GDV: Kommissionsvorschlag zur Kleinanlegerstrategie lässt viele Fragen offen
Am 24. Mai 2023 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag zur Kleinanlegerstrategie (Retail Investment Strategie; RIS) vorgelegt. Ziel ist es mehr Kleinanleger für den europäischen Kapitalmarkt zu gewinnen. Laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bleiben jedoch viele Fragen offen: Hat die Kommission die richtigen Instrumente gewählt? Wo gibt es Raum für Verbesserungen? Können die Auswirkungen des Vorschlages vollständig überblickt werden, wenn zahlreiche Regelungen erst im Nachhinein konkretisiert werden sollen? Dies hat der GDV mit Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik am 1. Juni 2023 in Brüssel diskutiert.
Lenka De Mauro, Leiterin European and International Affairs beim GDV, verwies zu Beginn der Veranstaltung auf die immanenten Herausforderungen, die RIS stellt: Informationsanforderungen sollen gestrafft, die Informationslage der Anleger aber verbessert werden. Der Zugang zu Produkten und Finanzberatung soll vereinfacht werden, Anforderungen an Vertreiber und Produkthersteller gleichzeitig verschärft. Neue Transparenz- und Produktprüfungsanforderungen sollen den Verbraucherschutz verbessern, Kosten für Anleger jedoch minimal bleiben. Und all das bei gleichzeitigem Bemühen um eine Harmonisierung der Vorschriften für Banken, Fonds und Versicherer in einem heterogenen europäischen Markt in Rekordzeit.
Marcel Haag, zuständiger Direktor bei der EU-Kommission, erklärte den Ansatz und die Hintergründe der Kommission für die neuen legislativen Maßnahmen. Er verdeutlichte, dass die RIS in erster Linie Vertrauen schaffen solle. Partielle Provisionsverbote seien dafür der richtige Weg, weil sie Interessenkonflikte abbauen würden, ohne sich auf den Kleinanlegermarkt disruptiv auszuwirken. Daneben habe aber die EU-Kommission eine Reihe weiterer wichtiger Maßnahmen ergriffen, unter anderem in den Bereichen der Produktprüfung, der Transparenz und der Finanzbildung. Erst im Zusammenspiel, so Haag, könnten sie ihre Wirkungen positiv entfalten.
Reinder Van Dijk von Oxera, einem Unternehmen für Wirtschafts- und Finanzberatung, warnte dagegen davor, allein auf Provisionsverbote zu setzen. Diese seien weder aus verhaltensökonomischer Sicht empfehlenswert noch empirisch gesichert. Seine Argumentation stützte er auf eine umfangreiche Studie über Vergütungssysteme im Versicherungsvertrieb, mit der Oxera im Auftrag des GDV die Vor- und Nachteile von Provisionsverboten analysiert hat.
Auch Nicola Beer, Vizepräsidentin des Europäischen Parlamentes, plädierte für transparente Kostenstrukturen. Somit könne Kunden der größtmögliche Mehrwert („value für money“) gesichert werden. Als Liberale sprach sie sich jedoch gegen Preiskontrolle in Form von Benchmarks aus. David Cowan von EIOPA, der europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, merkte an, dass er in Benchmarks, die im Rahmen des „value for money“-Konzeptes eingeführt werden sollen, keine Preiskontrolle sehe, weil sie nicht als statisches System konzipiert werden. Vielmehr stellen sie aus seiner Sicht einen fortlaufend aktualisierten Referenzpunkt dar, mit dem Ausreißer identifiziert werden können.
Aleksandra Maczynska, Executive Director bei Finance Watch, gab hingegen zu bedenken, dass zahlreiche Kleinanleger kein hinreichendes Vertrauen in Beratungsleistungen fassen. Dieses Problem, so Michael Fauser, Vorstandsvorsitzender der Ergo Vorsorge Lebensversicherung AG, sei nicht einfach durch ein zusätzliches Mehr an Informationen zu lösen. Vielmehr komme es darauf an, relevante Informationen für Verbraucher zu filtern. Er regte ambitioniertere Maßnahmen der Modernisierung und Verschlankung von Informationspflichten an. Damit ließe sich die Transparenz aus Verbrauchersicht verbessern. Auch Apostolos Thomadakis vom European Capital Markets Institute schätzte die gegenwärtige Flut an Informationen als kritisch ein. Zugleich brachte er aber auch zum Ausdruck, dass die Strategie der Kommission als eine Art Kompromisslösung an anderen Stellen nicht ambitioniert genug sei.
Eine positive Einschätzung kam von Jawed Barna, Vorstandsmitglied der Zurich Versicherung. Dass die Kommission mit ihrem Vorschlag das Thema der finanziellen Bildung angehe, sei in diesem Kontext ein wichtiger Schritt, um Verbrauchern bessere Finanzentscheidungen zu ermöglichen. Vor allem aber wies er noch einmal darauf hin, dass sich die Regulierung am tatsächlichen Verhalten der Menschen orientieren müsse. Nur wenn Kleinanleger mehr Vertrauen fassen und Finanzentscheidungen am Ende informierter und leichter treffen können, werde die RIS erfolgreich sein. (DFPA/JF1)
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) mit Sitz in Berlin ist die Dachorganisation der privaten Versicherer in Deutschland. In dem Verband sind rund 460 Mitgliedsunternehmen mit knapp 490.000 Mitarbeitern, 466 Millionen Versicherungsverträgen und einem Kapitalanlagebestand von etwa 1,8 Billionen Euro zusammengeschlossen.