Dauerbrenner Plausibilitätsprüfung: Die Verpflichtung des Finanzvertriebs und Lösungsmöglichkeiten

Alexander Pfisterer-Junkert

Vorbemerkung

Kaum ein Thema beschäftigt den Finanzvertrieb derart dauerhaft wie das der Plausibilitätsprüfung. In unregelmäßigen Abständen aber mit ziemlicher Sicherheit rückt es immer und immer wieder in den Mittelpunkt der Diskussion zwischen Finanzmarktakteuren und Rechtsanwälten. Einige glauben gänzlich auf eine Prüfung verzichten zu können, andere hingegen, dass die Prüfung durch weitere Marktteilnehmer ja wohl ausreichen müsse.

Wieder andere versuchen sich genau an den rechtlichen Vorgaben zu orientieren und wissen am Ende nicht, ob sie alles richtig gemacht haben, also der Umfang ihrer Prüfung ausreichend ist. Faktisch fehlt in kaum einem auf die Rückabwicklung von gescheiterten Kapitalanlagen gerichteten Klageverfahren vermeintlich geprellter Anleger gegen ihren Vertrieb der Vorwurf die Kapitalanlage nicht einer ordnungsgemäßen Prüfung unterzogen zu haben. Wie verhält man sich also richtig und warum gibt es so viele unterschiedliche Meinungen?

1. Eigener Status entscheidet

Um dem Thema Herr zu werden, gilt es zunächst einmal den eigenen Status klären. Schließlich leitet sich an diesem der Umfang der jeweils zu erbringenden Prüfungstiefe ab. Spätestens mit der Entscheidung BGH ZR XI 89/07 vom 7. Oktober 2008 hat der Bankensenat des höchsten deutschen Zivilgerichts die Anknüpfungspunkte bestimmt. Banken und Sparkassen haben hiernach wenig Spielraum. Laut Ansicht des Senats haben diese Kapitalanlagen mit sogenannten banküblich kritischem Sachverstand zu prüfen, weil grundsätzlich von einer Beratung in Zusammenhang mit dem Erwerb von Kapitalanlagen durch deren Kunden auszugehen ist. Eine einfache Plausibilitätsprüfung ist nicht ausreichend. Auch wenn der Bundesgerichtshof für den jeweiligen Einzelfall von einer widerleglichen Vermutung in Bezug auf das Zustandekommen eines Beratungsvertrages ausgeht, tun Kreditinstitute gut daran die strengen Prüfungsstandards ausnahmslos einzuhalten.

Schwieriger wird es in Sachen Statusfeststellung aber für die unabhängigen Finanzdienstleister. Während die Zivilgerichte gemäß höchstrichterlicher Vorgabe von Beratern die Prüfung einer Kapitalanlage mit kritischem Sachverstand fordern, reicht es für den Vermittler nach Meinung des Bundesgerichtshofs aus, Kapitalanlagen einer reinen Plausibilitätsprüfung, also einer inneren Schlüssigkeitsprüfung zu unterziehen. Unter Prüfung mit kritischem Sachverstand versteht der BGH die Pflicht eine Kapitalanlage dahingehend auf die wesentlichen Risiken und Eigenschaften „abzuklopfen“, die für die Anlageentscheidung des Kunden wesentliche Bedeutung haben (vergleiche BGH, Urteil vom 16.06.2011 – III ZR 200/09).

2. Divergierende „Gesetzeslage“

Dort lauert schon der erste Fallstrick. Qualifiziert sich ein Finanzvertrieb bei Aufnahme eines Produktes nämlich als Vermittler und prüft er aufgrund dieser Annahme lediglich die innere Schlüssigkeit der Prospektangaben, ist der Fehler schon vorprogrammiert. Dies liegt an der Divergenz zwischen Aufsichtsrecht auf der einen Seite und dem klassischen Zivilrecht auf der anderen Seite. Zwar wurde mit Einführung der Finanzanlagenvermittlungsverordnung (FinVermV) zu Beginn des Jahres 2013 (novelliert in 2020) erstmals der Pflichtenkatalog im Rahmen einer Anlageberatung für unabhängige Finanzdienstleister in gesetzliche Rahmenbedingungen gegossen, Rechtssicherheit vor Zivilgerichten wurde hiermit aber nicht geschaffen. Schließlich regeln die aufsichtsrechtlichen Normen wie etwa die FinVermV zunächst einmal nur die von Seiten der Aufsichtsbehörden (hier Gewerbeämter oder Industrie – und Handelskammern) zu überwachenden und vom Gewerbetreibenden, also dem Vertrieb, einzuhaltenden Vorgaben. Ein direkter Rechtsanspruch eines Kapitalanlegers lässt sich hieraus (noch) nicht ableiten (vergleiche BGH, Urteil vom 14.07.2020 – VI ZR 208/19).

3. Empfehlung macht Vermittlung zur Beratung

Die anwaltliche Beratungspraxis zeigt, dass einige Vertriebe annehmen, ihren Status bereits im Vorfeld grundsätzlich und damit für alle Geschäftsvorfälle definieren zu können. Diese Annahme ist aber in den überwiegenden Fällen unzutreffend. Anders als der definierte Pflichtenkanon der FinVermV verlangen die Zivilgerichte im Rahmen von Schadensersatzprozessen nicht den klägerischen Nachweis über die unzureichende Einhaltung der dortigen Vorgaben durch den verklagten Finanzvertrieb, um dem Schadensersatzanspruch des Anlegers Recht zu geben. Im Umkehrschluss kann sich der Finanzvertrieb aber auch nicht auf das Nichtbestehen eines Anlageberatungsverhältnisses wegen Nichteinhaltung der dortigen Vorgaben berufen. Für die Zivilgerichte einzig entscheidend, um einen Vertrieb als Berater und nicht als Vermittler zu qualifizieren, ist die Frage der Abgabe einer Empfehlung gegenüber dem Kunden, und zwar im jeweiligen Einzelfall. Eine entsprechende Legaldefinition findet sich in § 1 Absatz 1a Satz 2 Nummer 1a des Kreditwesengesetzes (KWG). Sie lautet: „Abgabe von persönlichen Empfehlungen an Kunden oder deren Vertreter, die sich auf Geschäfte mit bestimmten Finanzinstrumenten beziehen, sofern die Empfehlung auf eine Prüfung der persönlichen Umstände des Anlegers gestützt oder als für ihn geeignet dargestellt wird und nicht ausschließlich über Informationsverbreitungskanäle oder für die Öffentlichkeit bekannt gegeben wird.“ Unbeachtlich ist es also, ob seinerzeit beispielsweise die Vermögensverhältnisses des klagenden Anlegers vollständig und richtig exploriert wurden. Vergegenwärtigt man sich die richterlichen Gedankengänge, stellt man schnell fest, dass die Ermittlung des eigenen Status (Vermittler oder Berater) für die jeweiligen Geschäfte in der Zukunft gar nicht möglich ist. Schließlich wird zu zwei späteren Zeitpunkten in jedem Einzelfall zu ermitteln sein, ob eine Beratung oder eine Vermittlung vorlag. Zunächst vom Vertrieb im konkreten Erwerbszeitpunkt des Kunden (also nach Prüfung der Kapitalanlage) und später im Schadensfall durch die Gerichte. Die Praxis zeigt, dass die Einschätzungen hier häufig auseinanderfallen. Ging die ursprüngliche Einschätzung des Vertriebs seinerzeit von Vermittlung aus und erkennen die Gerichte später auf eine Beratung, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit des Prozessverlustes. Dies auch, weil im Rahmen einer Vermittlung häufig weniger detailliert dokumentiert wird und sodann entlastende Unterlagen für die Abwehr eines unberechtigten Anspruchs nicht zur Verfügung stehen.

4. Annahme der Beratung zwingend

Für ein möglichst hohes Maß an Rechtssicherheit ist daher die Annahme eines unabhängigen Finanzdienstleisters, er handle als Berater, geradezu zwingend, und zwar unabhängig von der Gattung bei einem jeden Produkt, das zu Kapitalanlagezwecken vertrieben wird. Die Ausweitung der Prüfungsintensität ist hierbei eine automatische Folge, die jedoch hinzunehmen ist, möchte man in später gegebenenfalls aufkommenden Rechtsstreitigkeiten nicht mehr oder weniger hilflos einem Richterspruch ausgesetzt sein. Wie haftungsträchtig eine Fehlannahme sein kann, zeigt auch und gerade DER Massenschadensfall der jüngsten Vergangenheit, P&R Container. Weder unterfiel das Produkt der Containerdirektinvestition bis zum Jahre 2016 den Zulassungsregelungen des Vermögensanalagengesetzes (VermAnlaG) noch den Regelungen der FinVermV für die Berater. Dennoch sind gerade diese Vertragsschlüsse aktuell Gegenstand von vielen Rechtstreitigkeiten, da gerade – auch wegen der jahrzehntelang scheinbar pflegeleichten Art der Anlage – der tiefen Prüfung nicht in jedem Falle höchste Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dass im Ergebnis bislang die meisten verklagten Berater schadlos aus diesen Verfahren hervorgegangen sind, ist nur dem Umstand früher Gerichtsentscheidungen zuzusprechen, die sich an Fällen zu bilden hatten, deren Sachverhalte für die klagenden Anleger ausgesprochen ungünstig standen. Hierauf sollte man sich für die Zukunft aber nicht verlassen.

5. „Auslagerung“ möglich

Es gibt in Deutschland nur wenige sogenannte höchstpersönliche Rechtsgeschäfte, also solche, die man selbst ausführen, beziehungsweise deren hierzu notwendige Erklärungen man selbst abgeben muss. Das bekannteste dürfte das der Eheschließung (§ 1311 BGB) sein. In den meisten anderen Fällen kann man sich vertreten lassen, man kann also einen Dritten mit der Durchführung der Tätigkeit beauftragen. So auch im Falle der Plausibilitätsprüfung von Kapitalanlagen (vergleiche BGH Urteil vom 7. Oktober 2008 – XI ZR 89/07). Hierbei gilt es jedoch zu beachten, dass man sich mit der Auftragserteilung zur Übernahme einer Plausibilitätsprüfung an einen Dritten nicht der Pflicht zur Durchführung entledigt. Lediglich im Innenverhältnis regeln Berater und Prüfender die Aufgabenverteilung. Eine dahingehende Exkulpation in einem späteren Gerichtsverfahren, der prüfende Dritte habe den Fehler gemacht und nicht man selbst, dürfte wenig erfolgversprechend sein, weil sich der Berater dessen Handeln im Verhältnis zum klagenden Anleger zurechnen lassen muss. Daher ist bei der Auswahl des Prüfenden Vorsicht geboten. Unerlässlich ist somit zunächst einmal den Prüfenden selbst zu prüfen. Nur wer bereits über langjährige Expertise in der Prüfung von Kapitalanlagen verfügt, sollte in die engere Auswahl einbezogen werden.

6. Umfang definieren

Prüfung ist nicht gleich Prüfung. Wie oben festgestellt, ist ein Berater zu einer Prüfung der Kapitalanlage mit kritischem Sachverstand verpflichtet. Es nützt daher wenig, die Prüfung durch einen Dritten durchführen zu lassen, wenn der von diesem geleistete Prüfungsumfang hinter den eigenen Verpflichtungen zurückbleibt. Prüft der Dritte nämlich nur auf einfache Plausibilität, bleibt eine Lücke zur Prüfung mit kritischem Sachverstand. Diese müsste sodann selbstständig wieder geschlossen werden. Notwendig ist es daher, den konkreten Auftragsumfang zwischen beratendem Finanzdienstleister als Auftraggeber und dem Prüfungsdurchführenden als Auftragnehmer genau zu fixieren. Aufgrund der nach unzähligen Schadensersatzprozessen bekannten Haftungsträchtigkeit in Zusammenhang mit einer unzureichenden Plausibilitätsprüfung sollte auch besonderes Augenmerk auf die Haftungsregelungen im Verhältnis von Auftraggeber und Auftragnehmer gerichtet werden.

7. Bewertungen von Analysehäusern

Bewertungen von Analysehäusern können eine eigene Prüfungspflicht nicht ersetzen, vor allem dann nicht, wenn diese nicht durch einen eigenen Auftrag des Finanzberaters entstanden sind. Schließlich analysieren die bekannten Häuser neue Anlagen gerne auf Bitten der Anbieter. Es handelt sich daher faktisch um weitere Informationen, die von Anbieterseite offeriert werden und bestenfalls im Rahmen der Vermittlung, die ohnehin eigenfestgestellte Plausibilität untermauern können. Dennoch sollte den verfügbaren Analysen Aufmerksamkeit geschenkt werden. Schließlich lassen sich aus den dortigen Feststellungen häufig Hinweise entnehmen, wo im Rahmen einer kritischen Prüfung noch einmal der „Finger in die Wunde gelegt werden sollte“.

8. Nicht prüfen keine Option (kein opt-out)

Oftmals fehlinterpretiert wird der gerichtliche Ausspruch, im Falle einer durch den Vertrieb unterlassenen Prüfung müsse dies dem Kunden mitgeteilt werden. Häufig hält sich die irrige Annahme, man könne daher auf eine Prüfung verzichten und müsse dies dem Kunden eben nur im Vorfeld kundtun. Auf Basis einer solchen Annahme lässt sich kein tragfähiges Geschäftsmodell entwickeln. Dies allein vor dem Hintergrund, dass bereits das geltende Aufsichtsrecht im Rahmen einer Anlageberatung die Empfehlung einer geeigneten Kapitalanlage vom beratenden Vertrieb verlangt, wie dem unlängst reformierten § 16 der FinVermV zu entnehmen ist.

Ohne detaillierte Kenntnis des Produkts kann über dessen Geeignetheit für den Anlagewunsch des Kunden aber keine Beurteilung vorgenommen werden. Doch auch in der Vermittlung kann die unterlassene Prüfung und die Mitteilung hierüber nur der Notnagel im Einzelfall sein; etwa dann, wenn der Kunde mit dem vorgefertigten Entschluss eine Kapitalanlage zu zeichnen an den Vermittler herantritt, die dieser nicht kennt. In allen anderen Fällen, etwa wenn der Kunde sich an den Vermittler aufgrund eines Mailinganschreiben mit der Interessenbekundung an einem zuvor beworbenen Produkt wendet, ist zumindest die (einfache) Plausibilitätsprüfung Pflicht. Schließlich macht der Anlageinteressent hierbei deutlich, dass er, bezogen auf eine bestimmte Anlageentscheidung, die besonderen Kenntnisse und Verbindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen will, was mindestens stillschweigend zu einem Auskunftsvertrag mit Haftungsfolgen führt (vergleiche BGH, Urteil vom 13. Januar 2000 – III ZR 62/99).

Dieser Artikel von Alexander Pfisterer-Junkert, Rechtsanwalt in der Kanzlei BKL, Fischer Kühne + Partner, erschien in „PROBERATER 2021“.

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