Anlageberatung der Zukunft: "Kaum anders als zurzeit"

Wie die zunehmende Regulierung des europäischen Kapitalmarktes den Vertrieb von Finanzdienstleistungen belastet, hat EXXECNEWS in der Ausgabe Nr. 06/2024 vom 11. März 2024 beschrieben. Selbst die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sieht Handlungsbedarf: „Wir brauchen Geschwindigkeit, klare Regeln und ein Minimum an Bürokratie“, meinte kürzlich Dr. Thorsten Pötzsch, Exekutivdirektor Wertpapieraufsicht bei der BaFin. – Neben der Überbürokratisierung stellt die fortschreitende Digitalisierung und Künstliche Intelligenz den Finanzvertrieb vor neue Herausforderungen. Lesen Sie hier, was Produktanbieter und Vermittler dazu sagen. Fazit: Digitale Prozesse unterstützen die persönliche Finanzberatung. Keine Konkurrenz, sondern friedlich Koexistenz. Bei komplexen Finanzprodukten bleibt auch in Zukunft die fachliche Beratung unverzichtbar.
Kann sich die persönliche Beratung gegenüber digitalen Zeichnungsprozessen behaupten? Oder ist die Digitalisierung die finale Konkurrenz für Finanzdienstleister?
Dr. Sebastian Grabmaier, Vorstandsvorsitzender Jung, DMS & Cie. AG, München: Auch wenn manche Investment- und Versicherungslösungen in der Tat wenig Beratung benötigen und vom Endkunden problemlos online erledigt werden können, sind viele Produkte, die langfristig angelegt sind und wichtige Bereiche des Lebens betreffen – etwa in der Altersvorsorge oder dem Portfoliomanagement – erklärungsbedürftig. Hier wollen Endkunden auch eine kompetente, persönliche Beratung. Insofern ist auch in der zunehmend digitalisierten Vertriebswelt ein enger, persönlicher Kundenkontakt weiter elementar wichtig.
Fannie Wurtz, Head of Distribution & Wealth Division, Passive Business Line, bei Amundi Asset Management, Frankfurt am Main: Wir sind Zeugen eines tiefgreifenden und anhaltenden Wandels unserer Branche, der durch die rasante Digitalisierung und den demografischen Wandel noch verstärkt wird. Digitales Investieren ist nicht mehr nur Sache jüngerer Anleger, die mit dem Vermögensaufbau beginnen. Der Anstieg beim digitalen Investieren geht mit dem Wunsch nach Beratung einher. 75 Prozent der von Amundi international befragten Privatanleger haben eine professionelle Finanzberatung in Anspruch genommen. Bei Personen mit einem Haushaltseinkommen von über 125.000 Euro sind es sogar 87 Prozent. 47 Prozent der befragten Anleger erwarten, dass sie in den nächsten fünf Jahren einen höheren Anteil ihres Vermögens digital investieren werden – bei Anlegern mit einem Anlagevermögen von mehr als 150.000 Euro liegt der Wert sogar bei 55 Prozent.
Oliver Liebermann, Vertriebsvorstand bei der MLP Finanzberatung SE, Wiesloch: Mit den Möglichkeiten der Digitalisierung, darunter auch die der Künstlichen Intelligenz, setzen wir uns sehr intensiv auseinander. Unser Verständnis und damit auch unser Ansatz zum verantwortungsvollen Gebrauch dieser Technologie ist der eines Hilfsmittels, zweifellos eines sehr vielseitig einsetzbaren und sehr leistungsfähigen – dies wird am Beispiel ChatGPT besonders deutlich. Gleichzeitig sind wir überzeugt: Menschen wollen auch weiterhin von Menschen beraten werden, gerade bei komplexen Finanzthemen. Deshalb ist die persönliche Beratung, verknüpft mit ergänzenden Digitalangeboten und -services, in unseren Augen mehr denn je der Schlüssel zum Erfolg. Für diesen kundenorientierten Ansatz ist zudem entscheidend, dass gleichzeitig auch Prozesse, die im Hintergrund ablaufen, konsequent digitalisiert werden – denn auch sie sind in ihrer Bedeutung für die Beratung und das Kundenerlebnis nicht zu unterschätzen.
Sven Mückenheim, Vertriebschef der Dr. Peters Group, Dortmund: Unbestritten wird die Digitalisierung der Finanzmärkte von den meisten Investment und Asset Managern, Vertrieben, Investoren und sogar von der Finanzaufsicht als Fortschritt gesehen. Ebenso unbestritten ist, dass sehr viele, auch ältere Anleger inzwischen selbstverständlich im Internet Wertpapiere und Investmentfonds über ein Online-Depot handeln. Zugleich ist erkennbar, dass die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Vertrieb von beratungsintensiven Produkten mit längeren Laufzeiten zumindest bislang kaum messbar sind. Die Digitalisierung spielt im Vertriebs- und Anlegerservice bereits eine weitaus größere Rolle. Die Datenverarbeitung, die Datenbereitstellung und die Kommunikationswege sind durch digitale Tools und Portale einfacher, effektiver und effizienter geworden. Schritt für Schritt werden sich erlebte Vorteile in diesen Bereichen auch auf Vertriebswege auswirken.
Jörg Kintzel, Vorstandsvorsitzender der Valuniq AG, Hilpoltstein: Die persönliche Beratung kann sich im digitalen Zeitalter definitiv behaupten. Aber die Branche muss ganz klar umdenken. Einfache Themen im Bereich Absicherung und Versicherung werden in Zukunft sicherlich elektronisch abgewickelt. Der klassische Vermögensaufbau hingegen wird und sollte immer mit einer exzellenten persönlichen Beratung hinterlegt sein. Hier bewegen den Kunden einfach mehr Themen als nur der klassische Vergleich verschiedener Anlagestrukturen. Digitalisierung ist keine finale Konkurrenz. Sie ist eine herausragende Ergänzung für jeden Finanzdienstleister, wenn er es richtig macht. Man muss auch keine Angst davor haben. Es geht darum, Wege zu finden, die persönliche und digitale Beratung für den Mandanten im richtigen Bereich einzusetzen.
Nils Harde, Vorstand der INP Holding AG; Hamburg: Digitalisierung, eCommerce, Cloud, Apps – Begriffe, die uns heute überall begegnen sind mittlerweile fester Bestandteil des Alltags. Die Finanzbranche – und speziell der Finanzvertrieb – sollte die zunehmend digitale Welt nicht als Konkurrenz zu ihrem bestehenden Geschäftsmodell sehen, sondern diese vielmehr als Chance zur Optimierung von Prozessen und für neue Vertriebsmöglichkeiten nutzen. Kunden sind es mittlerweile gewohnt, nahezu überall und zu jeder Zeit Informationen zu erhalten und Geschäfte tätigen zu können. Mit digitalen Plattformen und Kommunikationskanälen können Vertriebe die Reichweite ihrer Kunden- und Interessentenansprache deutlich erhöhen, mehr Service bieten, ihre Effizienz steigern und Kosten – beispielsweise durch geringeren Personalaufwand – reduzieren. Prozesse können digital enorm vereinfacht, besser strukturiert und beschleunigt werden. Für den Vertrieb, insbesondere im Retail-Bereich für einen großen Investorenkreis, eröffnen sich beispielsweise durch elektronische Signatur- und Identifizierungsverfahren ganz neue Möglichkeiten, die in dieser Form vor einigen Jahren noch nicht zur Verfügung standen. Wer diese „digitale Transformation“ für sein Unternehmen umsetzt und am Ball bleibt, wird auch zukünftig erfolgreich am Markt agieren können.
Jörg Busboom, geschäftsführender Gesellschafter der Ökorenta Invest GmbH, Aurich: Die persönliche Beratung ist und bleibt für die meisten Anleger unerlässlich, insbesondere bei Zeichnung komplexer Finanzprodukte wie Alternativer Investmentfonds (AIF). Dem Berater kommt hier die wichtige Aufgabe zu, zum Anlegerprofil des Kunden passende Produkte vorzuschlagen und die wichtigsten Parameter des Produkts wie beispielsweise das spezifische Chancen-Risiken-Profil zu erläutern. Es ist aus unserer Sicht enorm wichtig, dass Anleger ihre Entscheidung gut informiert treffen. Dieser Anspruch schließt die Digitalisierung bestimmter Abläufe bei der Zeichnung keinesfalls aus. Im Gegenteil: Unser Haus nutzt bereits seit annähernd drei Jahren digitale Zeichnungsstrecken für den Beteiligungserwerb an unseren AIF und wir machen gute Erfahrungen damit. In der Praxis erweist sich die Digitalisierung als sinnvolle Unterstützung. Bei richtigem Einsatz erleichtert und beschleunigt sie den Zeichnungsprozess, vor allem hinsichtlich regulatorischer Vorgaben und Auflagen in der Dokumentation. Deshalb sind wir auch derzeit dabei, ein Anlegerportal und ein Vertriebspartnerportal als technisch komfortable und zeitgemäße Unterstützung einzurichten.
Alexander Klein, Geschäftsführer der Verifort Capital Distribution GmbH, Tübingen: Für uns als Produktanbieter bleibt der Publikumsmarkt das Kerngeschäft – und damit auch der persönliche Vertrieb über unsere Partner. Denn gerade bei langfristigeren Investitionen wie AIF spielt das Thema Vertrauen unserer Erfahrung nach immer noch eine große Rolle – und echtes Vertrauen lässt sich nur auf persönlicher Ebene aufbauen. Die Digitalisierung sehen wir im Vertrieb vor allem als Chance statt als Konkurrenz. Wir beschäftigen uns schon länger mit digitalen Zeichnungsprozessen. Damit ersetzen wir den klassischen Vertrieb aber nicht, im Gegenteil: Für uns ist dies vielmehr eine Ergänzung unserer bewährten Kanäle, um einerseits neue Zielgruppen zu erschließen und andererseits unseren Vertriebspartnern ein weiteres Werkzeug zu bieten, welches sie für der Arbeit mit Anlegern nutzen können. Uns ist wichtig, dass unsere Vertriebspartner genau die Mittel zur Hand haben, mit denen sie am besten zurechtkommen. Wenn nötig, unterstützen wir auch bei der Digitalisierung von Prozessen oder bei der Anbindung an digitale Plattformen.
Jens Freudenberg, Geschäftsführer Vertrieb Privatkunden der BVT-Unternehmensgruppe, München: Für BVT ist eines ganz klar: Die digitale Zeichnungsstrecke soll ein intelligent ergänzender Service für Platzierungspartner und deren Kunden sein, keinesfalls ein Substitut. Ähnlich wie sich Webinare als Ergänzung von Präsenzveranstaltung im Vertrieb etabliert haben, bereichert die digitale Zeichnungsmöglichkeit die analogen Vertriebsprozesse und gibt Beratern damit die Möglichkeit, auf die Wünsche und Vorlieben des Kunden zu reagieren. Wir bieten unseren Platzierungspartnern – sowohl Banken als auch freien Vertrieben – bereits seit einigen Jahren eine solche digitale Zeichnungsmöglichkeit an. Vorteilhaft zeigt sich die Nutzung digitaler Vertriebskanäle insbesondere im Hinblick auf die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben wie zum Beispiel der Verordnung über die Finanzanlagenvermittlung (FinVermV). Ganz wichtig ist auch der Aspekt, dass Zeichnungen stets auf Basis aktueller Unterlagen erfolgen. Insgesamt sehen wir, dass durch die digitale Zeichnung Prozesse wie die Dokumentation vereinfacht und mögliche Fehlerquellen rund um die Zeichnungsunterlagen und die Datenerfassung ausgemerzt werden. Zudem trägt sie zur Kosteneffizienz bei. Und ganz wichtig – die digitale Zeichnungsmöglichkeit eröffnet der Sachwertbranche eine Brücke in die Zukunft, denn nur über moderne Zugangswege lassen sich auch jüngere, vermögende Anleger mobilisieren. Nur so kann sich die Sachwertbranche gegenüber anderen digitalen Anlagealternativen erfolgreich positionieren.
Florian M. Bormann, Geschäftsführer der Immac Immobilienfonds GmbH, Hamburg: Ohne Frage sehen wir uns einer dynamischen Vertriebslandschaft gegenüber, die zunehmend von der Digitalisierung geprägt ist. Diese Entwicklung erfordert von uns die Implementierung digitaler Zeichnungsprozesse, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden. Dabei erkennen wir jedoch auch die unverzichtbare Bedeutung persönlicher Beratung, um individuelle Bedürfnisse zu adressieren und Vertrauen aufzubauen. Wir sind davon überzeugt, dass eine ausgewogene Balance zwischen persönlicher Beratung und digitalen Lösungen für einen erfolgreichen Vertrieb von Finanzdienstleistungen erforderlich ist, die den vielfältigen und anspruchsvollen Bedürfnissen unserer Anleger gerecht wird. Der digitale Zeichnungsprozess schließt das persönliche Gespräch keineswegs aus. Gerade bei langfristigen Anlagen bleibt eine umfassende Beratung essenziell. Ein Großteil unserer Anleger greift auf das persönliche Beratungsangebot zurück, während erfahrene Anleger, die wiederholt investieren, die Vorzüge der digitalen Zeichnungsstrecke zu schätzen wissen. Letztendlich betrachten wir die Implementierung digitaler Prozesse als einen Schritt zur Professionalisierung unserer Arbeitsumgebung, der nicht nur Ressourcen spart, sondern auch dazu beiträgt, den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren, indem weniger Papier gedruckt wird.
Gordon Grundler, Vorstand der Primus Valor AG, Mannheim: Persönliche Beratung und digitale Zeichnungsprozesse haben gleichermaßen ihre Berechtigung und wir sehen eine hybride Mischung als optimale Lösung an. Vor allem bei erklärungsbedürftigen Produkten (wie Alternativen Investmentfonds) ist eine persönliche Beratung meist unumgänglich. Digitalisierte Zeichnungsprozesse unterstützen hierbei eher, entschlacken den Ablauf, sind orts- und öffnungszeitenunabhängig durchführbar und können schnell an möglicherweise aufkommende regulatorische Anforderungen angepasst werden. Anleger, die ihr Investment vollkommen autonom abwickeln wollen, wird es sicher geben. Jedoch wird die große Mehrheit an Anlegern weiterhin an einer persönlichen Beratung interessiert sein, da der Aufbau von gegenseitigem Vertrauen, welcher nur in der persönlichen Interaktion entsteht, für bedeutende finanzielle Entscheidungen wichtig ist.
Sven Jessen, Geschäftsführer reconcept consulting GmbH, Hamburg: Ob digital oder klassisch analog – beides sollte heutzutage ganz selbstverständlich im Angebot von Finanzdienstleistern sein. Nur so bleibt man für seine Kunden relevant – für die Selbstentscheider sowie für jene, die zuvorderst das persönliche Kundengespräch suchen. reconcept bietet seinen Vertriebspartnern daher seit Langem auch eine digitale Alternative zum analogen Zeichnungsweg. Unsere Vertriebspartner können daher je nach Kundenwunsch den passenden Vermittlungsweg wählen.
Susan Spinner, CFA, Geschäftsführender Vorstand der CFA Society Germany e.V., Frankfurt am Main: Die Finanzberatungsbranche wird sich auf die zunehmende Digitalisierung einstellen müssen. Viele junge Investoren, insbesondere der Generation Z, gelten derzeit nicht als profitable Kunden. Dies wird sich in Zukunft jedoch ändern. Wenn professionelle Anlageberater allerdings warten, bis diese jüngste Generation Vermögen aufgebaut hat, bevor sie mit ihnen in Kontakt treten, wird es wahrscheinlich zu spät sein. Denn diese jungen Anleger haben sich längst daran gewöhnt, ihre eigenen Finanzen digital zu verwalten. Daher sollten sich Berater bereits jetzt Gedanken darüber machen, wie sie ihre wichtigsten Vorteile - Fachwissen und persönliche Betreuung, die letztlich die Bausteine des Vertrauens sind – moderner und verständlicher darstellen können. Es geht also darum, Leute dort abzuholen, wo sie sich am meisten informieren – und das ist eben digital. Gelingt diese digitale Transformation, profitieren alle davon.
Bernhard Stern, Geschäftsführer der Stern Capital GmbH, Villingen-Schwenningen: Aufgrund der nicht sonderlich ausgeprägten Finanzbildung in der Bevölkerung erscheint die digitale Zeichnungsmöglichkeit noch keinen Vorteil gegenüber der persönlichen Beratung darzustellen. So ist zwar eine technikaffine Anlegergruppe in der Lage, den Prozess der Zeichnung zu beherrschen. Dies bedeutet jedoch bei weitem nicht, dass damit auch die Anlage, die gezeichnet wurde, auch verstanden worden ist. Die vorhandenen technischen Möglichkeiten sollte der Vertrieb nutzen, um Zeichnungen einfacher und rechtssicher abwickeln zu können. In diesem Kontext dient die Technik zugleich auch dem Verbraucherschutz. Zu bedauern ist, dass nach mehr als zehn Jahre KAGB noch niemand in der Lage war eine dem Vertrieb nützliche digitale Zeichnungs- und Dokumentationssoftware im Sachwertbereich zur Verfügung zu stellen. Die ersten Anbieter befinden sich noch immer in den Kinderschuhen. Die Digitalisierung kann eine Konkurrenz des Finanzdienstleisters sein. Das muss jedoch nicht zwangsläufig so sein. Richtig eingesetzt kann Digitalisierung Anleger und Finanzdienstleister auch entlasten und Freiraum für seriöse Beratung schaffen.
Nico Auel, Geschäftsführer der RWB Partners GmbH, München: Persönliche Beratung und digitale Lösungen schließen sich nicht aus. Im Gegenteil: Unsere Produkte sind bei der online-Beratungsplattform Walnut Live gelistet. Damit können unsere Vertriebspartner insbesondere die verwaltungstechnischen und bürokratischen Anteile des Zeichnungsprozesses bis hin zur digitalen Zeichnung deutlich effizienter und rechtssicherer gestalten. Das Ergebnis davon ist mehr Zeit für die eigentliche Beratung. In Anbetracht der zunehmenden Bürokratie und Dokumentationspflichten sehen wir die Zukunft in dieser hybriden Finanzberatung.
Frank Huttel, Leiter Portfoliomanagement der FiNet Asset Management GmbH, Marburg: Mensch oder Maschine? Ersetzt die Künstliche Intelligenz und ChatGPT den klassischen Anlageberater oder Versicherungsvermittler? Wir glauben es nicht. Wir sind eher der Auffassung, dass es Mensch und Maschine heißen muss. Die Digitalisierung ist eine große Chance für alle die, die Herausforderung annehmen und sie in der Beratung einsetzen. Es handelt sich bei den „Maschinen“ um Tools, also um Werkzeuge, und zwar für den Menschen. Diese können uns Arbeit abnehmen oder zumindest erleichtern. Es kommt also immer darauf an, wie und wo wir diese einsetzen (wollen). Des Weiteren will der Umgang mit diesen gelernt sein. Daher ist es durchaus sinnvoll, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Verweigerung ist keine Lösung, man darf es aber auch nicht überbewerten oder gar in Panik verfallen.
Erübrigt sich die persönliche Beratung durch die zunehmende Zahl von Selbstentscheidern?
Grabmaier: Nein, im Gegenteil. Viele Selbstentscheider werden sicherlich die eine oder andere Entscheidung, die sie in der Vergangenheit getroffen haben und die sich als nicht so klug herausgestellt hat, überdenken und künftig bei wichtigen Anlage- oder Absicherungswünschen lieber einen kompetenten Rat eines Beraters oder Vermittlers einholen. Wie wir von unserer Internetplattform „geld.de“ wissen, bevorzugt die Mehrheit der internet-affinen Kunden weiter irgendeine Art von menschlicher Interaktion, um die Abschlussentscheidung zu verifizieren oder zumindest zu bestätigen. So wollen selbst Kunden, die sich online einen Vertrag ausgesucht haben, weiter mehrheitlich zusätzlich einen kompetenten, menschlichen Rat, bevor sie final abschließen.
Grundler: Sogenannte Selbstentscheider gibt es natürlich vermehrt aufgrund des enorm gestiegenen Zugangs zu Informationen. Bis zu einem gewissen Grad bietet somit unter anderem das Internet eine gesunde Grundlage zum Selbststudium – für eine fundierte finanzielle Entscheidung eignen sich Youtube und Finanzportale jedoch nicht. Im Gegenteil: Aufgrund von Algorithmen und Filtern wird oftmals das Gefühl vermittelt, man wisse schon all die Dinge, die man „online“ findet, da man immer „mehr vom Gleichen“ vorgesetzt bekommt. Dies führt zwar zu mehr Selbstvertrauen aber gleichzeitig zu geringerer finanzieller Kompetenz.
Mückenheim: Die Annahme, dass digitale Selbstentscheider ohne Begleitung durch einen Vermittler oder Berater reihenweise und regelmäßig größere Beträge in einen geschlossenen Fonds investieren, hat sich bisher nicht bestätigt. Vielmehr zeigt auch unsere Erfahrung, dass die meisten Kunden zwar einerseits digitale Informationsangebote dankend annehmen, aber andererseits nach wie vor einen persönlichen Ansprechpartner wünschen, wenn sie höhere Beträge für längere Zeit anlegen. Das gilt auch und mitunter insbesondere für erfahrene Investoren.
Kintzel: Es gibt Dinge, die kann ein Mandant einfach selbst entscheiden. Wenn die Prozesse gut sind, ist es sogar sehr gut, wenn er selbst entscheidet. Natürlich ist es toll, wenn ein Berater darauf hinweist, dass der Mandant bei der Haftpflicht 50 Euro spart. Aber solche Vergleiche kann ein Mandant theoretisch auch selbst im Internet anstellen. Denn dann kann sich der Berater auf die Themen konzentrieren, die dem Mandanten wirklich Geld bringen.
Stern: Sicher nicht. Die allergrößte Zahl der Anleger ist in der Lage sich selbst Informationen zu beschaffen. Diese Informationen sind häufig Gegenstand in der persönlichen Beratung. Dabei zeigt nicht selten, dass die Einschätzung des Anlegers häufig nicht mit den tatsächlichen Inhalten einer Anlage übereinstimmt.
Auel: Die Relevanz der persönlichen Finanzberatung bleibt in Zukunft unverändert hoch. Der Anteil der Selbstentscheider, die sich online eigenständig durch Zeichnungsstrecken klicken, ist weiterhin klein. Der überwiegende Großteil benötigt eine individuelle Betreuung, die Expertise und den Anstoß durch eine Beraterin oder einen Berater. Daher sind auch beim Vertrieb unserer Private-Equity-Dachfonds für Privatanleger immer Finanzberater involviert.
Huttel: Im Bereich der Kapitalanlagen gibt es zwar auch immer mehr Robo-Advisor, die versuchen den Anlageberater zu ersetzen, den prognostizierten Erfolg gilt es allerdings weiterhin abzuwarten. Auch wenn es mehr junge Selbstentscheider geben wird, die mit Apps „traden“, werden diese irgendwann feststellen, dass man dennoch einen Berater benötigt. Ob für eine Second Opinion, die strategische Planung oder ähnliches. Und im Versicherungsbereich gibt es auch in Zukunft Themen, bei denen man einen Berater zu Rate ziehen sollte. Im Leistungsfall, im Alter oder bei Krankheiten kann es existenzbedrohend werden, nur mit der „Maschine“ zu agieren.
Wie sieht der Vertrieb von Finanzdienstleistung der Zukunft aus?
Busboom: Für komplexe Finanzprodukte kaum anders als zurzeit.
Huttel: Unter Umständen wird sich das Vergütungsmodell in Zukunft verändern und Honorare wichtiger werden. Provisionen rücken dann in den Hintergrund.
Mückenheim: Seit der Neuaufstellung unseres Vertriebsteams im Herbst 2021 verzeichnen wir ein stetig steigendes Platzierungsgeschäft. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die Stärkung und der Ausbau unseres Vertriebspartnernetzwerkes. Dies verdeutlicht die Bedeutung des klassischen Vertriebs für die Platzierungserfolge von Emissionshäusern und Asset Managern im Sachwertebereich. Somit sind es auch die Vermittler und Berater, die zunächst von den Vorteilen eines digitalen Vertriebs von Sachwertinvestments zu überzeugen wären, was nach unserer Einschätzung kein leichtes Unterfangen darstellt, da der reale Kundenkontakt entscheidend für die Rolle und damit den Erfolg unserer Vertriebspartner ist. Stand heute ist der Sachwertemarkt jedoch noch weit entfernt davon, ein zusammenhängendes Ökosystem zu sein, was eine Grundvoraussetzung für eine umfängliche digitale Transformation des Marktes wäre. Eine Disruption des analogen Vertriebs erwarten wir daher auch in absehbarer Zukunft nicht.
Grabmaier: Im Finanz- und Versicherungsvertrieb bleibt die Digitalisierung das bestimmende Thema. Kunden erwarten ähnliche Nutzererfahrung wie sie es bei Amazon, Netflix und Co. längst gewohnt sind: einen vollständigen Überblick über das gesamte Versicherungs- und Finanzportfolio und einfach zu bedienende Abschlussstrecken. Der digitale Wandel und der Einsatz von KI sind Motor für entscheidende Transformation: Reine Abwicklung oder Information wird künftig nicht mehr ausreichen, vielmehr müssen Berater den Mehrwert ihrer Leistung neu definieren. Wir als Servicedienstleister für den Vertrieb bieten dafür mit unserem Maklerverwaltungsprogramm iCRM und unserer WebApp „allesmeins“ innovative Tools, mit denen wir laufend auf regulatorische Veränderungen zu reagieren und neue, technologische Entwicklungen – etwa die Möglichkeiten von KI – integrieren und unseren Vertriebspartnern zur Verfügung stellen.
Kintzel: Im Prinzip sehr gut. Weder die Digitalisierung noch der Nachwuchs werden eine tatsächliche Herausforderung darstellen. Die Ausbildung bei DVAG, Swiss Life Select oder Valuniq ist auf einem extrem hohen Niveau, sodass die Finanzdienstleistung eine tolle Möglichkeit für den Wiedereinstieg nach einer Familienpause oder für den Quereinstieg aus anderen Branchen darstellt. Es ist schwieriger, mit 40 Jahren Metzger zu werden als mit 40 Jahren Finanzdienstleister. Das Niveau und das Ausbildungssystem schaffen hier extreme Möglichkeiten in unsere Branche und deswegen sehe ich eine rosige Zukunft für den Vertrieb in der Finanzdienstleistung.
Stern: Digitale Unterstützung wird künftig eine große Rolle spielen, ob im persönlichen Gespräch oder solchen, welche online geführt werden. Onlineberatung wird eine größere Rolle spielen müssen. Technische Hilfsmittel müssen den Vertrieb von Verwaltungstätigkeiten entlasten und Zeitraum für Beratung schaffen. Eines wird bleiben: Finanz- und Versicherungsprodukte sind erklärungsbedürftig. Es bedarf also auch in Zukunft einer Berufsgruppe, die fachkundig und zugleich empathisch ist. Eine soziale Aufgabe, die wertgeschätzt werden sollte. (LJH)