Vier von zehn Top-Aufsehern stammen aus Finanzindustrie
Europas Banken erzielen Überrenditen am Aktienmarkt, wenn ihre Beschäftigten in den Vorstand der Finanzaufsichtsbehörde wechseln. Das kommt häufiger vor als bekannt, zeigt eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).
Die personellen Verflechtungen zwischen Europas Banken und den für sie zuständigen Aufsichtsbehörden sind enger als bislang bekannt. Fast vier von zehn Vorstandsmitgliedern von nationalen Regulatoren haben zuvor in der Finanzindustrie gearbeitet. Das belegt eine neue Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsfor-schung Halle (IWH): Wer gerade noch beaufsichtigt wurde, wird oft selbst Aufseher. Für die IWH-Studie haben die Ökonomen Daten zu den Karrierepfaden von 185 europäischen Top-Aufsehern gesammelt und ausgewertet. Die Analyse ergab, dass 38,6Prozent der Führungskräfte von Regulierungsbehörden zuvor in Banken tätig waren. Der Befund deutet auf ein Risiko für die Finanzstabilität hin. Die Politik sollte die Aufsicht verbessern.
Dieses Phänomen kann einer laxen Regulierung den Weg ebnen. Zumindest scheinen sich Anleger eine nachsichtige Kontrolle der fraglichen Banken zu erhoffen. Denn diese erzielen Überrenditen am Aktienmarkt, wenn ihre ehemaligen Beschäftigten in den Vorstand nationaler Regulierungsbehörden eintreten. Ein weiteres potenzielles Problem kann die IWH-Analyse zumindest für die Zeit vor der Einführung der Europäischen Bankenunion nachweisen: Kreditinstitute, deren Alumni zu Aufsehern ernannt wurden, hielten weniger Eigenkapital und wuchsen schneller. „Die Nähe zwischen Banken und Aufsicht birgt mögliche Risiken für die Finanzstabilität“, sagt Michael Koetter, Vizepräsident und Leiter der Abteilung Finanzmärkte am IWH. Er hat die Studie zusammen mit Stefano Colonnello, Alex Sclip und Konstantin Wagner verfasst. „Allein der Verdacht, als Aufseher könnten ehemalige Banker ihre früheren Arbeitgeber begünstigen, kann das Vertrauen in die Institu-tionen belasten“, sagt Koetter. „Die Politik sollte die Bankenaufsicht verbessern, um das Finanz- und Wirtschaftssystem in Deutschland und Europa zeitgemäß zu sichern.“ (DFPA/abg)
Die gesamte Studie finden Sie hier.
Die Aufgaben des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) sind die wirtschaftswissenschaftliche Forschung und wirtschaftspolitische Beratung auf wissenschaftlicher Basis. Das IWH betreibt evidenzbasierte Forschung durch eine enge Verknüpfung theoretischer und empirischer Methoden. Dabei stehen wirtschaftliche Aufholprozesse und die Rolle des Finanzsystems bei der (Re-)Allokation der Produktionsfaktoren sowie für die Förderung von Produktivität und Innovationen im Mittelpunkt. Das Institut ist unter anderem Mitglied der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, die halbjährlich Gutachten zur Lage der Wirtschaft in der Welt und in Deutschland für die Bundesregierung erstellt.