An dieser Stelle konkurrieren das Recht des Kunden auf informationelle Selbstbestimmung sowie Datenschutz mit dem proklamierten Schutzzweck der Beweissicherung sowie dem Anspruch des Dienstleisters, sich stets gesetzmäßig zu verhalten.

Da das Gros der Dienstleister nicht ausschließlich elektronische beziehungsweise telefonische Dienstleistungen anbietet, erscheint ein ausnahmsloses Aufzeichnen – unabhängig vom konkreten Inhalt – zu weitgehend. Da aber grundsätzlich in der FinVermV vorgesehen ist, dass bei Produktbezug das gesamte Gespräch aufzuzeichnen ist, erscheint es ratsam, zumindest immer dann ein Telefonat von Anfang an aufzuzeichnen, wenn ein einschlägiger Bezug nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Dies wird faktisch auf einen Großteil der Gespräche zutreffen. Da auch die BaFin dieses Problem erkannt hat und in Artikeln auf ihrer Homepage dazu rät, zumindest immer dann die Aufzeichnung unmittelbar zu starten, „sobald sich das Gespräch in Richtung Wertpapierdienstleistung entwickelt“, erscheint ein theoretisch natürlich denkbarer Verstoß gegen Datenschutzvorgaben vernachlässigbar, wenn man durch eine frühzeitige Aufzeichnung den Vorgaben der FinVermV-neu Rechnung tragen will.

Interessant wird es auch bei solchen Vermittlern, die neben der Erlaubnis nach § 34f GewO auch noch als Versicherungsvermittler nach § 34d GewO tätig sind. Bei Versicherungsvermittlungsgesprächen besteht nämlich weiterhin keine entsprechende Verpflichtung zur Aufzeichnung, da die Regeln dort nicht auf die MiFID II zurückgehen. Insoweit kann der Dienstleister sich auch nicht auf eine gesetzliche Erlaubnis zur Datenerhebung, -speicherung oder -verarbeitung berufen, sodass man durchaus die Frage stellen kann, ob eine Aufzeichnung solcher Inhalte überhaupt zulässig wäre. Bislang fehlt eine eindeutige Aussage des Gesetzgebers ebenso wie eine Positionierung der Aufsicht beziehungsweise der Datenschutzbehörden gerade bei solchen gemischten Sachverhalten. Da es im Streitfall später aber immer überzeugend erscheint, bei solchen übergreifenden Themenkomplexen auf den Schutzzweck der Aufzeichnung für Vermögensanlagen zu verweisen, gerade auch weil es dem Verbraucherschutz dienen soll, sollte nach diesseitiger Auffassung auch hier möglichst umfassend aufgezeichnet werden.

2.3. Was ist zu tun, wenn der Kunde die Aufzeichnung verweigert?

Vor der Aufzeichnung ist der Kunde über den Umstand zu informieren. Dies muss natürlich nicht jedes Mal erfolgen, sondern kann grundsätzlich standardisiert einmalig für die Geschäftsbeziehung vorgenommen werden (§ 18a Abs. 3 S. 1 FinVermV-neu). Diese Information ist vom Dienstleister zu dokumentieren, gerade auch, um später einen Nachweis gegenüber der Aufsicht oder dem Kunden zu haben. Selbstverständlich steht es dem Kunden frei, sein Einverständnis in diese Maßnahme im Einzelfall oder in Gänze zu verweigern.

An diese Stelle ist ein teilweise verbreiteter Irrglaube klarzustellen: Verweigert der Kunde seine Zustimmung zur Aufzeichnung, schließt das nicht etwa die Aufzeichnungspflicht, sondern die Beratungs- oder Vermittlungsmöglichkeit im Kontext elektronischer Kommunikation abschließend aus (§ 18a Abs. 3 S. 2 FinVermV-neu). Die Aufzeichnung ist also aus Kundensicht nicht dispositiv. Die Parteien werden in diesem Fall auf einen persönlichen Kontakt zurückgreifen (müssen).

2.4. Welche Konsequenzen drohen bei Verstößen?

Es kann jedem Finanzdienstleister nur dringend angeraten werden, die aufsichtsrechtlichen Vorgaben pflichtgemäß einzuhalten und für eine lückenlose und nachvollziehbare Dokumentation zu sorgen. Zwar handelt es sich bei Verstößen zunächst einmal „nur“ um eine Ordnungswidrigkeit, deren wirtschaftliche und rechtlichen Konsequenzen (siehe auch nachfolgend bei Ziff. 5) indes nicht zu unterschätzen sind.

Der Bußgeldrahmen der Gewerbeordnung ist in diesem Kontext zwar bei 50.000 Euro gedeckelt, was im Verhältnis zu dem Bußgeldrahmen bei KWG-Instituten mit bis zu fünf Millionen Euro durchaus überschaubar anmutet. Auch sind die IHKs und Gewerbeämter aktuell kaum mit hohen Bußgeldern in Erscheinung getreten. Allerdings ist im Rahmen der bevorstehenden Überleitung der BaFin mit einer Verschärfung der Ahnungspraxis zu rechnen. Zusätzlich können (wiederholte) Verstöße grundsätzlich Einfluss auf die gewerberechtliche Zuverlässigkeit haben.

2.5. Auswirkungen der Taping-Pflicht auf Zivilprozesse

Neben aufsichtsrechtlichen Bußgeldern ist für viele Finanzdienstleister die zivilrechtliche Inanspruchnahme auf Schadensersatz eine ernstzunehmende Gefahr, die trotz einer nunmehrigen Haftpflichtversicherung – gerade angesichts des Risikos multipler Inanspruchnahmen – weiterhin existenzbedrohend sein kann. Vorwurf in solchen Prozessen ist regelmäßig eine nicht pflichtgemäße Beratung oder Vermittlung, wobei der Finanzdienstleister aufgrund einer von den Gerichten angenommenen, zu seinem Nachteil ausgestaltenten Beweislast, häufig in der Defensive ist. Gerade bei lange zurückliegenden Sachverhalten, in denen er keine konkreten Erinnerungen oder Aufzeichnungen zu einem Geschäftsvorfall hat, fällt ihm die Darlegung einer ordnungsgemäßen Dienstleistung häufig schwer. Dort kann nun aber die Aufzeichnungspflicht ein nicht zu unterschätzendes Mittel der Verteidigung werden.

Als Regelungsziel für die Aufzeichnungspflicht hat der Verordnungsgeber die folgende Trias aufgestellt: die Stärkung des Anlegerschutzes, die Verbesserung der Marktüberwachung und die Schaffung von Rechtssicherheit im Interesse der Finanzanlagenvermittler und Anleger (Verordnungsentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie v. 22.07.2019, S. 26). Besonders hervorgehoben wird dabei der Zweck der Beweissicherung, weshalb insbesondere aufgezeichnet werden soll, ob der Anleger über die Chancen, Risiken und Eigenschaften einer empfohlenen Finanzanlage informiert wurde. Es kann also davon ausgegangen werden, dass die Aufzeichnungen künftig Einzug in zivilgerichtliche Verfahren halten und dort als Beweismittel angeführt werden; zumal der Kunde auch zusätzlich einen Herausgabeanspruch hat.

Doch auch für den Vermittler stellt der Verordnungsgeber klar, dass er im Schadensfall die Aufzeichnungen auswerten und verwenden darf. Insoweit besteht die begründete Hoffnung, dass zukünftig zivilgerichtliche Verfahren, in denen die Schilderungen eines identischen Beratungsgesprächs diametral auseinandergehen, der Vergangenheit angehören werden. Für den Finanzvertrieb ist die Aufzeichnungspflicht also, selbst wenn sie mit organisatorischem und finanziellem Mehraufwand verbunden ist, durchaus auch mit Vorteilen behaftet.

In diesem Kontext ist abschließend noch zu erwähnen, dass die Aufzeichnungen gemäß § 23 FinVermV-neu für zehn Jahre aufzubewahren sind, was einen überwiegenden Gleichlauf mit der zivilrechtlichen Höchstverjährungsfrist von ebenfalls zehn Jahren ermöglicht. § 83 Abs. 8 WpHG sieht hingegen nur eine Aufbewahrungspflicht für fünf Jahre vor, was gerade im Hinblick auf die Heranziehung als zivilrechtliches Beweis.

Dieser Artikel von Dr. Stephan Schulz, Rechtsanwalt in der Kanzlei BKL, Fischer Kühne + Partner, erschien in „PROBERATER 2020“.

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