BGH: Sonderkündigungsrecht ist ein für Anlageentscheidungen wesentlicher Umstand
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in zwei Urteilen vom 25. November 2014 (Aktenzeichen: XI ZR 480/13 und XI ZR 169/13) entschieden, dass eine Bank beim Vertrieb von Inhaberschuldverschreibungen mit einem zugesicherten Kapitalschutz, sogenannten Garantiezertifikaten, über Sonderkündigungsrechte des Emittenten ungefragt aufzuklären hat.
In den beiden Verfahren erwarben die Kläger auf Empfehlung eines Mitarbeiters der beklagten Bank Garantiezertifikate der seit September 2008 insolventen niederländischen Tochtergesellschaft Lehman Brothers Treasury Co. B.V. (Emittentin) der US-amerikanischen Lehman Brothers Holdings Inc. (Garantin). Den Zertifikaten lagen die Anleihebedingungen der Emittentin zum Basisprospekt vom 28. August 2007 zu Grunde. Danach sollte die Emittentin am Laufzeitende unabhängig von der Entwicklung der Basiswerte mindestens 100 Prozent des eingezahlten Kapitals an den Anleger zurückzahlen. In den Anleihebedingungen wird der Emittentin ein Sonderkündigungsrecht aus Gründen eines Fusionsereignisses, eines Übernahmeangebots, eines Delistings, einer Verstaatlichung, einer Insolvenz der in den Zertifikaten in Bezug genommenen Unternehmen oder wegen einer durchgeführten oder geplanten Veränderung steuerrechtlicher Vorschriften eingeräumt. In diesen Fällen erhält der Anleger einen Rückzahlungsbetrag, der von einer Berechnungsstelle ausgehend von dem marktgerechten Wert der Zertifikate abzüglich angemessener Aufwendungen und Kosten berechnet wird. Dabei wird in den Anleihebedingungen ausgeführt, dass der vorzeitige Rückzahlungsbetrag möglicherweise unter dem Nennbetrag liegen oder sogar Null betragen könne. Auf das Sonderkündigungsrecht der Emittentin und dessen Rechtsfolgen wurden die Kläger von der Beklagten nicht hingewiesen. Die Anleihebedingungen wurden ihnen ebenfalls nicht übergeben.
Nach der Insolvenz der Emittentin im September 2008 wurden die Zertifikate weitgehend wertlos. Die Kläger forderten Schadensersatz und bekamen diesen in den Vorverfahren überwiegend zugesprochen.
Die Revisionen der beklagten Bank sind in beiden Verfahren erfolglos geblieben. Nach Auffassung des BGHs haben die Berufungsgerichte in beiden Rechtsstreiten zu Recht eine schuldhafte Verletzung der Pflichten aus dem geschlossenen Anlageberatungsvertrag bejaht und damit die beklagte Bank rechtsfehlerfrei zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Die Empfehlung der Zertifikate war in beiden Verfahren nicht anlagegerecht. Bei „Garantie-Zertifikaten“ muss eine beratende Bank die Anleger über das in den jeweiligen Anleihebedingungen geregelte Sonderkündigungsrecht der Emittentin, das zu einem Totalverlust des Kapitals führen kann, ungefragt aufklären. Denn ein Sonderkündigungsrecht stellt einen für die Anlageentscheidung wesentlichen und damit aufklärungsbedürftigen Umstand dar. Wesentliches Merkmal eines Garantiezertifikats mit 100-prozentigem Kapitalschutz ist, dass sich das Risiko des Anlegers darauf beschränkt, mit dem Anlagebetrag während der Anlagezeit möglicherweise keine Gewinne zu erwirtschaften oder dass die Emittentin insolvent wird. Dem steht ein Sonderkündigungsrecht diametral entgegen, bei dem der von der Berechnungsstelle nach billigem Ermessen festzulegende Marktwert den Anlagebetrag unterschreiten oder sogar Null betragen kann. (JZ1)
Quelle: Pressemitteilung BGH